Herr Stark, dieses Jahr soll Ihre Division für einen Investor oder einen Börsengang bereit sein. Was wäre Ihr Hauptargument, um Ihren Bereich schmackhaft zu machen?
Die Ausgliederung der Passiven Sicherheitstechnik aus dem ZF-Konzern schreitet in der Tat gut voran und unsere neue Marke ZF Lifetec ist ein nach innen und außen sichtbares Signal für die eigenständige Positionierung und den Anspruch der Division Passive Sicherheitstechnik. Wichtig ist vor allem, dass wir unabhängig sind von der Transformation im Antriebsstrang. Wir profitieren eher von der Aufweitung der Antriebssysteme. Zudem spricht für uns auch unsere lange Erfahrung, die wir in der passiven Sicherheitstechnik haben. Wir sind zwar ein Unternehmen, das jetzt mit ZF Lifetec einen neuen Namen hat, aber im Grunde sind wir seit 1961 mit den Kunden im Gespräch.
Wo sehen Sie Wachstumschancen für Ihre Division?
Wir profitieren unter anderem von den Änderungen im Gesamtfahrzeug. Der Fahrzeughersteller hat zunehmend weniger Möglichkeiten, sich vom Wettbewerb zu differenzieren. Wir bieten zwar nicht die Differenzierung, aber wir schaffen die Möglichkeiten dafür.
Worauf spielen Sie an?
Wir sorgen für mehr Platz in der Fahrzeugfront und stellen sicher, dass die passive Sicherheit solche Szenarien abdecken kann. Insbesondere aus Asien sind einige Trends erkennbar in Form von großen Displays, neuen Sitzkonfigurationen, schönen Oberflächen und anderes mehr. Oft wird dafür mehr Platz im Interieur benötigt. Wir sehen uns als Enabler, der für den OEM die nötigen Freiheitsgrade schafft.
Sind auch neue Sicherheitsregularien ein Treiber?
Das Thema ist gerade im Fluss. Derzeit erleben wir eine Revolution im Bereich Antriebstechnik. Die Technologie wird jetzt erst mal in die Fahrzeuge gebracht, und im nächsten Schritt wird das auch die passive Sicherheit beeinflussen. Da braucht es Systemverständnis, um die erhöhten Anforderungen abzubilden. Das wird sich dann auch in den Regularien widerspiegeln.
Wie groß ist der weltweite Markt für passive Sicherheitstechnik?
Das hängt von vielen Einflussfaktoren ab – größter Einflussfaktor ist die globale Fahrzeugproduktion. Im Jahr 2023 wurden weltweit über 75 Millionen Fahrzeuge produziert. Für die passive Sicherheit schätzen wir darauf basierend das Marktvolumen für 2023 auf rund 18 Milliarden Euro.
Wie verteilen sich Ihre Umsätze in den einzelnen Regionen?
Wir wachsen global und entlang der Märkte und Kunden – ich denke das ist die wichtigste Botschaft. Wir haben Strukturen geschaffen, die flexibel genug sind, um sich an die wachsende Dynamik der Märkte anzupassen.
Auf welchen Märkten sehen sie das größte Potenzial für Ihre Division?
Zum einen in Nordamerika und Europa, aber auch in Asien. Und dort jeweils mit den traditionellen OEMs, aber auch mit den neuen Kunden, die dort sehr erfolgreich sind.
Welche mittelfristige Umsatzerwartung haben Sie für Ihre Sparte?
Im Geschäftsjahr 2023 haben wir 4,7 Milliarden Euro Umsatz erzielt. 2022 waren es 4,5 Milliarden Euro. Wir sehen uns auch für die kommenden Jahre auf Wachstumskurs.
Bei der passiven Sicherheit gibt es mit Autoliv und Joyson Safety Systems nur zwei wesentliche Wettbewerber für Komplettsysteme. Wie schätzen Sie Ihre Position ein?
Technologisch sehe ich uns im Vergleich relativ weit vorne. Wir stellen uns die Frage, was der nächste Treiber sein könnte. Alles, was im Gesamtsystem Airbag und Gurt entwickelt und produziert wird, kommt von uns. Das macht sonst kein anderer. Wir haben eine 100-prozentige Inhousefertigung für diese qualitätssensitiven Produkte. Darin sehen wir einen klaren Vorteil für uns, weil die Qualität bei der passiven Sicherheit das A und O ist. Kein Kunde will hier ein Risiko eingehen und auch der Gesetzgeber achtet sehr genau auf die Qualität der Produkte. Da gibt es keine Toleranz.
