Audi-Europachef Jens Puttfarcken: "Weltweit eine gewisse Kaufzurückhaltung"

Welchen Kurs schlägt Audi in Europa ein? Rein elektrisch, doch eine Rückkehr zum Verbrenner, oder eine kombinierte Lösung? Und in welchem Tempo geht der Wandel zum Agenturmodell im Vertrieb weiter? Im großen Exklusiv-Interview spricht Audis Europachef Jens Puttfarcken über neue Marktrealitäten und das Denken in langen Zyklen.

Herr Puttfarcken, wie oft haben Sie seit der Europawahl im Juni gedacht: Jetzt wird mein Job noch schwerer…

Jens Puttfarcken: Die Wahlergebnisse haben mich natürlich mit gewisser Sorge erfüllt. Mein Team und ich beobachten sehr genau, was sich in Europa momentan entwickelt. 

Was genau besorgt Sie?

Ich komme aus einer Generation, die noch mit Grenzkontrollen innerhalb Europas aufgewachsen ist. Zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn habe ich in Italien noch Telefonmünzen in die Telefonzellen gesteckt, weil es keine gemeinsame Währung in Europa gab. Noch vor einigen Jahren mussten innerhalb Europas Roaming-Gebühren gezahlt werden, die heute auch niemand zurückhaben will. Ich respektiere es, wenn Menschen sich politisch anders entscheiden, aber mit unserem Verständnis bei Audi für freien Handel und meinem Verständnis, wie Menschen zusammenleben wollen, bleibt abzuwarten, was sich aus den Wahlergebnissen entwickelt.   

Das war die politische Bewertung. Wie verändert ein politisch nach rechts gerücktes Europa Ihre Aufgaben bei Audi? Rücken Verbrenner wieder stärker in den Fokus des Vertriebs?

Unser Bekenntnis zur Elektromobilität steht. Es geht bei dieser jetzt auch politisch wieder diskutierten Frage nach der richtigen Antriebstechnologie ja nicht um das Elektroauto, sondern auch um das Ökosystem drumherum mit der Ladeinfrastruktur. Unsere Industrie hat sich auf den Weg gemacht und denkt bei Entwicklung und Produktion von Fahrzeugen in entsprechend langen Zyklen. Wir tun in Europa gut daran, dieses Marktumfeld für den Weg hin zur Elektromobilität jetzt nicht mehr zu verändern. Die Elektrifizierung ist schließlich der wirksamste Hebel zur Dekarbonisierung der individuellen Mobilität in Europa und darüber hinaus. Zusätzlich haben wir ja auch Regulierungen zu erfüllen.

Wie erleben Sie die europäischen Märkte in Ihrer Offenheit für Elektromobilität?

Vollkommen unterschiedlich. Von Norwegen mit über 95 Prozent Neuzulassungen von Elektroautos bis hin zu Märkten wie Polen, oder Spanien, die sich jetzt erst langsam auf den Weg machen. Dazwischen haben Sie Länder, wie die Schweiz oder Deutschland, die schon etwas weiter sind, aber auch noch ein Stück Weg vor sich haben.

Was heißt das für Audi?

Wir stellen uns darauf ein, in unterschiedlichen europäischen Märkten unterschiedlich schnell bei der Transformation zu sein. Denn am Ende entscheiden unsere Kunden und lokale Gesetzgebungen sowie das bereits angesprochene Ökosystem über den Umstieg in die Elektromobilität. Wir brauchen daher Kontinuität und einen klaren Weg nach vorne. Was uns nicht hilft, sind Forderungen, die keinen langfristigen Horizont berücksichtigen, sondern nur dazu dienen, bestimmte vorgefestigte Meinungen kurzfristig zu bedienen.

Es gibt aber politisch und aus der deutschen Automobilindustrie längst Stimmen, die das Verbrenner-Aus ab 2035 rückgängig machen wollen. Auch ihr Betriebsratschef Jörg Schlagbauer will inzwischen länger Verbrenner bauen.

Wir haben den Zug Elektromobilität ins Rollen gebracht und dieser Zug rollt. Das gilt für die gesamte Branche und in diese Richtung wird es weitergehen. Aber wir leben in einer Zeit des Übergangs und dafür sind wir bei Audi bestens aufgestellt.

Woran machen Sie das fest?

Wir haben nicht nur gerade die PPE-Plattform für unsere neuen Elektromodelle in den Markt gebracht, sondern mit der PPC-Plattform auch eine komplett neue Plattform für unsere Verbrenner aufgelegt. Bis 2026 werden wir das komplette Portfolio unserer Benziner und Diesel erneuern, während andere Hersteller jetzt noch überlegen müssen, ob sie doch noch einmal Geld in ihre Verbrenner stecken.

