Interview: VW-Vorstand Sander sucht perfektes Vertriebssystem

Herr Sander, bevor Sie von Ford zu Volkswagen wechselten, haben Sie die Agentur gestrichen. Nun stehen Sie bei ihrem neuen Arbeitgeber vor der gleichen Entscheidung. Wie stehen Sie zum Agenturmodell?
Martin Sander: Bei Volkswagen ist das Agenturmodell im Flottengeschäft bereits seit 20 Jahren ein großer Erfolg. Damit sind sowohl die Händler als auch wir als Hersteller sehr zufrieden. Daher ist klar: Wir wollen das System im Flottengeschäft europaweit ausrollen.

In den vergangenen Jahren haben wir jetzt auch im Einzelkundengeschäft erste Erfahrungen mit dem Vertrieb von Elektrofahrzeugen im Agenturmodell gesammelt. Diese Erfahrungen werden wir nun auswerten und zukünftig entsprechend berücksichtigen.

Mitte des Jahres hat Volkswagen die Ausweitung der Agentur mit den Händlern diskutiert.
Zwei parallele Vertriebssysteme sind langfristig aufgrund der hohen Komplexität keine Lösung. Wichtig ist: Wir brauchen ein einfaches und effizientes Modell für den Handel.

Hat das aktuelle Modell zu Fehlanreizen geführt?
Entscheidend für den Kunden sind attraktive Angebote. Im Agenturmodell ist unsere Verantwortung als Hersteller natürlich größer. Wenn wir als Hersteller die Fahrzeuge zu attraktiven Konditionen anbieten, hat der Händler natürlich auch ein Interesse daran, die Fahrzeuge in der Agentur zu vertreiben. Er möchte seinen Kundenstamm vergrößern, das Servicegeschäft bietet Potenziale. Dass dies funktioniert, haben wir bewiesen, sonst wären wir mit den Modellen unserer ID.-Familie nicht mit weitem Abstand Marktführer in Deutschland.

Für die Vermittlung von Elektroautos erhält der Händler eine Provision von vier Prozent fix und zwei Prozent flexibel. Reicht das?
Aus unserer Sicht ja. Grundsätzlich brauchen wir für den Handel ein rentables Geschäftsmodell. Wir erwarten gute Leistung und die besten Mitarbeiter – das geht nur mit einer entsprechenden Vergütung.

Händler sehen eine auskömmliche Vergütung eher bei sechs Prozent fix und drei Prozent flexibel.
Wir haben das Modell damals zusammen mit dem Händlerverband so abgestimmt, dass es für beide Partner passt.

Den Händlern wurden aber gleichzeitig Kosteneinsparungen versprochen, die laut Verband noch nicht eingetroffen sind.
Ich war seinerzeit, als das Agenturmodell ins Leben gerufen wurde, noch nicht bei Volkswagen. Deshalb kann ich das nicht im Detail beurteilen Ich richte den Blick auf die aktuelle und zukünftige Zusammenarbeit mit den unseren Händlern, die für uns oberste Priorität haben.

Beim Verkauf von Verbrennern erhalten Händler eine Grundmarge von zehn Prozent. Beim Vertrieb von Elektroautos liegt die fixe Provision bei vier Prozent. Ist er da nicht stärker motiviert, Verbrenner zu verkaufen?
Im Agenturmodell liegt das Risiko und ein großer Teil der Kosten auf Seiten des Herstellers. Anders sieht es bei Verbrennern aus: Hier geht der Händler ins Risiko und trägt die Kosten, deshalb muss die Vergütung natürlich höher sein. Das Ziel muss es sein, dass die Händler gleich viel verdienen, egal ob sie einen Verbrenner oder ein Elektroauto verkaufen.

Zuletzt hatte VW einen BEV-Anteil von rund zehn Prozent. Mit den ab 2025 geltenden CO2-Vorgaben brauchen Sie 20 bis 25 Prozent. Wie wollen Sie dies erreichen?
Losgelöst von konkreten Zahlen: Es ist klar, dass wir mehr BEVs verkaufen müssen. Dafür brauchen wir attraktive Produkte zu attraktiven Konditionen. Mit unserer ID.-Familie vom kompakten ID.3 bis zum langstreckentauglichen Kombi ID.7 haben wir schon heute ein vielfältiges Portfolio, das gut bei den Kunden ankommt.

2026 kommt ein kleiner, vollwertiger Elektro-Volkswagen im Polo-Format für unter 25.000 Euro. Und etwas später der „Volksstromer“ für unter 20.000 Euro. Wir sind in Deutschland Marktführer im Elektrosegment - und das wollen wir auch bleiben.

Für den ID.3 haben Sie jüngst die Preise gesenkt. War dies der Start in den Preiskampf für Elektroautos?
Wenn wir mehr E-Autos verkaufen wollen, müssen wir eine breitere Zielgruppe ansprechen. Nur so kommen wir auf mehr Volumen. Wir wollen wachsen, wie unsere Wettbewerber auch. Preissenkungen können dafür immer mal wieder ein probates Mittel sein – von allen Herstellern.

Dafür haben Sie bei Verbrennern die Preise erhöht.
Das hat mit den Preissenkungen bei Elektroautos nichts zu tun. Wir befinden uns immer noch mitten in einer Inflation, da müssen wir  – und das ist in der ganzen Branche üblich – die Preise entsprechend anpassen. Bei Elektroautos haben wir dies ganz bewusst nicht gemacht. Erst die Preise senken, um sie dann kurze Zeit später wieder nach oben anzugleichen, würde sich dem Kunden nicht erschließen.

