Wie Bosch das Ende der Mechanik einläutet

Der Porsche Cayenne fährt mit Tempo 90 auf das Hindernis zu. Im letzten Moment reißt der Fahrer das Steuer herum und leitet das Ausweichmanöver ein. Mit einem kurzen Ruckeln umkurvt das Fahrzeug die Hütchen und findet in die Spur zurück.

Was der Fahrer kaum spürt: Die Software hat übernommen und wie ein Dirigent im Orchester Bremse, Lenkung, Antrieb und Dämpfung so gesteuert, dass das Auto möglichst kontrolliert die brenzlige Situation meistert. Vehicle Motion Management (VMM) nennt Bosch das neue System. "Das ist wirklich spektakulär", sagt Mathias Pillin, Leiter Automotive Software bei Bosch.

Noch fährt der Porsche Cayenne nur als Versuchsfahrzeug auf der Teststrecke des Entwicklungszentrums von Bosch in Renningen. Doch noch vor Ende des Jahres soll die Software-Lösung erstmals in Serie gehen. Allein für zurückliegende Wintererprobungen hatte Bosch nach eigenen Angaben mehr als 20 Testfahrzeuge großer Marken mit VMM-Varianten ausgestattet.

Insgesamt will das Unternehmen damit im Jahr 2030 einen Umsatz in dreistelliger Millionenhöhe erzielen. Der Vorteil für die Hersteller ist aus Sicht von Bosch nicht nur ein Plus an Komfort und Sicherheit. Auch der Abstimmungsbedarf mit Lieferanten soll sinken, weil alles aus einer Hand kommt.

Damit verfestigt sich ein Trend, der bereits seit einigen Jahren zu beobachten ist: Die Mechanik im Auto ist auf dem Rückzug, es übernimmt die Software.

Wo früher der Fahrer heftig auf die Bremse treten musste, um eine entsprechende Wirkung zu erzeugen, kann heute die Elektronik in Verbindung mit den Sensoren den Impuls so steuern, dass ein Fehlverhalten des Fahrers ausgeglichen werden kann. Meldet das ESP beispielsweise fehlende Reibung unter den Rädern, kann die Software beim Lenkwinkel eingreifen und so ein Untersteuern in der Kurve verhindern.

Die von der Hardware entkoppelte Bremse hat weitere Vorteile. So erlaubt das Fehlen der Mechanik neu gestaltete Brems- und Gaspedale, die beinahe wie ein Touchpad im Fußraum angebracht sind. Es genügt die sanfte Auflage des Fußes, um die gewünschte Wirkung zu entfalten.

Mit dem System eBrake to Zero hat Bosch außerdem ein System entwickelt, mit dem im Stop-and-Go-Verkehr das ruckartige Bremsen der Vergangenheit angehört. Das Auto bremst wie beim Rekuperieren über den E-Motor sanft ab. Regelmäßiges Nicken der Passagiere ist nicht mehr.

Ähnlich viele Möglichkeiten bietet die elektronische Lenkung, an der beispielsweise auch Schaeffler, ZF und andere Zulieferer intensiv arbeiten. Die Lenkimpulse werden dabei über ein Kabel übertragen, der Einschlag der Räder über Stellmotoren elektronisch geregelt. Weil die Lenksäule entfällt, kann das Fahrzeug leicht als Links- oder Rechtslenker konfiguriert werden. Lediglich der Lenkradaktuator wechselt die Cockpitseite. Komplizierte Umbauten im Motorraum entfallen.

Über die elektronische Steuerung kann die Lenkung der Fahrdynamik angepasst werden, von sportlich-direkt bis komfortabel-entspannt. Fährt das Auto über ein Hindernis, kann der ansonsten zu erwartende Schlag auf das Lenkrad gedämpft werden.

Beim Einparken entfällt das lästige Kurbeln am Lenkrad, wenn schon eine Viertelumdrehung einen starken Einschlag der Räder nach sich zieht. Die Sensitivität des Lenkrads ließe sich wie die Bremse individuell auf den Fahrer und seine Vorlieben einstellen.

"Wir können erstmals vollkommen frei definieren, was und wie viel von den Eingriffen der Assistenzsysteme am Lenkrad spürbar ist", sagt Thilo Bitzer, Senior Vice President Global Steering Engineering bei ZF.  Auch ZF bündelt sämtliche Eingriffe wie Bosch in der Steuerungssoftware Cubix.

Für das automatisierte Fahren in höheren Stufen ist die elektronische Steuerung praktisch unerlässlich, da die Systeme redundant sein müssen, um Ausfälle zu vermeiden und die Sicherheit zu gewährleisten. Die Steuerung der Fahrfunktionen über die Software erlaubt dann auch eine Neugestaltung des Innenraums.

Bei vollautomatisierten Fahrzeugen sind damit Konzepte denkbar, bei denen das Lenkrad im hochautomatisierten Fahrmodus in das Armaturenbrett einfährt und zusätzlichen Bewegungsraum vor dem Fahrersitz schafft. Gleiches gilt für Brems- und Gaspedale, die deutlich weniger Platz benötigen als bisher.