Jährliche HU für alte Autos: Milliarden-Geschenk für TÜV & Co.

Die EU-Kommission plant eine umfassende Reform der Vorschriften für die Straßenverkehrssicherheit und Zulassung von Fahrzeugen. Setzt sich die Kommission mit ihren Vorschlägen gegenüber den Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament durch, wartet auf Deutschlands Prüforganisationen ein unverhoffter Geldregen in Milliardenhöhe.

Denn Teil des Maßnahmenpakets ist der Vorschlag, für Autos ab einem Alter von zehn Jahren eine jährliche Pflichtinspektion einzuführen. Bislang müssen Autobesitzer ihr Fahrzeug mit Ausnahme der ersten Hauptuntersuchung (HU) nach drei Jahren alle zwei Jahre bei TÜV, Dekra, GTÜ oder KÜS vorführen.

Laut den jüngsten vorliegenden Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts (KBA) vom 1. Oktober 2024 gibt es in Deutschland derzeit rund 49,4 Millionen Pkw, von denen 23,3 Millionen älter als zehn Jahre sind.

Bisher müssen diese alle zwei Jahre zur HU – pro Jahr durchschnittlich rund 11,7 Millionen. Pro HU zahlen Fahrzeughalter nach Angaben des ADAC ohne die zusätzliche Abgasuntersuchung (AU) im Durchschnitt 90 Euro (Die Preise variieren je nach Prüfdienst und Bundesland).

Würde sich der Prüfzyklus für Autos ab zehn Jahren auf eine jährliche HU verkürzen, gäbe es pro Jahr also rund 11,7 Millionen zusätzliche HU, die den Prüforganisationen in Summe rund eine Milliarde Euro einbrächten. Im Gesamtjahr 2023 gab es laut KBA 30,9 Millionen HU in Deutschland. Die neue Regel brächte also einen Zuwachs von rund einem Drittel.

Bei etlichen Prüfdiensten trifft der Vorstoß der EU-Kommission wenig überraschend auf Zuspruch: "Der TÜV-Verband unterstützt die Überlegungen der EU-Kommission, die Prüffristen für ältere Fahrzeuge anzupassen", sagt Richard Goebelt, Bereichsleiter Fahrzeug und Mobilität. Im TÜV Verband sind unter anderem TÜV Süd, TÜV Rheinland und TÜV Nord organisiert.

Die TÜV verweisen auf den Sicherheitsaspekt: "Eine jährliche Hauptuntersuchung von Pkw und leichten Nutzfahrzeugen, die älter als zehn Jahre sind, trägt zur Sicherheit im Straßenverkehr bei", so Göbelt.

Tatsächlich treten mit zunehmenden Alter mehr Mängel auf. Laut dem aktuellen TÜV-Report von November 2024 fällt etwa ein Viertel der Fahrzeuge ab zehn Jahren wegen "erheblichen Mängeln" durch die HU. Bei zwei bis dreijährigen Autos sind es nur rund sechs Prozent.

Auch EU-Verkehrskommissar Apostolos Tzitzikostas begründete das vorgestellte Maßnahmenpaket mit mehr Verkehrssicherheit: "Die EU ist fest entschlossen, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten bis 2030 um 50 Prozent zu senken."

Doch es gibt auch Widerspruch zu den Plänen für eine jährliche Inspektion: "Ob ältere Autos mehr Unfälle verursachen, lässt sich kaum nachweisen", sagte etwa Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft dem "Spiegel". Es müsse erst noch belegt werden, dass typische Mängel älterer Autos tatsächlich Unfälle begünstigen oder jüngere Fahrzeuge den Unfall vermieden hätten.

Eine nicht ganz optimale Datenlage sieht auch die Prüforganisation Dekra, die deswegen aber keinen Widerspruch gegen die Pläne einlegt. Grundsätzlich sei klar, dass ältere Fahrzeuge mehr sicherheitsrelevante Mängel haben als jüngere, so ein Sprecher. Zudem steige die Zahl der Mängel mit zunehmenden Abstand zur letzten HU. Damit wäre zu erwarten, dass eine häufigere Prüfung positive Folgen für die Verkehrssicherheit haben würde.

Welches Ausmaß diese positive Veränderung hätte, das sei mit Blick auf die verfügbare statistische Grundlage aber nicht leicht einzuschätzen, so der Sprecher weiter. Die amtliche Unfallstatistik bilde unfallursächliche bzw. unfallbegünstigende technische Mängel nur unzureichend ab. Eine „fundierte Betrachtung des Gesamtnutzens der vorgeschlagenen verkürzten Prüffristen“ sei schwierig.

Deutlicher Widerspruch hingegen kommt aus Teilen der Politik. Mit ihrem Vorschlag schieße die Kommission über das Ziel hinaus, kritisierte Jens Gieseke (CDU), verkehrspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion im EU-Parlament.

"Das deutsche System, dass eine Hauptuntersuchung alle zwei Jahre vorsieht, ist hinreichend bewährt und auch für ältere PKW ausreichend." Der Vorschlag führe daneben zu mehr Bürokratie und zusätzlichen Kosten für viele Autofahrer, so Gieseke. 

Auf diesen Umstand weist auch der ZDK hin: "Die Kosten im Straßenverkehr für Autofahrerinnen und Autofahrer sind schon jetzt immens hoch – und die Halter müssten auch diese HU-Kosten tragen. Deshalb lehnen wir eine jährliche HU-Pflicht für ältere Autos auch im Sinne des Verbraucherschutzes ganz klar ab", sagt ZDK-Vizepräsident und Bundesinnungsmeister Detlef Peter Grün.

Die HU in ihrer derzeitigen Form gewährleiste ein hohes Maß an Sicherheit. Pauschale Altersregelungen, die Wartungsqualität und Fahrzeugzustand ignorieren, brächten "keinerlei Mehrwert".

Ob die jährliche HU kommt ist angesichts des politischen Widerstands also noch ungewiss – die Vorschläge brauchen die Zustimmung der EU-Staaten und des EU-Parlaments.

Neben einer jährlichen Inspektion alter Autos schlägt die EU-Kommission daneben vor, die Prüfungen an den aktuellen Stand der Technik anzupassen, etwa mit neuen Tests für elektronische Sicherheitssysteme oder für E-Autos.

Weitere Vorschläge betreffen neue Emissionsprüfungen, eine bessere Bekämpfung von Tachobetrug durch internationalen Datenaustausch, digitalisierte Prüfzertifikate sowie einen besseren Zugang zu Fahrzeugdaten für Prüfstellen. 

Hiefür gibt es mehr Zustimmung: "Es ist prinzipiell gut, dass die EU-Kommission die Verkehrssicherheit erhöhen will und auch die Regeln für die technischen Kontrollen von PKW überarbeitet", so Gieseke. Die EU-Kommission selbst schätzt, dass ihre Vorschläge zwischen 2026 und 2050 rund 7.000 Menschenleben retten und rund 65.000 schwere Verletzungen verhindern könnten.