Wann erreichen wir Preisparität zwischen Verbrennern und Elektroautos?
Mit attraktiven Angeboten haben wir diese bei einigen Modellen bereits erreicht. Wir brauchen Preisparität, sie ist wichtig. Wann sie flächendeckend da ist, lässt sich heute schwer abschätzen. Viele Kunden haben ein konkretes Budget, das für ein Auto einen bestimmten Betrag vorsieht, egal ob sie es kaufen oder leasen. Wenn es für dieses Budget kein Elektroauto gibt, entscheiden sich diese Käufer zwangsläufig für einen Verbrenner.

Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass Kunden mehr Geld für ein Auto zur Verfügung haben, nur weil es eine neue Technologie gibt. Umso wichtiger ist es, dass wir im Unternehmen intensiv an den Kosten arbeiten und die erzielten Einsparungen an die Kunden weitergeben.

Nennen Sie uns ein Beispiel.
Aktuell machen wir es schon beim ID.3, den wir seit ein paar Wochen in Deutschland zu einem Einstiegspreis von unter 30.000 Euro anbieten. Dies ist auch möglich, weil wir im Rahmen des Performance-Programms hier signifikante Kostenoptimierungen hinbekommen haben. Diese geben wir an den Kunden weiter.

Der ursprüngliche VW-Plan sah Kosteneinsparungen von zehn Milliarden Euro vor, dazu sollte der Vertrieb vier Milliarden beisteuern. Bleibt es dabei?
Wir müssen die Kosten über alle Bereiche hinweg erheblich senken und unsere Prozesse deutlich effizienter aufstellen. Wir haben bei uns im Vertrieb und Marketing viele einzelne Maßnahmen identifiziert, die wir umsetzen.

Aber das ist nur die eine Seite. Die andere Seite ist die Leistung. Wo es möglich ist, wollen wir mehr Geschäft, mehr Umsatz und mehr Ertrag – für uns und für den Handel. Darin sehe ich die größten Chancen.

Die eine Hälfte der Einsparungen sollte durch effizientere Prozesse erzielt werden, die andere Hälfte über Preiserhöhungen. Ist dies noch das Ziel?
Es gibt keine starre Einteilung, woher die Effizienzen kommen, da sind wir flexibel. Bei der Preisgestaltung sind wir natürlich auch von den Wettbewerbern abhängig. Entscheidend ist letztlich, was der Kunde bereit ist, für unsere Produkte zu zahlen. Klar ist: Wir wollen die Nummer eins im Markt bleiben.

Nach zehn Monaten liegt Volkswagen in Deutschland mit rund 449.000 Pkw-Neuzulassungen rund fünf Prozent über dem Vorjahr. Wo liegen Sie am Jahresende?
Wir haben uns ehrgeizige Ziele gesteckt. Und zum heutigen Zeitpunkt bin ich zuversichtlich, dass wir diese auch erreichen werden. Wir haben sowohl bei den Verbrennern als auch bei den BEVs starke Modelle im Sortiment, die gut bei den Kundinnen und Kunden ankommen. Mit dem siebensitzigen Tayron kommt in Kürze sogar noch ein weiteres Modell hinzu. 

Wie sehen die Ziele für 2025 aus?
Dazu nennen wir keine Zahlen. Aber glauben Sie mir: Auch da haben wir uns ehrgeizige Ziele gesteckt.

Händler berichten, dass sie zahlreiche Übernahmeangebote aus dem VW-Netz bekommen. Gibt es einen Exodus kleiner Partner?
Das können wir so nicht feststellen. Aus unserer Sicht gibt es keine gestiegene Tendenz, dass Partner aussteigen wollen. Wenn sich große Autohausgruppen für die Marke VW interessieren, freuen wir uns. Es zeigt, dass die Marke für sie attraktiv ist und das Geschäftsmodell funktioniert.

Gibt es derzeit eine verstärkte Konsolidierung im VW-Netz?
Die Konsolidierung im Handel läuft schon seit vielen Jahren und sie geht auch weiter. Dass der Trend weiter voranschreitet, ist keine große Überraschung. In anderen Ländern ist man hier deutlich weiter. Zum Beispiel England: Hier gibt es viele sehr große Handelsgruppen mit deutlich größerem Umsatz. In Deutschland gibt es für die Konsolidierung noch viel Potenzial.

Haben wir in Deutschland künftig englische Zustände?
Das weiß ich nicht. England ist ein anderer Markt mit ganz anderen Dynamiken. Klar ist aber, dass Händler an ihrer Effizienz arbeiten müssen. Sie müssen sich überlegen, wie sie sich aufstellen, um Kosten zu sparen. Größe kann dabei ein Weg sein.

Setzt Volkswagen künftig eher auf große Autohändler?
Wir haben tolle große Autohausgruppen mit absolut bemerkenswerten Managerinnen und Managern. Wir haben auch großartige kleine Familienbetriebe, die mit Herz und Seele für Volkswagen arbeiten. Entscheidend ist die richtige Mischung. Für mich sind Händler wichtig, die offen mit uns diskutieren und das Geschäft aktiv mit uns gemeinsam vorantreiben und gestalten. Da ist es egal, ob es der Geschäftsführer einer großen Autohausgruppe oder der Inhaber eines kleinen Familienbetriebes ist.