Die Welle baut sich auf

Im ersten Halbjahr 2022 zählte die Restrukturierungs- und Insolvenzberatung Falkensteg hierzulande insgesamt neun Insolvenzen in der Autozulieferindustrie. Das ist ein Anstieg von 50 Prozent gegenüber der ersten Jahreshälfte des Vorjahres. Und voraussichtlich werden die Zahlen im zweiten Halbjahr deutlich steigen.

Laut Jochen Wierz, Automotive-Experte und Partner im Bereich Corporate Finance bei Falkensteg, ist das zweite Halbjahr "das traditionell schwierigere". Zum Vergleich: Im zweiten Halbjahr 2021 kamen zu den sechs Insolvenzen der ersten Jahreshälfte weitere 24 in der zweiten Jahreshälfte dazu. Wierz führt das auf die leistungsschwächeren Monate Juli und August aufgrund der Werksferien bei den Fahrzeugherstellern sowie den Dezember zurück.

Betroffen waren von den Insolvenzen in der ersten Jahreshälfte 2022 Mittelständler mit 30 bis 600 Mitarbeitern und Umsätzen zwischen 13 und 178 Millionen Euro. "Unternehmen in dieser Größenordnung sind von der aktuell schwierigen Situation mit vielen Herausforderungen am stärksten betroffen", erklärt der Automotive-Experte. Diese Unternehmen hätten oft nur begrenzte Verhandlungsmöglichkeiten gegenüber ihren Kunden bei den stark gestiegenen Material- und Energiekosten. "Bei Gesprächen über Kompensationen gehören sie in der Regel nicht zur ersten Gruppe."

Vor allem Kunststoffverarbeiter sind von den gestiegenen Kunststoffpreisen besonders betroffen, "weil es dort häufig keine Materialteuerungs-Regelung gibt, wie das bei Metallen üblich ist". Beim Aluminium werden laut Wierz beispielsweise die Preise quartalsweise angepasst. Das heißt, die Zulieferer haben einen Verzug von einem Quartal, bevor sie im folgenden Quartal die Preisveränderungen auf den Kunden umlegen können. "Es gibt also einen Kompensationsmechanismus. Zudem greift dieser Mechanismus sowohl für gestiegenen wie fallenden Preisen."

Nach Angaben des Falkensteg-Partners sind viele Kunststoffe nicht börsennotiert und in der Vergangenheit die Preise sehr stabil, so dass es keinen Automatismus für Kompensationen gab. "Wir sehen jetzt aber, dass der ein oder andere Zulieferer auf den Preissteigerungen im Kunststoffbereich sitzenbleibt. Das Thema ist komplex, weil es oft nicht ein bestimmter Kunststoff ist, sondern Kunststoffgruppen im Spiel sind." Teilweise seien von Seiten der Fahrzeughersteller auch Kompensationen erfolgt. Das sei auch ein Grund dafür, dass es trotz der massiven Rohstoffrisiken bislang zum Glück ein überschaubares Insolvenzgeschehen gebe.

Zudem würden bei vielen Unternehmen die Renditen unter Druck stehen. "Das kommt zum einen durch eine verzögerte Kompensation durch die Materialverteuerung und jetzt ganz massiv durch die gestiegenen Energiekosten", so Wierz. Grundsätzlich würden die meisten Zulieferer mit einer 80/20-Regelung arbeiten. "Das heißt, 80 Prozent der Energiekosten sind für das laufende Jahr kontrahiert und 20 Prozent der Energie wird am Spotmarkt zugekauft, derzeit zu einem mehrfach erhöhten Preis." Das bedeute, dass die massiv gestiegenen Energiepreise bei den Zulieferern nur beim Spot-Anteil durchschlagen. "Aber allein diese 20 Prozent an Kostensteigerungen fressen bei energieintensiven Branchen wie beispielsweise einer Gießerei die Margen des Unternehmens zu großen Teilen oder ganz auf."

Und die Aussichten sind nicht gut: "Wir sehen bei den Zulieferern, dass es praktisch keine neuen Energiekontrakte für das kommende Jahr gibt oder nur zu exorbitanten Konditionen." Demnach werde bei den Unternehmen der Spotanteil sukzessive steigen "und damit werden die jetzt schon höheren Energiekosten noch einmal überproportional anwachsen. Das wird von vielen Lieferanten nicht mehr zu leisten sein", befürchtet Wierz.

In der Vergangenheit habe der Anteil der Energiekosten am Gesamtergebnis im einstelligen Prozentbereich gelegen, "jetzt deutlich höher". Für viele Zulieferer werde das perspektivisch zum Jahresende zu einem Riesenproblem. Die noch verbliebenen Margen würden dann durch die Energiekäufe am Sportmarkt aufgezehrt. "Dass damit viele Zulieferer überfordert sind, haben die Fahrzeughersteller mittlerweile verstanden." Derzeit würden Gespräche laufen, "aber die Fahrzeughersteller werden die Mehrkosten auch nicht 1:1 für sämtliche Zulieferer kompensieren können". Für ihn stellt sich daher die Frage, "wie schnell können sich Kunden und Zulieferer auf einen Mechanismus verständigen, der diese gestiegenen Energiepreise berücksichtigt". Wierz ist davon überzeugt, dass sich daran auch das künftige Insolvenzgeschehen ausrichten werde. Zudem bleibe abzuwarten, wie viel von den Kostensteigerungen an den Endverbraucher weitergereicht werden können.

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Dazu aus dem Datencenter:

Zulieferer-Insolvenzen im ersten Halbjahr 2022