Die Lufthansa wird von Verdi wieder und wieder an den Boden gezwungen, und wenn die GDL die Bahn mal ausnahmsweise fahren lässt, ist auch die notorisch unzuverlässig – selten war Busfahren so attraktiv wie im deutschen Streikwinter 2023/24. Und wird jetzt sogar noch attraktiver. Denn wer keine Lust hat auf Flixbus & Co, dem rollt Mercedes jetzt eine aufgefrischte V-Klasse und den elektrischen Zwilling EQV vor den Bahnhof oder das Flughafen-Terminal. Zu Listenpreisen ab 59.470 Euro für den Verbrenner und 75.282 Euro für das E-Modell, die im Konfigurator mit ein paar Klicks im vorauseilenden Rabatt-Gehorsam gleich auf 54.711 und – dann plötzlich ziemlich konkurrenzfähige – 58.488 Euro sinken, gibt es den Bus vom Benz dann vor allem mit noch mehr Glanz und Gloria.
Denn um sich der Konkurrenz – nein, nicht der von Flixbus, sondern zum Beispiel von Lexus oder den Chinesen – zu erwehren und die Lücke bis zum Debüt eines wirklich noblen Nachfolgers zu schließen, spendieren die Designer der Großraumlimousine noch einmal reichlich Lametta. Der Kühlergrill wird deutlich größer und ist nun auf Wunsch illuminiert, die Scheinwerfer funkeln mit der erstmals erhältlichen Digitaltechnik heller und auf der Haube prangt in der Top-Version nun sogar wie bei der S-Klasse freistehend der Stern. "Raumfahrt, erster Klasse", lautet da die Devise.
Luxuriöses Reisen mit Einschränkung
Der Mercedes EQV bietet viel Luxus und ausgereifte Technik. Eine Schwäche übernimmt er von seinem Vorgänger.
Auch innen gibt es jetzt mehr Finesse: Der Fahrer schwelgt in Lack und Leder schaut in ein völlig neues Cockpit, über dem nun wie in A-Klasse & Co bis über die Mittelkonsole ein freistehender Bildschirm für eine frischere Generation des MB UX-Systems thront und LED-Leisten in 64 Farben für Ambientebeleuchtung sorgen. Es gibt ein neues Lenkrad und neue Lüfterdüsen mit stimmungsvoller Beleuchtung. Und parallel hat Mercedes die technische Ausstattung im Detail aufgewertet und Selbstverständlichkeiten wie den schlüssellosen Start oder die induktive, aber leider tief im Fußraum versteckte Ladeschale fürs Smartphone in die V-Klasse geholt. Außerdem lernen die Assistenzsysteme ein wenig dazu und schauen jetzt in alle Richtungen.
Das sind zwar alles nur Kleinigkeiten, doch in Summe haben sie eine große Wirkung. Wer von notorisch unzuverlässigen Verkehrsträgern in der Luft und auf der Schiene mal wieder auf die Straße gezwungen wird, erlebt den Van deshalb als vornehmen Fernbus, in dem die Entfernungen nebensächlich werden. Das Platzangebot und die Bewegungsfreiheit besser als bei der Lufthansa sogar auf der Langstrecke, die Sitze bequemer als im ICE und "Hey Mercedes" als mittlerweile erstaunlich verständige Reiseleitung – so wird die V-Klasse zum Kilometerfresser, mit dem die Reise wie im Flug vergeht. Jetzt noch ein paar mehr Ablagen an besser erreichbaren Stellen und man will eigentlich gar nicht mehr aussteigen. Streiken Sie ruhig weiter, Herr Weselsky!
Das klappt sogar im EQV, obwohl der jetzt nicht eben ein Dauerläufer ist. Denn selbst mit der immerhin 90 kWh großen Batterie des Topmodells sind auf dem Papier nur knapp 400 und im Alltag kaum 300 Kilometer möglich, weil eine Schrankwand auf Rädern der Luft auch mit geschlossenem Kühler und geglätteten Kanten reichlich Widerstand bietet. Und dass der Motor immerhin 231 PS leistet und mit 365 Nm zu Werke geht, macht die Sache nur mittelbar besser. Denn viel zu engagiert legt sich der EQV ins Zeug, als dass man nicht immer mal wieder das Pedal durchtreten und am Vordermann vorbei wischen würde, nur um die Reichweite dann umso schneller schmelzen zu sehen. Und wo das Ausland für eilige Vielfahrer gerne zur Tortur wird mit seinen Tempolimits, ist es im EQV ein Segen – weil sich dann die Reisegeschwindigkeit irgendwo bei 120 km/h einpendelt und es eine realistische Chance gibt, den realen Verbrauch unter 30 kWh/100 km zu halten. Wer dagegen die vollen 160 km/h auskostet, verliert am Ende trotzdem Zeit, die er sinnlos an der Steckdose absitzt.
Dort parkt der EQV ohnehin oft und lange und daran ändert auch das Facelift nichts. Genauso wenig wie am Antrieb und an den Akkus tut sich nämlich auch beim Lader und es bleibt bei den elf kW an der Wallbox und den maximal 110 kW am Gelichstrom, mit denen der Standardhub von 10 auf 80 Prozent im besten Fall in 40 Minuten gelingt. Klar ist das eine lange Zeit, erst recht, wenn man das dann wieder in Reichweite umrechnet. Aber anderseits dient das der Entschleunigung und die Ferien fangen so schon während der Fernfahrt an.
Klar dürfte der Akku etwas größer sein und die Ladeleistung besser. Aber während man sich Stopps wahlweise mit Kaffee und Croissant schönreden oder die V-Klasse an der Ladesäule zum mobilen Ferien-Appartement machen kann, liegt das eigentliche Problem einmal mehr an der Infrastruktur und sobald man die Schnellstraßen verlässt, ist man oft genug verlassen: Dort, wo Säulen sein sollten, gibt es nur Baugruben, das Freischalten ist mühsam oder der Vandalismus hat zugeschlagen. Und was da so auf Dorfplätzen herumsteht, in kostenpflichtigen Tiefgaragen oder hinter Bahnhöfen unterfordert oft selbst noch den lahmen Mercedes-Lader.
Aber selbst wenn das eher ein Problem der Gesellschaft und der öffentlichen Hand ist und nicht des Herstellers, hat Mercedes dafür Abhilfe in petto. In zwei Jahren kommt der Nachfolger auf einer völlig neuen Architektur mit deutlich größeren Akku und deutlich schneller Ladeleistung. Und wer so lange nicht warten will, der kann die V-Klasse ja auch als Verbrenner kaufen. Wie bisher gibt es drei Diesel mit 163 bis 237 PS und im besten Fall über 900 Kilometer Reichweite. Und weil selbst in diesem Segment mittlerweile der Diesel einen schalen Beigeschmack hat, bringen die Schwaben ihren Bus im Herbst erstmals auch bei uns als Benziner. Allerdings macht auch dieser Vierzylinder mit 231 PS einen zaghaften Schritt in die neue Zeit – und kommt serienmäßig als Mild-Hybrid. (dpa/swi)
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