Herr Schaible, Sie sind seit einem guten halben Jahr deutscher Vertriebschef von VW. Wie fällt Ihre erste Bilanz aus?
Ich hatte einen guten Start mit einem klasse Team. Es ist eine tolle Aufgabe, die Verantwortung für deutschen Markt und die deutsche Handelsorganisation zu haben. Wir sind insgesamt gut durch das Jahr 2021 gekommen. Und der Handel hat ein historisch gutes finanzielles Ergebnis erzielt. Das freut uns sehr. Das hat der Handel sich wirklich verdient. Das ist ein Stück weit auch der Lohn für diese herausfordernde Zeit.
Sind die guten Ergebnisse nicht in erster Linie der Preisrallye auf dem Gebrauchtwagenmarkt zu verdanken?
Es ist eine Kombination verschiedener Faktoren. Wir sehen natürlich aufgrund der hohen Nachfrage eine klar verbesserte Ergebnisqualität im Neuwagenbereich. Den gleichen Effekt gibt es auch im Gebrauchtwagengeschäft. Gleichzeitig hat das Händlernetz sehr diszipliniert an der eigenen Kostenstruktur gearbeitet. Und wir haben unseren Teil dazu beigetragen, indem wir viele Anforderungen an den Handel weiter reduziert oder sogar ganz abgeschafft haben. Das bedeutet mehr Effizienz und Geschwindigkeit. Das macht sich jetzt bemerkbar. Hinzu kommen aufgrund der historisch niedrigen Fahrzeugbestände Einspareffekte aus der Lagerhaltung sowie ein sehr gutes Aftersales-Geschäft.
Sind Sie auch mit dem Agenturmodell bei den ID-Modellen zufrieden?
Das Agenturmodell ist längst fester Bestandteil unseres Geschäfts und wird tagtäglich gelebt. Wir hatten den Vertrag seinerzeit partnerschaftlich mit dem Händlernetz vereinbart – mit 100 Prozent Zustimmung durch den Handel. Die damals formulierten Ziele sind daher nach wie vor die gleichen: Auskömmliche Margen und Kosteneinsparungen für den Handel durch Entlastungen bei Lagerhaltung, Kapitalbindung und Vorführwagen sowie Übernahme von Restwert- und Vermarktungsrisiken durch Volkswagen.
Viele Händler berichten allerdings, sie würden von diesen Kosteneinsparungen nichts bemerken. Sogar von Seiten des Händlerverbands hieß es kürzlich, VW habe sich nicht an die Spielregeln gehalten. Was sagen Sie zu dieser Kritik?
Wir halten uns vollumfänglich an die Vereinbarungen. Und wir sind zu allen relevanten Themen – dazu gehört auch das Agenturmodell - stets in engem Austausch mit den Händlervertretern. Unsere eigenen Erfahrungen aus der Praxis zeigen zudem, dass die genannten Ziele nachweislich allesamt erfüllt sind: Also sowohl die entsprechenden Kosteneinsparungen als auch die Entlastung bei den Restwertrisiken. An dieser Stelle möchte ich auch nochmals auf das historisch gute Ergebnis des deutschen Handels in 2021 hinweisen.
Wie kommt es dann, dass so viele Händler so unzufrieden sind?
Unzufriedenheit in größerem Maße ist uns nicht bekannt – ganz im Gegenteil. Aber wir sind ja im Rahmen unserer Arbeitskreise im Austausch – auch zum Agenturmodell.
Also dürfen die Händler damit rechnen, dass es Anpassungen geben wird?
Wir haben mit den gewählten Händlervertretern vereinbart, dass wir im Rahmen unserer Zusammenarbeit auch über die MEB-Agentur sprechen. Genauso wie wir über Förderprogramme oder Bonusprogramme und dergleichen reden. Aber einen aktuellen Anpassungsbedarf sehen wir nicht.
Sie haben angekündigt, bald ein Online-Direktleasing ihrer ID-Modelle anzubieten. Wann genau geht es los?
Voraussichtlich noch im März. Kunden können dann den gesamten Prozess von der Konfiguration ihres Fahrzeugs bis zum Vertragsabschluss online ausführen – inklusive der rechtsverbindlichen Unterschrift. Wir sind der erste Hersteller in Deutschland, der das in dieser Form ermöglicht. Die Abwicklung des Vertrags übernimmt dann der Handel, der dafür die gleichen finanziellen Beteiligungen wie beim stationären Vertrieb erhält.
Wie viele Verträge wollen Sie mit dem Angebot generieren?
Grundsätzlich wünschen sich fast zwei Drittel unserer Kundinnen und Kunden die Möglichkeit, auch online Fahrzeuge zu erwerben. Wobei vermutlich die allerwenigsten ein Fahrzeug kaufen werden, ohne mindestens einmal im Autohaus gewesen zu sein. Es wird also weiterhin ein Wechsel zwischen online und offline sein – so wie wir das ja heute auch schon anbieten. Nur künftig verbunden mit der Möglichkeit, auch online bindend den Vertrag abzuschließen.
Wie ist es aktuell um Ihre Lieferzeiten bei Neuwagen wie Golf, ID.3 und ID.4 bestellt?
