Themen, Ziele, Positionen: Was vom ersten EU-Autogipfel zu erwarten ist

Von Autogipfeln wollen die meisten deutschen Automanager eigentlich nichts mehr wissen. Dennoch werden am Donnerstag zahlreiche hochrangige Vertreter der europäischen Automobilindustrie nach Brüssel reisen, um einer Premiere beizuwohnen.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat zu einem "strategischen Dialog über die Zukunft der europäischen Autoindustrie" eingeladen. Der Austausch soll der Auftakt sein für vertiefende Gespräche, die womöglich einen wichtigen Anstoß geben können für eine breite Reform der EU-Wirtschaftspolitik.

Ob es dabei bei einem unverbindlichen Austausch bleiben wird, oder ob der Dialog wie von der Kommissionspräsidentin geplant auch zu "konkreten Maßnahmen" führen wird, ist noch ungewiss.

Wie ernst sie die Lage einschätzt, machte von der Leyen beim jüngsten Weltwirtschaftsforum in Davos deutlich. Bei allen künftigen Maßnahmen spiele auch der Faktor Zeit eine Rolle, um Europa wieder nach vorne zu bringen, betonte sie: "Die nächsten Jahre werden entscheidend sein, wenn wir im Wettlauf um saubere und bahnbrechende Technologien nicht den Anschluss verlieren wollen."

Und es gehe auch um mehr Tempo im globalen Klimaschutz: "Bei diesen Herausforderungen sind wir nicht in einem Wettlauf gegeneinander, sondern in einem Wettlauf gegen die Zeit. Selbst in einem Moment harter Konkurrenz müssen wir unsere Kräfte bündeln. Und Europa wird weiterhin die Zusammenarbeit suchen."

Die neue Gesprächsbereitschaft der EU-Kommission in Bezug auf die Autobranche ist der Erkenntnis geschuldet, dass Europas Automobilindustrie in einer strukturellen Krise steckt.

Nach dem VW-Dieselskandal waren Teile der EU-Kommission und noch stärker des EU-Parlaments auf Distanz zu den Nöten der Branche gegangen, von der sie sich betrogen und vorgeführt sahen.

Mit den nahezu im Wochenrhythmus eintrudelnden Insolvenz-Meldungen aber gewinnen in der EU die Stimmen an Gewicht, die vor weiteren Belastungen der Branche warnen. Sie steht schließlich für 13 Millionen Arbeitsplätze (in der EU27) und sieben Prozent des Bruttosozialprodukts der gesamten Gemeinschaft.

In dieser Situation hat Kommissionspräsidentin von der Leyen ihren Verkehrs- und Tourismusminister Apostolos Tzitzikostas damit beauftragt, einen "Aktionsplan" auszuarbeiten, um die Zukunft der Automobilbranche in Europa zu sichern und die Rahmenbedingungen zu verbessern.

Von der Leyen und ihr Team haben fünf Themenfelder definiert, über die der neue Dialog mit der Autobranche ihrer Ansicht nach geführt werden muss. Hier listen wir in wörtlicher Zusammenfassung die geplanten fünf Themenfelder des europäischen Automobildialogs auf:

1. Innovation und Führungsrolle bei künftigen Technologien und Fähigkeiten (insbesondere Software, autonomes Fahren, Batterien der nächsten Generation).
2. Grüner Wandel der Industrie und Dekarbonisierung: Der Übergang zu einer sauberen Mobilität ist eine Chance für die Branche, neue Märkte zu erschließen, Innovationen zu entwickeln und die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern.
3. Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandsfähigkeit (Energie, Arbeit, Rohstoffe und andere Bereiche): Die Sicherstellung weltweit wettbewerbsfähiger Inputkosten (Energie, Arbeit, Materialien) und Versorgungssicherheit ist für das Gedeihen der europäischen Automobilindustrie entscheidend.
4. Handelsbeziehungen und internationale Wettbewerbsbedingungen: In den letzten Jahren haben mehrere außereuropäische Länder begonnen, selbstbewusste Industriestrategien zu verfolgen, die darauf abzielen, einen größeren Anteil an der weltweiten Automobilproduktion zu erobern oder diese sogar zu dominieren. Diese Strategien beinhalten Praktiken, die den Wettbewerb verzerren, wie etwa umfangreiche staatliche Investitionen, wodurch ungleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden.
5. Vereinfachung der Rechtsvorschriften und Optimierung der Verfahren: Es gibt Potenzial für die Optimierung des gesamten regulatorischen Umfelds, das die Automobilindustrie betrifft. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass die Ziele des aktuellen regulatorischen und politischen Rahmens weiterhin erreicht werden.

