Über viele Jahre war der Vorstand von Mercedes durch Kontinuität geprägt. Seit Ola Källenius im Jahr 2019 an die Spitze gerückt ist, hat er den Konzern weitgehend mit dem gleichen Personal geführt. Nun aber steht der erste große Wechsel an. Die Automobilwoche beantwortet die wichtigsten Fragen zum Umbau.
Mercedes: Was der Umbau des Vorstands bedeutet
Es ist der erste große Umbau der Ära Källenius: Vor allem in zwei Ressorts warten auf die neuen Manager große Herausforderungen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Gleich auf drei Posten wird der Vorstand von Mercedes neu besetzt. Der bisherige Van-Chef Mathias Geisen (46) übernimmt ab 1. März 2025 von Britta Seeger den Vertrieb. Seeger wird ab Mai für die rund 166.000 Mitarbeiter im Konzern verantwortlich sein. Die aktuelle Personalchefin Sabine Kohleisen (60) scheidet aus dem Unternehmen aus.
Außerdem wird der Vertrag von China-Chef Hubertus Troska (64) nicht mehr verlängert. Nachfolger von Troska wird zum 1.2.2025 Oliver Thöne (40), derzeit Leiter Produktstrategie und Steuerung. Troska bleibt dem Unternehmen als Generalbevollmächtiger für China bis 31. Juli 2025 erhalten.
Auch das Ressort für Integrität und Recht wird neu besetzt. Renata Jungo Brüngger (63) scheidet nach zehn Jahren Vorstandstätigkeit auf eigenen Wunsch kurz vor dem Auslaufen ihres Vertrages zum Ende Oktober 2025 verlassen. Alle Verträge wären offiziell bis Ende des kommenden Jahres gelaufen.
Ihr Nachfolger kommt als einziger nicht aus dem Unternehmen. Olaf Schick (52) ist derzeit Mitglied des Vorstandes der Continental AG, verantwortlich für Finanzen, Controlling, Integrität und Recht. Er war vor seiner Zeit bei Continental aber viele Jahre in verschiedenen Aufgaben bei Mercedes tätig, unter anderem in der Rolle als Leiter Finance & Controlling Greater China.
Unberührt vom Umbau bleiben die Ämter von CEO Ola Källenius, Finanzchef Harald Wilhelm, CTO Markus Schäfer und Produktionschef Jörg Burzer.
In erster Linie besetzt Mercedes Posten neu, die altersbedingt frei werden. So haben Troska und Jungo Brüngger ein Alter erreicht, bei dem die Verträge in der Regel nicht mehr verlängert werden. Kohleisen hätte theoretisch noch weitermachen können, wollte aber offenbar die Verjüngung des Vorstands mit beschleunigen und hat ihren Posten frei gemacht. Sie habe "viele wichtige Weichen" gestellt, sagte Aufsichtsratschef Martin Brudermüller.
Mit der Neubesetzung leitet Mercedes einen Generationenwechsel ein. So sind die neuen Mitglieder alle nach 1970 geboren und damit deutlich jünger als die Vorgänger. Allerdings verliert Mercedes mit Kohleisen und Jungo Brüngger zwei Frauen im Vorstand, so dass in Zukunft nur noch Britta Seeger verbleibt.
Vor allem ihr Wechsel ins Personalressort könnte auch einen strategischen Hintergrund haben. Mercedes-Chef Ola Källenius hebt zwar ihre Verdienste beim erfolgreichen Umbau des Vertriebs und ihre konsequente Kundenorientierung hervor. Doch um die 55-Jährige war es in den vergangenen Jahren auffallend ruhig geworden, während sich der Vertrieb in einem historischen Umbruch befindet.
Die Einführung des Agentursystems in vielen Märkten ist im Unternehmen umstritten und läuft zum Teil holprig. Auch der geplante Verkauf der eigenen Niederlassungen hat für erhebliche Unruhe unter den Beschäftigten gesorgt.
Die Rahmenbedingungen sind mit dem Betriebsrat zwar ausgehandelt. Noch ist aber völlig unklar, für wie viele Standorte sich wirklich Käufer finden lassen. Außerdem war der Ertrag des Unternehmens zuletzt gesunken, wozu auch ein nicht optimaler Produktmix beigetragen hat.
Während im Personalressort und beim Ressort für Integrität und Recht mit Kontinuität zu rechnen ist, dürfte es im Vertrieb und in China zu einer Kurskorrektur kommen. Zwar galt Hubertus Troska in China als versierter kultureller Vermittler im Joint-Venture mit dem Partner BAIC und den Behörden. Außerdem hat er die Vertriebsorganisation umgekrempelt und die Verkaufszahlen deutlich nach oben getrieben. Im Rekordjahr 2020 verkaufte Mercedes in China 758.000 Fahrzeuge.
Doch zuletzt musste Mercedes wie andere deutsche Hersteller schrumpfende Absatzzahlen hinnehmen. Im wachsenden Elektromarkt spielt die Marke mit dem Stern praktisch keine Rolle.
Dass mit Oliver Thöne nun ein Mann übernimmt, der bisher für die Produktstrategie und Steuerung verantwortlich war, darf als Fingerzeig gewertet werden. Thöne ist deutlich näher an der Entwicklung, hat die Weichen für das künftige Portfolio bis über das Jahr 2030 hinaus mit gestellt.
Unter seiner Führung dürfte das Thema Lokalisierung in China noch stärker vorangetrieben werden. Die Einbettung der Fahrzeuge in das digitale Ökosystem der chinesischen Kunden gilt dabei als wesentlicher Faktor für den Erfolg.
Auch im Vertrieb werden die Weichen neu gestellt. Mathias Geisen gilt als gewiefter Vertriebsstratege, der die Van-Sparte in den vergangenen Jahren überaus erfolgreich geführt hat. So gelang es ihm, in den vergangenen Quartalen durch einen klugen Produktmix jeweils eine höhere Rendite zu erzielen als die Pkw-Sparte.
Genau hier soll Geisen nun ansetzen und innerhalb der Baureihen von A-Klasse bis S-Klasse dafür sorgen, dass die Erträge steigen. Dies ist auch Teil der Luxus-Strategie von Ola Källenius, wonach innerhalb der Segmente jeweils die gut ausgestatteten Modelle bevorzugt verkauft werden sollen. Das hat in der Corona-Pandemie sehr gut funktioniert, inzwischen sinkt der durchschnittliche Verkaufspreis pro Fahrzeug aber wieder.
Außerdem sollen die Finanzdienstleistungen und der Handel in Zukunft enger verzahnt werden und vor dem Kunde einheitlich auftreten, um Synergien zu heben und den Verkaufsprozess zu vereinfachen und zu beschleunigen.