Beim Golf liegen wir je nach Linie und Derivat bei sechs bis acht Monaten. Beim neuen Taigo beispielsweise auch deutlich darunter. Beim ID.4 liegen wir in der Regel bei rund neun Monaten, beim ID.3 über neun Monate. Die Lieferzeiten sind natürlich auch ein deutliches Zeichen für die Attraktivität, für die Nachfrage. Das ist grundsätzlich ja sehr positiv. Aber, wichtig ist es, dass wir jetzt den hohen Auftragsbestand, mit dem wir ins Jahr gestartet sind, zügig abbauen und die Fahrzeuge ausliefern. Denn unsere Kunden warten und freuen sich ja auf die Autos.
Wegen der hohen Nachfrage haben Sie ID.3 und ID.4 für den Handel quotiert. Der ein oder andere Händler ist damit nicht so sonderlich glücklich. Gibt es Pläne, diese Quotierung noch einmal zu verändern?
Mit der Quotierung haben wir dem Wunsch und den Anforderungen des Handels entsprochen. Weil es so einfach eine Chancengleichheit gibt – für Händler und vor allem auch für die Kunden. Die Nachfrage ist größer, als unsere aktuellen Produktionskapazitäten. Für die allermeisten Partner passt das Volumen auch sehr genau. Damit arbeiten wir jetzt erst einmal. Wenn das Jahr weiter voranschreitet, werden wir uns genau ansehen, wer an seine Grenzen kommt und wer nicht, und dann gegebenenfalls noch einmal darüber diskutieren. Wir hatten ja seinerzeit bei der Markteinführung des ID.3 erfolgreich die gleiche Steuerung auf Wunsch des Handels genutzt.
Volkswagen will zum Mobilitätskonzern werden, mit Angeboten rund um die Mobilität und nicht nur dem reinen Autoverkauf. Welche Rolle spielt das bei Ihnen im Vertrieb?
Individuelle Mobilität hat nach wie vor eine großartige Zukunft, davon bin ich überzeugt. Wir rechnen damit, dass 2030 rund 70 bis 80 Prozent unseres Umsatzes weiterhin klassisch aus Kauf, Leasing und Finanzierung von Autos und natürlich Aftersales kommen. Experten und auch wir bei Volkswagen gehen davon aus, dass in 2030 etwa 20 bis 30 Prozent der Umsätze aus kurzfristigen Mobilitätsangeboten stammen.
Welche zum Beispiel?
Unser Ziel ist es, uns zum ganzheitlichem Mobilitätsanbieter zu entwickeln. Wenn wir auf die Umsatzprognosen für 2030 schauen, hat es also enorme Bedeutung für Volkswagen und für den Handel, bestehende Kunden zu halten und neue zu gewinnen. Unser Ziel: eine Mobilitäts-App, mit der ich stundenweise, tageweise, wochen- oder monateweise Mobilität auf meinen exakten Bedarf zugeschnitten buchen kann.
Aber kauft Volkswagen nicht genau deswegen Europcar, als Keimzelle der neuen Mobilitätsplattform? Läuft dann nicht alles über Europcar und am klassischen Handel vorbei?
Nein. Wir planen unsere Zukunft mit dem freien und stationären Handel. Dort ist das Kundenerlebnis, dort werden Kunden begeistert und dort werden Kunden auch an die Marke gebunden. Für uns ist es kein Widerspruch, wenn wir neue Angebote aufnehmen und sie gemeinsam mit dem Handel zum Kunden bringen.
Sie bieten seit kurzem eigene Auto-Abos an. Wie lief der Start?
Sehr gut. Das war und ist genau der richtige Weg! Trotz Herausforderungen bei Verfügbarkeit von Fahrzeugen und fast ohne Werbung schließen wir monatlich 150-250 neue Abos zusammen mit Volkswagen Financial Services ab. Wir bieten junge gebrauchte ID.3 und ID.4. Das beliebteste Abo ist der ID.3 für sechs Monate. Was außerdem positiv ist: Wir erreichen mit diesem Angebot eine Kundschaft die zehn Jahre jünger ist, als unsere klassische Käuferschaft.
Wie geht es weiter?
Unser Ziel ist es, das jetzt weiter auszubauen und den Handel weiter einzubinden – etwa Abo-Abschlüsse auch über den Handel anbieten. Wir wollen auch Piloten mit kürzeren Laufzeiten starten oder mit Kilometer-basierter Zahlung.
Helfen Ihnen da die langen Lieferzeiten? Wenn ich beim ID.3 neun Monate oder mehr auf einen Neuwagen warte, beim Auto-Abo aber deutlich schneller ans Auto komme, klingt das schon verlockend.
Die Überlegung lässt sich nicht ganz von der Hand weisen, das mag im Einzelfall eine Rolle spielen. Aktuell sehen wir aber, dass unsere Abonnenten gezielt ein solches Angebot gesucht haben, weil sie flexibel bleiben wollen. Es ist also weniger die aktuelle Versorgungssituation, die die Abos treibt.
Vielen Dank für das Gespräch!
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