Bessere Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb und neue Wachstumsimpulse fordern die Unternehmen der Branche und ihre Verbände seit Langem.

Die Generalsekretärin des Europäischen Herstellerverbandes Acea, Sigrid de Vries, erklärte im Vorfeld des Gipfels kurz und knapp: „Keine Zeit mehr für Berichte - der Strategische Dialog muss jetzt auf der Grundlage der Draghi-Empfehlungen echte Wirkung zeigen. Wir müssen von einem sanktionsgesteuerten zu einem marktorientierten und nachfragegesteuerten Ansatz für den Übergang übergehen.“

Der seit Januar amtierende ACEA-Präsident, Mercedes-CEO Ola Källenius, lobt zumindest die Bereitschaft der Kommission zu einer Infragestellung des bisherigen Politikstils: "Der strategische Dialog (...) wird eine großartige Gelegenheit sein, Reformen und Maßnahmen zu diskutieren", schreibt Källenius in einem vom Acea veröffentlichten Brief an von der Leyen.

In seinem Brief fordert er eine grundsätzliche Neuausrichtung der EU-Politik für die Autoindustrie und nennt drei Themenfelder (wörtliche Wiedergabe):

1. "Einen realistischen Weg zur Dekarbonisierung der Automobilindustrie, der vom Markt und nicht von Strafen bestimmt wird; eine Lösung für die unverhältnismäßigen Kosten der Einhaltung des CO2-Ziels für 2025 für Pkw und Transporter finden."
2. "Die Umsetzung der Empfehlungen des Draghi-Berichts: Schaffung eines Rechtsrahmens, der die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie stärkt."
3. "Die Förderung neuer Ansätze zur Schaffung weltweiter, für beide Seiten vorteilhafter Handelsbeziehungen, damit die EU weiterhin vom freien und fairen Handel profitiert."

Eine Abschottung der EU von China lehnt Källenius ausdrücklich ab: "Bis zu einem gewissen Grad ist es verständlich, dass die EU ihren heimischen Markt und ihre Wirtschaft vor Akteuren schützen muss, die sich nicht an die WTO-Regeln halten. Die Erfahrung hat aber auch gezeigt, dass es bei möglichen Handelskriegen keine Gewinner gibt."

Kaum verhohlene Skepsis gegenüber dem EU-Autogipfel äußert dagegen VDA-Präsidentin Hildegard Müller. "Ein strategischer Dialog mit Vertreterinnen und Vertretern der Autoindustrie ist im Grundsatz richtig - ob er auch zielführend sein kann, wird sich zeigen", sagte Müller gegenüber der "Osnabrücker Zeitung."

Wenig Verständnis hat Müller auch für die Einladung der Nichtregierungsorganisation Transport & Environment (T&E) zu dem Austausch. T&E hat in den vergangenen Jahren immer wieder mit Anlaysen und Studien die Fortschritte der Dekarbonisierungs-Strategie der EU kritisch begleitet. Zugleich habe Kommissionspräsidentin von der Leyen nicht den automobilen Mittelstand nach Brüssel eingeladen, der gerade in der deutschen Automobilindustrie eine wichtige Rolle spielt.