Ihr CEO Gernot Döllner will den Verkauf von Verbrennern bei Audi 2033 einstellen…

Wie gesagt, das Audi Zielportfolio ist rein elektrisch. Für den Übergang sind wir mit neuen E-Modelle und einer neuen Generation an effizienten Verbrennern und Plug-in-Hybriden robust und flexibel aufgestellt – auch das hat Gernot Döllner gesagt. Das heißt, wir werden in der Lage sein, noch sehr lange in Europa hervorragende Verbrenner anzubieten. Es geht dabei aber längst nicht nur um unternehmerische Ziele…

Sondern?

Natürlich spielt für ein Unternehmen wie Audi auch die gesellschaftliche Verantwortung und eine umsichtige Industriepolitik eine Rolle. Auch wir haben eine Verantwortung für Klimaschutz. Wir wollen Produkte liefern, die sich am gesellschaftlichen Konsens ausrichten.

Großes Thema in Europa sind geplante Strafzölle auf importierte chinesische Elektroautos. Hat Audi hier zukünftig einen Vorteil? Sie importieren keine Fahrzeuge aus China nach Europa…

Von solchen Maßnahmen hat niemand Vorteile. Wir bei Audi glauben an den Wettbewerb von Technologien und Produkten, weil sie Treiber für Innovation und Entwicklung sind. Solche wettbewerbsverzerrenden Faktoren wie höhere Zölle sind nichts, woraus wir bei Audi einen Wettbewerbsvorteil ableiten wollen. 

Ihre Wettbewerber müssen wegen höherer Importzölle möglicherweise die Preise erhöhen…

Wenn das Ziel ist, in einem neuen Markt Fuß zu fassen, kann ich mir nicht vorstellen, dass die Zölle in Preiserhöhungen umgelegt werden, weil sie das im Wettbewerb noch schlechter positioniert. Denkbar wäre für mich eher, dass man auf Marge verzichtet, um zumindest den Markteintritt in Europa zu schaffen.

Blicken wir konkreter in die Märkte: Wir hören für den deutschen Markt, dass die Auftragslage in einigen Bereichen im Schnitt 25 Prozent unter Vorjahr liegt. Wie ist die Lage im Rest Europas?

Das muss man differenziert betrachten. Bei der Elektromobilität erleben wir momentan weltweit eine gewisse Kaufzurückhaltung. Auch in China und den USA. Wir sind Teil dieser zyklischen Bewegung. Auch in der Schweiz und in Schweden sind zuletzt öffentliche Kaufanreize wie in Deutschland zurückgenommen worden. Es gibt aber dem gegenüber auch noch Märkte, in denen wir wachsen.

Welche sind das?

In Frankreich steigern wir uns beim Absatz von reinen Elektrofahrzeugen und Plug-In-Hybriden. In vielen weiteren europäischen Märkten wachsen wir prozentual beim Absatz von Elektroautos zwischen fünf und fünfzehn Prozent. Weitere Wachstumsmärkte für uns sind Polen und die Türkei…

Aber nicht mit Elektroautos?

Nein, beim Gesamtabsatz. Aber auch die Türkei öffnet sich jetzt für Elektromobilität. Davon wollen auch wir profitieren. Wir wachsen unter anderem in Frankreich im Bereich unserer vollelektrischen Modelle sowie in Großbritannien und Italien. Die deutsche Situation ist aktuell die Ausnahme.

Beim im Juni vorgestellten Facelift für den e-tron GT haben Sie den Fokus auf Reichweite und Ladegeschwindigkeit gelegt. Sind gerade diese Parameter als Kaufargument für Kunden zu lange unterschätzt worden?

Dass diese Themen wichtig sind und wir überzeugen müssen, war schon immer unser Fokus bei allen unseren elektrischen Modellen, die aktualisiert oder neu in den Markt eingeführt wurden. Für die Kaufentscheidung ist es essentiell, dass Kunden hier kein Nachteil gegenüber Verbrennern entsteht.

Bei den ersten Elektromodellen der deutschen Hersteller wurde dennoch mehr über Leistung und Drehmoment gesprochen.

Wir waren mit Audi die ersten, die vollelektrische Serienmodelle im Portfolio hatten. Natürlich wurde da noch mehr über Leistung gesprochen als wir es heute tun. Heute weiß ich manchmal gar nicht genau, wie viel Leistung jedes unserer Elektromodelle mitbringt. Das ist auch nicht mehr so wichtig für unsere Kunden. Kaum noch jemand trifft seine Kaufentscheidung danach, wieviel kW Leistung sein Modell hat. Da zählen dann eben mehr Parameter wie Ladegeschwindigkeit, Reichweite oder Design.

Der e-tron GT hat sich im vergangenen Jahr weltweit dennoch nur 11.203 Mal verkauft, das Schwestermodell Taycan von Porsche über 40.000 Mal. Warum dieser große Unterschied?