Wie groß ist Ihr Werkverbund?
Weltweit verfügen wir über 46 Standorte mit 35 Werken, davon vier in Deutschland. Von unseren 35.000 Mitarbeitern arbeiten rund 3000 in Deutschland.
Müssen sich Ihre Mitarbeiter in Deutschland Sorgen wegen eines Jobverlustes machen?
Wir wachsen relativ gut und sind international sehr gut aufgestellt. Damit haben wir keinen Druck, größere Verlagerungen vornehmen zu müssen. Mit unseren Werken und Engineering-Einheiten sind wir zudem schon heute direkt beim Kunden.
Wo finden Ihre wesentlichen Entwicklungen statt?
In Alfdorf entwickeln wir in erster Linie Sicherheitsgurte und Airbags als Gesamtsystem, weil wir hier auch über die Prüfeinrichtungen verfügen. Unser weltweites Entwicklungszentrum für Gasgeneratoren ist in Aschau am Inn bei München. Zudem haben wir ein Entwicklungszentrum für Lenkräder in Aschaffenburg. Aber auch in China realisieren wir bereits sehr viele Neuentwicklungen und in den USA haben wir in Detroit ein großes Entwicklungszentrum.
Welche Entwicklungen erwarten Sie bei Rückhaltesystemen?
Wir verfolgen drei Punkte. Zum einen sind das die Folgen aufgrund der höheren Fahrzeuggewichte. Da spielt die E-Mobilität eine Rolle, aber auch der allgemeine Trend zu schwereren Fahrzeugen. Gemeint sind dabei vor allem SUVs, die weiterhin schwerer und größer werden. Im Falle eines Crashs mit einem kleineren Fahrzeug kann das natürlich kritisch für deren Insassen werden. Es ist uns wichtig, sowohl für schwere wie auch leichte Fahrzeuge eine gute Technologie zu bieten und das entsprechend aufeinander abzustimmen. Die dort neu entwickelten Technologien treiben auch unser Wachstum. Das zweite Thema läuft bei uns unter dem Namen Interieur of the Future.
Was verstehen Sie darunter?
Getrieben durch die E-Mobilität und das teilautomatische Fahren sehen wir, dass sich das Cockpit stark wandelt. Heute ist das Cockpit noch sehr stark um das Lenkrad zentriert. Das Lenkrad wird zwar auch in Zukunft ein wichtiger Bestandteil bleiben, aber der Trend geht mehr in Richtung Infotainment.
Welchen Einfluss hat das auf Ihr Geschäft?
Sowohl für den Fahrer als auch für den Beifahrer kommen immer mehr Displays ins Fahrzeug, um zu informieren oder auch den Beifahrer zu unterhalten. Genau dort, wo sich die Displays befinden, sind heute die Airbags platziert. Und damit haben wir natürlich einen Innovationsdruck, dort neue Produkte zu platzieren.
Woran denken Sie dabei?
Eine Lösung ist zum Beispiel den Airbag im Fahrzeugdach zu integrieren. Damit wird die komplette Front frei für neue Displays, schönere Oberflächen, Ablagemöglichkeiten für einen Laptop oder was immer künftig gewünscht wird. Das dritte Thema sind die neuen Märkte.
Meinen Sie damit Asien?
Vor allem die dortigen Schwellenländer wie Indien. Dort ist der Anteil der Fahrzeuge mit ausreichenden Sicherheitsausstattungen relativ gering und es gibt Wachstumsmöglichkeiten für uns. Was uns wichtig ist: Wir schützen Leben und wir vermeiden Leid. Und es gibt einen ganz klaren wirtschaftlichen Faktor.
Und der wäre?
Jeder Unfall hat Folgen. Körperliche, aber auch soziale und finanzielle, weil in Folge eines Unfalls der Genesungsprozess eines Unfallopfers oder gar dessen Tod große finanzielle Schäden verursacht. Dieses Thema spielt in den Schwellenländern eine große Rolle. Indien hat beispielsweise pro Jahr 150.000 Verkehrstote. Dieser wirtschaftliche Faktor wird auch von der dortigen Legislative gesehen.