Over the Air wird zum Muss

Für so softwareintensive Produkte wie die neu auf den Markt kommenden Personenwagen ist es unverzichtbar, kontinuierlich und einfach die Software zu aktualisieren. Ständig muss die Sicherheit gegen Hackerangriffe auf den neuesten Stand gebracht werden. Es muss möglich sein, Softwarefehler, die erst nach der Auslieferung des Fahrzeugs erkannt werden, schnell zu korrigieren. Das ist die Pflicht. Zur Kür zählt, dass die Automobilhersteller sich beispielsweise von neu entwickelten Softwarefunktionen oder dem Freischalten von Funktionen, die hardwareseitig schon angelegt sind, auch deutliche Umsätze erhoffen.

Für die Automobilhersteller und -zulieferer bedeutet das ein enormes Umdenken: Die Fahrzeugentwicklung endet nicht mehr mit dem Beginn der Produktion. Stattdessen wird die Softwareentwicklung für Automobilhersteller wie -zulieferer zu einer kontinuierlichen Aufgabe. Neben diesem technischen Aspekt tritt auch der wirtschaftliche: Erlöse werden nicht mehr allein durch Verkauf und Ersatzteile erzielt, sondern zunehmend durch Software während der Nutzungsdauer des Fahrzeugs. Der Sektor Automotive-OTA-Updates soll S&P zufolge von weltweit 5,9 Milliarden US-Dollar im Jahr 2022 auf 23,2 Milliarden US-Dollar im Jahr 2028 zulegen.

Die Liste der konkreten Anwendungen wird ständig größer. Audi etwa ermöglichte die Integration von Apple Music ins Infotainment per OTA-Update. BMW brachte auf diesem Weg kostenlose Verbesserungen und Feature-Erweiterungen in den Bereichen Infotainment, Fahren, Antrieb, Fahrerassistenz, Komfort und Sicherheit in die Fahrzeuge. Audi und Jaguar Land Rover (JLR) erhöhten durch Updates die elektrische Reichweite. JLR führte Alexa via OTA-Update ein. Bei Volvo können nach der jüngsten Aktualisierung zunächst in den USA einige Fahrzeugfunktionen per Sprachbefehl über Google-Assistant-fähige Endgeräte gesteuert werden. Stellantis will Kunden unter anderem mit „OTA-gesteuerter Diagnose und Reparatur aller wichtigen Fahrzeugsysteme“ überzeugen.

Parallel bieten etwa Audi, BWM und Mercedes-Benz auch Functions on Demand an, die Kunden sich nach dem Fahrzeugkauf entweder nach einmaliger Zahlung oder in einem Abo-Modell freischalten lassen können.

Auch um den technischen Vorgang der Updates ist bereits ein Markt entstanden. Denn hier fallen nicht unerhebliche Kosten an. Laut den Beratern von Berylls können sich die Kosten für cloudbasierte Funktionen und OTA-Updates bei einem großen Automobilhersteller leicht auf mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr summieren. Pro Fahrzeug könne das über dessen Lebenszeit mehrere hundert Euro ausmachen.

Je nach verwendeter Update-Technik ist die Kostenspanne offenbar enorm. Berater von Guidehouse berechneten für eine beispielhafte Flotte von zehn Millionen Fahrzeugen mit vier Updates pro Jahr Kosten von 2,7 Milliarden Euro für Full-Image-Updates, 1,8 Milliarden Euro für Legacy- Binary-Updates und nur 31,6 Millionen Euro, wenn Line-of-Code-Updates verwendet werden.

Verschiedene Unternehmen arbeiten daran, diese Kosten zu drücken. So stellten jüngst das israelische Start-up Aurora Labs und Infineon eine Lösung für KI-gesteuerte, sichere und redundante OTA-Updates vor. Die damit erzeugten „branchenweit kleinsten Update-Dateien“ sollen die Updates um den Faktor zehn schneller machen und bis zu 98 Prozent der Kosten für die Datenübertragung sparen. Auch die Continental-Tochter Elektrobit und Airbiquity wollen mit einer gemeinsamen „vorintegrierten Over-the-Air-Lösung“ den Automobilherstellern die Updates erleichtern. Dass Interesse der Automobilhersteller an solcher Technik zeigt sich auch in Beteiligungen. So erwarb Porsche schon 2020 für 2,5 Millionen US-Dollar einen „niedrigen einstelligen“ Anteil an Aurora Labs und verdoppelte Mitte 2022 seine Beteiligung. Auch Toyota ist an dem Unternehmen beteiligt und bemüht sich mit ihm um effiziente OTA-Update-Lösungen.

Lesen Sie auch: So werden Over-The-Air-Updates ausgebremst

Aus dem Datencenter: Umfrage zu Functions on Demand