Ford hat seinen Europachef Martin Sander an VW verloren. Das kommt für die Marke zu einem ungünstigen Zeitpunkt, denn sie kämpft gerade mit einer Reihe von Problemen:
Vor diesen Problemen steht Ford in Europa
Beliebte Modelle verschwinden, neue E-Autos kommen spät: Ford steht in Europa vor einem klassischen Dilemma. Und jetzt ist auch noch der Chef gegangen.
Kurz nach dem Anlauf des neuen E-Modells Ford Explorer steht der Konzern in Europa ohne Führung da. Martin Sander wechselt zu Volkswagen. Weil er der grundlegenden Strategie der Amerikaner für Europa misstraute? Tatsächlich steckt Ford in einem strategischen Dilemma.
Im Gegensatz zu anderen Herstellern, die bereits eine Reihe von E-Autos anbieten, hat Ford bisher nur einen reinen Elektro-Pkw im Programm: Das SUV Mustang Mach-E. Nun kommt der Explorer hinzu, allerdings mit erheblicher Verspätung. Eigentlich hätte er bereits im Herbst starten sollen.
Helena Wisbert vom Center Automotive Research sieht in der Verzögerung ein ernstes Problem für Ford: "Der Explorer kommt ein Dreivierteljahr später als ursprünglich geplant und zu einer Zeit, in der der Markt rückläufig und der Wettbewerb größer geworden ist. Das sind schwierige Vorzeichen, und ein Markteintritt im vorigen Jahr wäre um einiges einfacher gewesen."
Der Explorer muss ein Erfolg werden, wenn Ford in Europa nicht zu einer reinen Transporter-Marke schrumpfen will. Ohne den eingestellten Fiesta und nach dem Aus des bislang noch in Saarlouis gebauten Focus im Sommer 2025 sinkt das Modellangebot ohnehin nochmals deutlich.
Dabei hat Ford in den zurückliegenden Jahren bereits andere einst wichtige Baureihen verloren wie den S-Max, den Galaxy oder den Mondeo. Dadurch brachen komplette Kundengruppen weg -und Marktanteile. Der Anteil in Europa, der vor zehn Jahren noch bei 5,2 Prozent lag, sackte bis 2023 auf 3,4 Prozent ab. Von 901.300 Einheiten verringerte sich die Produktion in Europa 2023 auf nur noch 362.805 Fahrzeuge.
Für den scheidenden Europa-Chef Sander war der Schrumpfungsprozess offiziell kein Grund zur Panik. "Uns geht es nicht um Marktanteile, sondern um ein solides und profitables Geschäftsmodell", sagte er unlängst "Wir sehen uns auch nicht mehr als Volumenhersteller, der in jedem Segment vertreten sein muss. Wir belegen die Segmente, in denen die Produkte, die zu unserer Marke passen, Erfolg versprechend sind." (Mehr über die künftigen Ford-Modelle lesen Sie hier.)
Datencenter
Sehen Sie hier, mit welchen Modellen die Marke in Zukunft Kunden gewinnen will:
Allerdings fragen sich manche, ob Ford seinen Markenwert nicht überschätzt und die Preisschraube zu stark anzieht. Beispiel Explorer: Der ist kein Schnäppchen, sondern sogar etwas teurer als der direkte Rivale VW ID.4, obwohl beide den Modularen E-Antriebs-Baukasten (MEB) des VW-Konzerns nutzen.
Die Zwänge sind enorm. Ford kann es sich nicht leisten, jede Rabattschlacht mitzugehen. Anders als so mancher Rivale ist es den Kölnern auch nicht möglich, die E-Offensive einfach abzublasen und stärker auf Verbrenner zu setzen - die Lücken im Portfolio sind dafür zu groß.
Offiziell verfolgt Ford also weiter das 2021 verkündete Ziel, ab 2030 in Europa nur noch rein elektrische Pkw zu bauen - und ab 2035 auch nur noch rein elektrische Lieferwagen. Ob diese Agenda zu halten ist, hängt nun vom Erfolg des Explorer ab. "Der Explorer muss ein Erfolg werden, sonst haben wir ein Problem", sagt auch Gesamtbetriebsratschef Gruschka.
Ford-Konzernchef Jim Farley ist die Lust auf Elektro indes schon vergangen. Die mit hohen Erwartungen ausgegliederte Elektrosparte "Ford Model e" fuhr im ersten Quartal einen Verlust von 1,3 Milliarden Dollar ein. Angesichts von nur 10.000 verkauften E-Autos weltweit sorgt damit rechnerisch jeder verkaufte Elektro-Ford für einen Verlust von gut 130.000 Dollar. Die E-Version des Dauerbrenners F-150, der F-150 Lightning, steht in Nordamerika wie Blei bei den Händlern.
Es ist ein klassisches Dilemma: Ford hat seine Strategie in Europa voll auf Elektro ausgerichtet. Geld verdient wird aber gerade jetzt mit Verbrennern – die Ford jedoch zusehends in Rente schickt. In dieser Situation mehr auf Plug-in-Hybride zu setzen, ist auch keine Lösung, denn im wichtigsten Einzelmarkt Großbritannien muss Ford die seit Januar geltenden strikten Vorgaben für emissionsfreie Fahrzeuge einhalten. Sonst fallen massive Strafzahlungen an.
Vor einem Kraftakt steht Ford in Europa auch beim Umbau seines Vertriebsnetzes. Zwar verfügt der Hersteller über ein flächendeckendes Netz - was angesichts der Rivalen aus China ein Vorteil ist. Doch das dünne Angebot treibt immer mehr Händler in die Arme von Wettbewerbern.
Steve Young, Managing Director bei der auf Automotive-Vertrieb spezialisierten Unternehmensberatung ICDP, ist skeptisch, ob die Neuaufstellung in Europa gelingt. "Ich erwarte nicht, dass der Explorer ein Blockbuster wird. Und ich sehe wenig Chancen für Ford, beim neuen Explorer in Europa den notwendigen Marketingaufwand zu treiben, den dieses Auto zum Marktstart braucht", sagt er.
Der Ausstieg aus mehreren Segmenten sei eine falsche Weichenstellung gewesen. "Das hat anderen Marken, die im Pkw-Segment geblieben sind, die Chance eröffnet, selbst am unteren Ende anzugreifen -etwa wie Hyundai mit dem i10."
Der Analyst sieht für Ford keine rosigen Aussichten mehr in Europa. "Das Unternehmen wird noch viele Pkw-Kunden verlieren, darunter auch viele langjährige Kunden", prognostiziert er. Dies werde unvermeidlich zur Verkleinerung des Netzwerks führen, wobei nicht immer die stärksten Händler der Marke die Treue halten würden. Young: "Ford hätte sich anpassen müssen, statt aus Segmenten herauszugehen." Immerhin einen Streitpunkt mit den Händlern hat Ford inzwischen beigelegt: Der Hersteller hat seinen geplanten Umstieg auf das Agenturrmodell abgesagt.