Herr Rosier, Vernetzung hat für das Software-defined Vehicle zentrale Bedeutung. Welche Möglichkeiten bietet 5G-Mobilfunk für die Vernetzung der Fahrzeuge mit einem Backend oder untereinander?
Holger Rosier: Viele Funktionen für die Automatisierung des Fahrens erfordern kontinuierliche Kommunikationsverbindungen zwischen dem Fahrzeug und externen Datenquellen. Es müssen zwar nicht ständig Daten übertragen werden; aber wenn der Bedarf dafür da ist, muss eine Funkverbindung verfügbar sein. Dazu kommt die Anforderung, Software- und Firmware-Upgrades über die Luftschnittstelle durchführen zu können. Hier bietet die 5G-Technologie, die seit 2020 praktisch eingesetzt wird, deutliche Verbesserungen sowohl bei den sogenannten Latenzzeiten, also der Übertragungsgeschwindigkeit, wie auch bei der Frequenzbandbreite und damit der Datenmenge, die pro Zeiteinheit übertragen werden kann Die Latenzzeiten liegen im niedrigen Millisekundenbereich. Die hohe Datenübertragungsrate schafft auch neue und erweiterte Möglichkeiten für das Info- und Entertainment.
Bei der direkten Kommunikation von Fahrzeugen untereinander konkurrieren Automotive-WLAN und 5G. Welche Vorteile bietet 5G hier?
Ein wesentlicher Punkt ist, dass 5G für die Kommunikation mit einem Backend und dem Internet in Szenarien mit Mobilität die dominierende Technologie ist. Diese Technologie, die auch kontinuierlich weiterentwickelt wird, ist also ohnehin an Bord der Fahrzeuge vorhanden. Da kann es Vorteile bieten, auch die Fahrzeug-zu-Fahrzeug-Kommunikation auf Basis der gleichen Technologie abzuwickeln. Zudem könnte auf diesem Weg auch eine Kommunikation des Fahrzeugs etwa mit Fußgängern oder Radfahrern, die in der Regel ein Smartphone mit sich führen, stattfinden. Etwa um Radfahrer oder Fußgänger zu erkennen, die noch gar nicht im Sichtfeld sind.
Braucht es dazu das Mobilfunknetz?
Nein, im Grunde nicht einmal eine SIM-Karte. Die Devices der Fahrzeuge oder Fußgänger und Radfahrer kommunizieren direkt mit einander. Und dies auch dann, wenn eventuell kein Mobilfunknetz verfügbar ist.
Sie sagten, 5G werde kontinuierlich weiterentwickelt. Welche Rolle spielt Rohde & Schwarz dabei?
Wir sind ein Hersteller von Test- und Messgeräten. Unsere Aufgabe ist es also, der Industrie die passenden Messgeräte an die Hand zu geben, um solche Funktionalitäten zu entwickeln, zu überprüfen und zu validieren. Dafür benötigt es ein tiefes Wissen über die verschiedensten Funktechnologien und die technischen Prüfmöglichkeiten. Das bringen wir in den Standardisierungs- und Entwicklungsgremien ein, ohne dabei selbst wirtschaftliches Interesse an der Durchsetzung bestimmter Technologien zu haben.
Jeder erlebt es, dass sein Smartphone einmal keine Netzverbindung hat. Das mag bei 5G seltener geschehen, ist aber nicht auszuschließen. Kann man sich also auf Funknetze verlassen, wenn es um sicherheitskritische Funktionen im Automobil geht?
Das oberste Gebot lautet: Ein Automobil muss immer in einem sicheren Zustand gehalten werden können – auch wenn keine Kommunikationsdienste zur Verfügung stehen. Vielleicht wird das Auto langsamer fahren, wenn gerade keine aktuellen Verkehrs- oder hochauflösende Kartendaten zur Verfügung stehen. Aber es muss sicher bleiben.
Man kann zwar nicht hundertprozentig garantieren, dass jederzeit beliebige Datenmengen durch das Funknetz übertragen werden können. Aber wir können die Ausfallsicherheit deutlich erhöhen, etwa durch Redundanzen. Mit 5G ist es auch möglich, die sogenannte Quality of Service anzubieten. Das bedeutet, dass dem Kunden eine bestimmte Leistungsfähigkeit, etwa bei der Bandbreite, zugesichert wird.
Eine andauernde Herausforderung im Automobil ist der große, schwere und komplexe Kabelbaum. Kann 5G dort Kabelverbindungen ersetzen?
Dort sehe ich Funktechnologien nur punktuell. Wir haben sie ja beispielsweise schon bei der Reifendruckkontrolle zur Übertragung der Sensordaten. Oder bei einzelnen Batteriemanagementsystemen. Allerdings auch dort nicht mit 5G sondern einfacheren alternativen Lösungen. Wir können allerdings mit Funktechnologien nie eine so große Funktionssicherheit erreichen wie mit Kabeln. Kabel kann man beispielsweise gegen elektromagnetische Störungen recht effizient abschirmen.
Bis der Nachfolgestandard 6G verfügbar ist, werden noch Jahre vergehen. Was ist bis dahin noch an Weiterentwicklungen bei 5G zu erwarten?
Die Standardisierung und Weiterentwicklung findet in den Arbeitsgruppen der sogenannten 3GPP statt. 2020 ging 5G mit dem Release 15 an den Start. Heute ist das Release 18 in Arbeit und Release 19 wird gerade vorbereitet. Gearbeitet wird an Themen wie Positionsbestimmung und Distanzmessung, beides könnte für die Automobilindustrie sehr interessant werden, weil man auch die Position bestimmen könnte, wenn kein GPS-Signal empfangen werden kann. Was sich in diesen Feldern mit 5G Advanced, so soll die Weiterentwicklung heißen, realisieren lässt, muss sich aber noch zeigen.
Interessante Ideen gibt es auch zur Zusammenführung von Radar und Kommunikation. In beiden Fällen handelt es sich um elektromagnetische Wellen – nur mit unterschiedlichen Frequenzen. Und die diskutierten Mobilfunkfrequenzen für die Zukunft bewegen sich in Richtung der Frequenzen von Automotive-Radaren. So könnte ein Automobil mit einem anderen Fahrzeug via Mobilfunk kommunizieren und gleichzeitig über die integrierte Radarfunktionalität die Entfernung messen, Objekte detektieren und diesen folgen.
Das klingt interessant, aber auch noch recht abstrakt. Wann ist mit solchen Lösungen zu rechnen?
Ich vermute, dass sich solche Funktionen in 5G Advanced nur ansatzweise darstellen lassen. Wir müssen berücksichtigen, dass die technischen Freiräume für die Weiterentwicklung von 5G eingeschränkt sind, durch die geforderte Kompatibilität mit früheren 5G-Geräten. Dass solche Funktionen wirklich mit interessanter Genauigkeit einsatzbereit sind, dürfte erst mit dem künftigen Mobilfunkstandard 6G kommen, also jenseits von 2030.
Aus dem Datencenter: Vernetzte Zukunft