Ich kenne beide Fahrzeuge tatsächlich gut, weil ich in meiner Zeit als Chinachef bei Porsche den Taycan auf dem chinesischen Markt eingeführt habe. Der Audi e-tron GT und Porsche Taycan sind deutlich anders positioniert. Unser e-tron GT ist die Speerspitze unseres elektrischen Produktportfolios und damit unser Spitzenmodell der BEV-Fahrzeuge. Ähnlich wie es der Audi R8 bei den Verbrennermodellen war. Diese spitze Positionierung übersetzt sich am Ende auch im Volumen. 

Was ist das Absatzziel mit der jetzt aktualisierten Variante?

Ich bin positiv gestimmt, dass sich unser e-tron GT weiterhin im Markt etablieren wird.

Sprechen wir über das Agenturmodell für die elektrischen Fahrzeuge. Geplant war ein Start im vergangenen Jahr in Spanien und Schweden, in diesem Jahr in Deutschland, Großbritannien und Frankreich. Wie ist das gelaufen?

Grundsätzlich in allen Märkten gut. Wir haben festgestellt, dass wir unsere Bestandsfahrzeuge viel schneller über das gesamte Land organisiert zu den Kunden bekommen. Wir haben den Gesamtbestand viel besser im Blick und können uns hier effizienter organisieren. In Frankreich haben wir den Start noch einmal nach hinten verschoben und planen ihn jetzt bis zum Ende dieses Jahres.

Was ist der Grund dafür?

Jeder Markt hat seine eigene gelebte Historie von Systemen und Prozessen. Die französische IT-Landschaft existiert schon etwas länger in ihrer jetzigen Form. Die Voraussetzungen sind daher noch nicht so, dass wir uns mit einer Einführung des Agenturmodells wohlgefühlt hätten. Für den Kunden darf es keine Einschränkungen geben. Das ist unser Fokus, bessere Prozesse im Sinne des Kunden zu etablieren. Stattdessen haben wir im November letzten Jahres dann neben Schweden in Spanien begonnen. Wir überprüfen kontinuierlich das Feedback und verbessern den gesamten Implementierungsprozess, um das bestmögliche Ergebnis für Kunden, Agenten und andere beteiligte Parteien zu erhalten.

Wie ist das Feedback aus den Märkten?

Positiv, auch wenn es zwei völlig unterschiedliche Länder sind. Spanien hat noch einen sehr geringen BEV-Anteil, in Schweden war man in der Spitze bei einem Anteil von 40 Prozent bei den Neuzulassungen. In beiden Ländern läuft es aber gut. Wir haben eine Belebung bei den Auftragseingängen verspürt, seit wir auf das Agenturmodell umgestellt haben. Natürlich gibt es in dieser Umstellung eine Zwischenphase, in der beide Seiten – also Handel und Hersteller - voneinander lernen müssen, das ist ganz normal. Seit März sind wir dazu ja auch mit der Agentur in Deutschland live, seit April in Großbritannien – wenn auch eingeschränkt.

Was heißt das?

In Großbritannien haben wir zunächst nur den Audi Q6 e-tron im Agenturmodell im Vertrieb. Der Hintergrund ist, dass es in Großbritannien ein sogenanntes Zero Emission Vehicle Mandate gibt, dass Hersteller konkret zu Quoten bei ihren Absätzen verpflichtet. 2024 müssen 22 Prozent unserer Neuzulassungen in Großbritannien vollelektrisch sein. Unseren Volumentreiber Audi Q4 e-tron werden wir deswegen erst später umstellen, um nicht in ein Risiko hineinzulaufen, wenn etwas nicht funktioniert. Deswegen gilt hier für uns erstmal: Neues Auto, neues Vertriebsmodell.

Wie geht es im Rest Europas weiter?

In Frankreich nehmen wir uns wie angesprochen bis Ende des Jahres Zeit, der nächste Markt wird Polen sein. Italien ist dann ein Sonderfall für uns, weil es die gesetzlichen Rahmenbedingungen, in denen wir das Agenturmodell in europäischen Ländern einführen, in der italienischen Rechtsprechung nicht gibt.

Welche Folgen hat das für Sie?

Eine Möglichkeit könnte in Richtung einer für Italien angepassten Variante gehen. In unserem aktuellen Modell übernehmen wir für den Händler den Lagerbestand und die Vorführfahrzeuge, aber nicht das Personal und die Gebäude. Dafür kriegt der Agent eine höhere Kommission, als wenn ich in eine echte Agentur gehe, wo auch das Gebäude und das Personal vom Hersteller bezahlt werden. Wir sind hier im engen Austausch mit den Marktverantwortlichen und unseren Handelspartner, gemeinsam werden wir den besten Ansatz unter den gegebenen rechtlichen Bedingungen wählen.

