Herr Schäferbarthold, Hella wird dieses Jahr 125. Wie fit ist der Jubilar?
Aus meiner Sicht sehr fit. Wir sind sehr stark in allen Zukunftsfeldern der Automobilindustrie positioniert. Bei Hella wurden in der Vergangenheit viele gute Entscheidungen bei der Ausrichtung des Produktportfolios getroffen. In unseren drei Geschäftsbereichen Licht, Elektronik und Lifecycle Solutions sind wir in Wachstumsfeldern tätig, die großes Potenzial bieten. Wir profitieren heute unter anderem schon von Elektrifizierung und automatisiertem Fahren.
Die Forvia-Gruppe hat im vergangenen Jahr 190 Millionen Euro Kostensynergien erzielt, davon entfiel über die Hälfte auf Hella. Wurde bei der deutlich größeren ehemaligen Faurecia in der Vergangenheit strenger auf die Kosten geachtet oder sind Sie effizienter in der Kostenreduktion?
Der größere Teil der Einsparungen kommt aus den Einkaufssynergien. Durch das gebündelte Volumen konnten wir für die Hella einen signifikanten Vorteil generieren. Wir haben immer das Ziel, gemeinsam mit Forvia wettbewerbsfähiger zu sein. 190 Millionen Euro Einsparungen sind aus meiner Sicht eine beeindruckende Zahl. Zum Jahresende 2023 haben wir das Ziel für Ende 2025 auf über 350 Millionen Euro erhöht, die Hälfte davon entfällt auf Hella. Das zeigt, dass unsere Ideen und Maßnahmen greifen.
Sie wollen durch Verlagerungen in der Produktion und verringerte Kapazitäten Einsparungen erzielen. Können Sie das näher erläutern?
Wir sehen, dass der europäische Markt bis zum Jahr 2030 stagniert. Unsere ursprünglichen Erwartungen an den Markt mussten wir deutlich reduzieren. Daher sehen wir uns gezwungen, unsere Kostenstrukturen in Europa anzupassen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und um die geringeren Volumina und das fehlende Wachstum im europäischen Markt auszugleichen. Unser kürzlich angekündigtes Wettbewerbsprogramm ist aber viel mehr als ein reines Strukturprogramm. Es ist vor allem auch ein Investitionsprogramm. Wir werden auf dem Kontinent viel in Standardisierung, Automatisierung und Künstliche Intelligenz investieren. Auch das wird letztlich zu Kosteneinsparungen führen.
Welche Standorte wollen Sie schließen oder wo sollen Kapazitäten zusammengelegt werden?
Wir arbeiten derzeit an der Ausgestaltung. Erste Gespräche mit den Arbeitnehmervertretern und der IG Metall wurden geführt. Weitere Details zum gesamten Programm werden wir im Sommer kommunizieren. Bis dahin werden wir das Programm weiter ausdetaillieren.
Die Forvia-Gruppe hat angekündigt, in den kommenden fünf Jahren 10.000 Stellen streichen zu wollen. Welchen Anteil daran wird Hella liefern?
Die Zahl lässt sich nicht eins zu eins auf Hella übertragen. Hintergrund ist, dass die Business Groups sehr unterschiedlich sind und die Maßnahmen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit daher teils anders ausfallen oder anders gewichtet sind. Unser Wettbewerbsprogramm wird zwar ebenfalls einen Restrukturierungsanteil haben, der größere Teil bezieht sich aber darauf, effizienter und produktiver zu werden.
Das Lichtgeschäft liegt beim operativen Ergebnis hinter den anderen Geschäftsbereich zurück. An welchen Stellschrauben wollen Sie drehen?
Unsere letztliche Zielsetzung im Lichtbereich liegt deutlich höher. Aber den Turnaround haben wir geschafft. Wir sind momentan sogar etwas besser unterwegs, als das unser ursprünglicher Zeitplan vorgesehen hatte. Die Verbesserungen kommen über die gesamte Wertschöpfungskette.
Können Sie da ins Detail gehen?
Wir wollen erstens sowohl im Produktdesign als auch in der Architektur unserer Produkte die Variantenvielfalt und damit die Komplexität reduzieren. Damit erhöhen wir unsere Effizienz in der Entwicklung und in der Fertigung. Durch die geringeren Volumina im Markt müssen wir zweitens genau auf die Auslastung unsere Linien in der Fertigung schauen. Wir setzen daher verstärkt darauf, unsere Linien universeller einsetzen zu können. Künftig sind unsere Montagelinien in der Lage, verschiedene Scheinwerfersysteme zu assemblieren. Das macht uns deutlich wettbewerbsfähiger, weil wir auf Auslastungsschwankungen viel schneller reagieren können.
Ertragsstärker ist der Geschäftsbereich Elektronik. Welche Produkte machen Ihnen besonders viel Freude und welche weniger?
In Summe verfügen wir insgesamt über ein sehr starkes Produktportfolio, aus dem sich einzelne Produkte nur schwer herausheben lassen. Wir richten uns immer an den starken Wachstumsfeldern aus und wo wir von Volumensteigerungen profitieren können. Das sind beispielsweise der Bereich Elektrifizierung und Energiemanagement.
Was meinen Sie damit konkret?
Vor allem Batterie- und Leistungselektronik für Elektrofahrzeuge, also beispielsweise Batteriemanagementsysteme und Spannungswandler. Ein weiterer Bereich betrifft das automatisierte Fahren, das wir mit unseren Radarsystemen bedienen. Hella war schon im letzten Jahrzehnt führend mit seinen 24 Gigahertz-Radarsensoren. Mit unserem neuen 77 Gigahertz-Radarsensoren sind wir wieder einer der führenden Anbieter. Das sind Produkte, die uns viel Freude bereiten und wo wir uns auch in Zukunft mit der entsprechenden Marktentwicklung weiteres Wachstum versprechen.
