5G wird erst langsam industrietauglich

Bosch und Volkswagen sind zwei der Unternehmen, die derzeit mit neu errichteten Campusnetzen die Möglichkeiten und Grenzen der 5G-Technik in ihren Werken testen - und auf die Anpassung dieses Funkstandards speziell an die Bedürfnisse der Industrie warten.

„5G hebt Industrie 4.0 auf die nächste Stufe, indem der Mobilfunkstandard ein noch nie dagewesenes Maß an Flexibilität, Produktivität, Effizienz und Benutzerfreundlichkeit ermöglicht“, erläutert ein Sprecher von Bosch die Erwartungen. Der Zulieferer hat wie einige hundert andere deutsche Unternehmen von der Bundesnetzagentur Campuslizenzen für 5G erworben, mit denen bestimmte Frequenzen lokal exklusiv genutzt werden können. Die Automobilinternehmen haben für den Aufbau der Netze meist Nokia oder Ericsson ins Boot geholt, betreiben die Netze aber anschließend selbst.

Die beiden großen Stärken von 5G im Vergleich zu bisherigen Funkstandards sind der hohe Datendurchsatz sowie die zuverlässig sehr geringe Verzögerung, mit der Daten transportiert werden. Bei WLAN etwa kann man, sehr vereinfacht gesprochen, Glück haben, und das Signal kommt sehr schnell an – es kann aber deutlich länger dauern. Diese Ungewissheit verträgt sich nicht mit immer anspruchsvolleren Steuerungsaufgaben in Produktion und Logistik.

Bei WLAN kommt noch hinzu, dass beim Wechsel von einer WLAN-Zelle in eine andere zunächst die alte Verbindung abgebaut und erst danach die Verbindung zur neuen Zelle aufgebaut wird, wie ein Sprecher von Bosch erläutert. Damit sei die Verbindung zeitweise unterbrochen, was zu Ausfällen führen könne, etwa wenn autonome Transportfahrzeuge über Zellengrenzen hinweg unterwegs sind. Bei 5G hingegen werde beim Funkzellenwechsel zuerst die neue Verbindung aufgebaut, bevor die alte gekappt wird.

Gut zeigen lässt sich die Bedeutung an fahrerlosen Transportsystemen oder auch an kollaborierenden Robotern. Beide müssen absolut zuverlässig und schnell reagieren, wenn ein Hindernis auftaucht oder ein Mensch dem Roboterarm in die Quere kommt. Bislang bedeutet das, dass sie, wie ein autonom fahrendes Automobil, die komplette „Intelligenz“, die dafür nötig ist, mit sich herumtragen müssen: aufwendige Hard- und Software, die sie wirklich autonom reagieren lässt.

Hat man dagegen eine Datenverbindung, die genauso schnell und zuverlässig ist, wie die Verdrahtung innerhalb des autonomen Transporters oder Roboters, kann man ohne weiteres die gesamte Intelligenz in der Cloud zentralisieren und die Steuerung von dort aus übernehmen. Die Geräte auf dem Shopfloor benötigen dann fast nur noch Sensoren, die ihre Informationen in die Cloud schicken, und Aktoren, welche die aus der Cloud zurückkommenden Befehle ausführen.

Bosch im Industrie-4.0-Leitwerk Feuerbach und Volkswagen in der Gläsernen Manufaktur in Dresden testen aktuell, wie sich solche Ansätze für autonome Transportfahrzeuge am besten mit 5G realisieren lassen. Man könnte Datenverbindungen zwar in manchen Fällen auch per Kabel realisieren. Aber das schränkt die Flexibilität ein. Roboter, die nur einen Stromanschluss und 5G benötigen, lassen sich viel einfacher an anderer Stelle einsetzen, als wenn auch Datenkabel nachgezogen werden müssen. Und falls sie mobil arbeiten sollen, scheiden Datenleitungen ebenso wie bei Transportfahrzeugen grundsätzlich aus.

Dass die Unternehmen nicht einfach den Schalter auf 5G umlegen, hat mit Fragen der praktischen Umsetzung zu tun. Bosch etwa testet „den neuen Mobilfunkstandard derzeit in rund 15 Werken weltweit. Dabei geht es zum einen um den Betrieb und die Optimierung des Netzes und um Erkenntnisse, wie eine optimale Netzabdeckung gewährleistet werden kann, zum Beispiel wo und wie dicht Sendeantennen im Werk platziert werden müssen, so ein Sprecher.

Ein wichtiger Grund für das langsame Herantasten an die finalen Lösungen hat mit der noch laufenden Entwicklung der Technologie zu tun. „Zum Zeitpunkt der Einführung des Mobilfunkstandards 5G lag der Fokus mit dem Release 15 zunächst auf dem klassischen Mobilfunk mit dem Wunsch nach hohen Datenraten. Mit den Releases 16 und 17 rücken Echtzeit-Fähigkeiten, Zuverlässigkeit und Energieverbrauch in den Fokus – also genau die Themen, die für die Industrie relevant sind“, erläutert Matthias Paukner, Head of R&D Kuka Systems für die Region EMEA. Kuka arbeitet daran, die eigenen Produkte möglichst gut an die Möglichkeiten von 5G anzupassen.

Die Möglichkeiten der hohen Datenraten nutzen unternehmen daher auf mit als erste. So stattete BMW Brilliance alle drei Werke in China schon 2019 mit 5G aus und nutzt die Technik dort um einerseits große Mengen an Prüfdaten von der Linie in eine Zentrale zu übertragen oder um umgekehrt Software in die Fahrzeuge zu bringen. Die „Betankung“ mit Software ist auch eine der ersten Anwendungen für die Volkswagen 5G im Wolfsburger Werk testweise einsetzt.

Von den neuen 5G-Releases versprechen sich Unternehmen noch einiges. Volkswagen etwa erreicht in seinem Wolfsburger Netz mit dem Release 15 „Datendurchsätze bis zu 950 MBit/s und garantierte Latenzen zwischen 8-12 Millisekunden Round Trip Time (RTT), jeweils in Abhängigkeit der verwendeten Endgeräte und der Umgebungsbedingungen“, so eine Sprecherin. RTT umfasst den Weg eines Signals vom Sender zum Empfänger und wieder zurück. Mit dem bevorstehenden Update auf Release 16 würden Latenzen zwischen ein und zwei Millisekunden RTT und noch höhere Verfügbarkeiten bis zu 99,999 Prozent erwartet. Damit eigne sich 5G dann für die sogenannte „ultra reliable low latency communication“ (uRLLC).

In der Produkion sind für den großflächigen Einsatz von 5G auch sehr praktische Umstellungsarbeiten nötig. Volkswagen etwa betont, es „müssen Schrauber und Transportfahrzeuge auf 5G-Technik umgestellt werden, was heute noch nicht der Fall ist. Erste Pilotanwendungen in Serie werden wir voraussichtlich ab 2023 erleben.“

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