Wie ist die Lage in Deutschland?

Wir sind gut unterwegs. Die Agentur für Flottenfahrzeuge haben wir bereits seit über zehn Jahren erfolgreich für Handel und Kunde etabliert, womit wir bereits einen großen Anteil des Verkaufsvolumens abdecken. Die Einzelkundenagentur für BEV-Fahrzeuge ist also kein komplett unbekanntes System, was wir da im März eingeführt haben.

Sie haben es auf dem deutschen Markt nur mit selbstbewussteren Händlern zu tun…

Ja, aber das schätzen wir sehr. Und bevor Ihre Frage jetzt kommt: Es ist richtig, dass auch wir bei Audi überlegen, die Agentur über die batterieelektrischen Fahrzeuge hinaus auf das Gesamtangebot auszuweiten.

Welchen Zeitplan nehmen Sie sich dafür vor? Volkswagen-Händlerverbandschef Weddigen von Knapp hat bereits Widerstand angekündigt…

Wenn man sich die geplanten Absatzkurven vollelektrischer Fahrzeuge bei Audi ansieht, werden wir in den nächsten Jahren einen Punkt erreichen, an dem der Großteil des Absatzes über das Agenturmodell (Flottenagentur + BEV-Einzelkundenagentur) abgewickelt wird und der Anteil verbrennungsmotorischer Fahrzeuge über das Eigenhandelsgeschäft zunehmend rückläufig sein wird. Aus genau diesem Grund ist es unsere partnerschaftliche Verantwortung, gemeinsam mit dem Händlerverband in einem vertrauensvollen Dialog frühzeitig über die Transformation und Weiterentwicklung des Agenturmodells und seiner vertraglichen Grundlagen zu sprechen.

Teilen denn die deutschen Händler diese Ansicht?

Zwei parallele Vertriebssysteme bedeuten auch mehr Aufwand für unsere Händler. Die Frage ist: Können wir auf Dauer so weitermachen, oder hilft es nicht, das zusammenzufassen? Dafür müssen wir heute überlegen, wie die Situation in zwei oder drei Jahren aussieht, um dann gemeinsam mit dem Handel die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Das heißt, sie würden eine Netzkündigung durchführen und dann die Situation mit den Händlern neu sortieren?

Andersherum! Netzwerküberarbeitungen finden regelmäßig statt, unabhängig von der Agentur. Unsere Händlerverträge haben Kündigungsfristen von im Schnitt etwa zwei Jahren. Wir setzen uns aber schon vorher zusammen, um die Zukunft zu besprechen und wollen dem Handel so Kontinuität und Sicherheit geben. Diese Basis mit den neuen Vertragsbedingungen sollte aus meiner Sicht stehen, und muss von beiden Seiten getragen werden, bevor wir in eine neue Vertragsvereinbarung gehen. Nur so herum ergibt es für mich Sinn. Der Handel ist und bleibt die zentrale Schnittstelle zu unseren Kundinnen und Kunden und ist damit integraler  Bestandteil in unseren Planungen und so gehen wir auch miteinander um.

Wie ist der Plan auf Märkten, in denen Importeure das Geschäft organisieren? Nehmen Sie AMAG in Schweiz, oder Pon in den Niederlanden…

Manche unserer Importeure sind bei digitalen Kundenerfahrungen teilweise schon deutlich weiter, als wir es im Konzern sind. Mit vielen dieser Unternehmen gibt es sehr lange Beziehungen, teilweise über 50 Jahre. Einzelne unabhängige Importeure haben uns gegenüber ihr Interesse an Direktvertriebsmodellen bekundet. Natürlich setzen wir uns da zusammen und überlegen, welche Lösungen es geben kann. Møller hat in Norwegen die Agentur schon für eine andere Konzernmarke eingeführt. Diese Erfahrungen werden wir nutzen.

Letzte Frage: Was wünschen Sie sich von der neuen EU-Kommission?

Wir bei Audi hoffen, dass die EU-Kommission die langfristig gesetzten Ziele weiter im Fokus behält und nicht davon abrückt. Neue Erkenntnisse zu berücksichtigen, ist immer richtig, aber der gesellschaftliche Konsens für den Green Deal der EU ist da und wir sollten an ihm festhalten. Wir benötigen Planungssicherheit für unsere Produkte und unsere Produktionsmechanismen. Diese Stabilität in den Rahmenfaktoren ist uns enorm wichtig. Die Restwertsituation bei Elektroautos ist ein Ausdruck genau dieser Unsicherheit. Das ist nicht technisch bedingt, sondern einfach einer unsicheren Marktlage geschuldet. Die langfristigen Pläne sind definiert – jetzt sollten wir sie umsetzen.