Der Geschäftsbereich Lifecycle Solutions ist Ihr renditestärkster Bereich. Wo sehen Sie Wachstumsfelder?
Ja, der Bereich macht uns viel Freude. Wir arbeiten kontinuierlich daran, im Ersatzteilgeschäft unser Produktportfolio zu erweitern. Zuletzt haben wir das Joint Venture für Bremsen von TMD Friction vollständig übernommen. Im Bereich Special Original Equipment sind wir im Lichtbereich sehr stark mit verschiedenen Kundengruppen unterwegs. Dort können wir noch viel stärker von unserer Elektronikkompetenz profitieren. Kunden etwa aus den Bereichen Land- oder Baumaschinen versuchen wir sukzessive mehr elektronische Bauteile zu verkaufen. Heute sind wir vor allem auf dem europäischen Markt aktiv, wir werden aber künftig im US-amerikanischen Markt stärker wachsen. Dort investieren wir derzeit stark. Im Bereich Special Original Equipment haben wir dort im Lkw-Bereich größere Aufträge gewonnen. Auch die Werkstattprodukte bauen wir unter anderem mit Diagnosegeräten, beispielsweise für die Ferndiagnose, weiter aus.
In welchen Märkten sehen Sie das größte Potenzial?
Im amerikanischen und in den asiatischen Märkten. Wir sehen zwar auch weiterhin Wachstumsmöglichkeiten für uns in Europa, aber unterproportional zu den anderen Märkten. Das größte Potenzial sehen wir nach wie vor im chinesischen Markt, aber auch mit japanischen Kunden. Obwohl der US-Markt volumenseitig nicht sehr stark wächst, erwarten wir dort bei uns einen gewissen Nachholeffekt. Wir gehen davon aus, dass wir im US-Markt deutlich überproportional wachsen werden.
Und wie sehen Sie den indischen Markt?
Auch dieser bietet uns perspektivisch gute Chancen. Heute werden in Indien etwa vier Millionen Fahrzeugen produziert. Für 2030 erwarten wir nahezu eine Verdoppelung. Der Markt wird dann in etwa halb so groß sein wie der europäische.
Welchen Marktanteil haben Sie in Indien?
Indien ist für uns heute noch ein relativ kleiner Markt. Unser Umsatz liegt dort bei etwa 200 Millionen Euro. Zum Vergleich: Der Hella-Umsatz lag in 2023 insgesamt bei acht Milliarden Euro.
Ist das geplante überproportionale Wachstum in Asien und in Amerika vor allem dem Geschäft mit traditionellen Kunden oder den neuen Anbietern geschuldet?
Beides. Wir sehen deutlich, dass die bereits im Markt etablierten Kunden technologisch aufrüsten. Hochauflösende Systeme und die neuesten Innovationen im Lichtbereich waren in der Vergangenheit häufig erst in europäischen Fahrzeugen zu finden. Derzeit sehen wir eine hohe Nachfrage danach von den traditionellen Fahrzeugherstellern. Aber auch mit den neuen Anbietern wachsen wir stark.
Wollen Sie sich von Geschäftsbereichen trennen?
Von unseren Kernbereichen wollen und werden wir uns nicht trennen. Wir werden weiterhin unser Portfolio bewerten und uns immer wieder die Frage stellen, ob wir mit einzelnen Elementen wettbewerbsfähig sein können, aber wir stellen keine größeren Geschäftsbereiche zum Verkauf.
Hella hat mit elf Prozent eine relativ hohe Forschungs- und Entwicklungsquote. Bleibt das so?
Elf Prozent sind zu hoch. Wir werden weiterhin ein Technologiekonzern bleiben und einen hohen Anteil in die Entwicklung investieren. Wir wollen aber unter zehn Prozent FuE-Quote kommen.
Ist das ein mittelfristiges Ziel?
Wir wollen dieses Ziel in den kommenden zwei bis drei Jahren erreichen.
2023 hatten Sie Aufträge für rund elf Milliarden Euro. Wie ist 2024 angelaufen?
Ähnlich gut. Bis jetzt sind wir sehr zufrieden. Die elf Milliarden Euro waren 2023 erneut ein Rekordauftragsjahr.
Welche veränderten Standortbedingungen wünschen Sie sich für Deutschland?
Planbarkeit ist ein wichtiges Element. Die sehr kurzfristige Entscheidung der Politik, die Förderung von Elektrofahrzeugen abzuschaffen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass momentan deutlich weniger E-Fahrzeuge abgesetzt werden. Es ist wichtig, klarere Planungsgrundlagen zu haben. Mit solch kurzfristigen Änderungen kann die gesamte Industrie nur schwer umgehen. Die langfristigen Zielstellungen für die Elektromobilität werden dadurch aber nicht infrage gestellt.
Welche Schwerpunkte wollen Sie setzen?
Die Kunden sehen uns ganz klar als Technologieunternehmen. Einer der Schwerpunkte ist, dass wir unsere Innovationskraft und unsere Technologieführerschaft weiter auf die globalen Wachstumsmärkte übertragen müssen. Punkt zwei: Wir müssen uns fit für Europa machen, was nur über eine reduzierte Kostenstruktur geht. Drittens, wir müssen einfacher werden. Das heißt, dass wir die Entwicklungszyklen und die Prozesskomplexität reduzieren müssen. Wir haben über die Jahrzehnte zu viel Bürokratie aufgebaut. Das müssen wir jetzt Schritt für Schritt reduzieren. Wir müssen deutlich schneller werden in allen Abläufen, die wir haben.