EXKLUSIV: Kartelluntersuchungen in Reifenbranche sind umfangreicher als bekannt

Die Kartelluntersuchungen der EU-Kommission in der Reifenbranche sind deutlich umfangreicher als zunächst bekannt. Neben der von der EU-Kommission verkündeten Durchsuchung von Reifenherstellern in mehreren Mitgliedsstaaten fand in Deutschland am 30. Januar wegen vermuteter Preisabsprachen auch eine Durchsuchung von Reifengroßhändlern statt.

Das bestätigte das Bundeskartellamt auf Anfrage der Automobilwoche. „Die Durchsuchung fand an dreizehn Unternehmensstandorten und in einer Privatwohnung statt“, so ein Sprecher. 56 Mitarbeiter des Bundeskartellamts sowie Kräfte der örtlichen Kriminalpolizei seien daran beteiligt gewesen.

Einer der durchsuchten Reifengroßhändler ist „Tyres Over Night Trading“, eine Tochter des Reifenherstellers Continental. Das bestätigte der Konzern auf Nachfrage. Die Continental-Tochter Vergölst hingegen sei nicht betroffen, so ein Sprecher. Continental selbst war ebenso wie Pirelli, Goodyear, Bridgestone, Nokian und Michelin am 30. Januar ebenfalls durchsucht worden.

Die Michelin-Tochter IHLE Tires, ein Reifengroßhändler, sei nicht von den Ermittlungen betroffen, so eine Sprecherin. Weitere Anfragen der Automobilwoche bei großen Reifenhändlern blieben abgesehen von einem Dementi bisher unbeantwortet oder ergebnislos. Ob es auch in anderen Ländern Durchsuchungen im Reifengroßhandel gab, ist offen – die EU-Kommission gab auf Anfrage keine weiteren Informationen preis.

Bekannt ist allerdings, dass die EU-Kommission im Juni im Rahmen einer Nachprüfung ein Beratungsunternehmen in zwei Mitgliedsstaaten untersuchen ließ. Das Bundeskartellamt führte im Rahmen seiner Untersuchung zudem eine Befragung im Bereich B2B-Reifenhandelsplattformen durch.

Unter den Befragten ist die Alzura AG, Betreiber des B2B-Marktplatzes Alzura Tyre24. „Wir sind Beschuldigter bei den Untersuchungen zu Preisabsprachen in der Reifenbranche“, bestätigt CEO Michael Saitow. Die Plattform stellt all ihren Kunden Daten zu Preisen und Lagerbeständen anderer Händler auf Alzura bereit. Damit wolle man zu einem funktionierenden Wettbewerb in der Branche beitragen, so Saitow. Anhand der Fragen des Kartellamts vermute er nun, dass diese Preisdaten dafür genutzt wurden, um Mindestpreise festzulegen.

„Ich bin überzeugt, dass es Preisabsprachen zwischen Reifenherstellern und Reifengroßhändlern gab“, sagt Saitow. „Ich erlebe seit vielen Jahren, dass Reifenhändler mir sagen, die Reifenhersteller wollten nicht, dass sie über unsere B2B Plattform Reifen verkaufen. Würden sie es dennoch tun, bekämen sie keine Ware mehr oder nur zu höheren Einkaufspreisen.“ Auch habe er Fälle beobachtet, bei denen mehrere Händler für bestimmte Reifen plötzlich identische Preise hatten. Er sei über die Untersuchung der Wettbewerbshüter „sehr froh“, betont Saitow.

Wie lange die Untersuchung noch dauert, ist offen, es gibt hierzu keine Fristen. Sowohl die EU-Kommission als auch das Bundeskartellamt betonen ausdrücklich, dass bis zum Abschluss des Verfahrens die Unschuldsvermutung gelte. Die Untersuchungen seien kein Beleg dafür, dass es auch tatsächlich wettbewerbswidriges Verhalten gegeben habe.