Indien wird das neue China

Die Statistik spricht eine klare Sprache: Indien ist deutlich untermotorisiert. Davon ist zwar in Mumbai wenig zu spüren, wenn sich der Verkehr auf acht Spuren durchs Zentrum quält. Doch kommen hier auf 1000 Einwohner gerade einmal 25 Autos, während es in Deutschland 557 sind. „Aber die Inder sind massiv dabei, ihren Nachholbedarf zu decken“, sagt Jan Burgard vom Strategieberater Berylls.

2022 wird das Land auf 3,6 Millionen Neuzulassungen kommen, für das nächste Jahr erwarten die Analysten ein Volumen von vier und in der zweiten Hälfte der Dekade fünf Millionen pro Jahr. „Spätestens dann ist Indien die Nummer drei in der Welt“, sagt Burgard.

„Indien hat das Zeug zum zweiten China“, freut sich Piyush Arora. Er ist Chef von Škoda Volkswagen Indien. Das Wachstum ist rasant. Škoda hat in Indien bereits zwei Jahre in Folge den Absatz verdoppelt. „Mit 44.500 Zulassungen in den ersten zehn Monaten ist Indien für uns bereits zum drittgrößten Markt geworden“, sagt Markenchef Petr Šolc.

Der Aufschwung beruht vor allem auf den von Škoda entwickelten Indien-2.0-Modellen aus dem Werk Pune, den kompakten SUVs Škoda Kushaq und VW Taigun sowie den Limousinen Slavia und Virtus. „Warum die Autos so erfolgreich sind? Weil wir die MQB-Technik aus Europa konsequent den lokalen Anforderungen angepasst haben“, sagt Marketingchef Jan Repa.

Von der erhöhten Bodenfreiheit über die belüfteten Sitze bis hin zur Schale für den Talisman im Armaturenbrett. Und Abstriche an der Qualität gibt es diesmal keine. Im Gegenteil: Der Kushaq ist das sicherste Auto, das je in Indien getestet wurde.

Die Regierung in Delhi begleitet den Boom. Mehr als 80.000 Straßenkilometer wurden asphaltiert. Außerdem wird die Elektromobilität finanziell angeschoben. Steuern wurden vereinheitlicht, es gibt einen Bonus bei der Zulassung, und von aktuell etwa 3000 öffentlichen Ladesäulen will Indien bis zum Ende des Jahrzehnts auf 50.000 kommen. Ab 2030 sollen 30 Prozent aller Neuwagen mit Strom fahren, und ab 2035 werden nur noch E-Autos zugelassen. 

Die Europäer sehen sich gerüstet: 2023 Jahr bringt Škoda den Enyaq nach Indien, VW erprobt seine ID-Modelle, Konzernchef Oliver Blume verhandelt mit Mahindra über MEB-Komponenten, und Škoda-Manager Repa liebäugelt mit einem eigenen Indien-Stromer. Audi und Porsche sind mit e-tron und Taycan längst auf dem Markt.

Mercedes hat sogar eine CKD-Fertigung für den EQS installiert – die einzige im Ausland. Dies geschah aus gutem Grund. Zwar macht das Luxussegment keine zwei Prozent aus. Doch gibt es in Indien mit zig Superreichen und Millionären auch in der Nische reichlich Raum für Wachstum. Das sagt Porsche-Indien-Chef Manolito Vujicic. Wurden hier anfangs 200 Autos im Jahr verkauft, kommt Porsche nun auf knapp 800 Einheiten. 2023 soll es vierstellig werden. Vujicic sieht das Potenzial für fünfstellige Zulassungen.

Eine boomende Wirtschaft, eine kaufkräftige Mittelschicht, der starke Schwenk zum E-Auto – es spricht viel dafür, dass der Automarkt in Indien endlich anspringt. Dass Indien gerade im Fokus steht, habe noch einen anderen Grund, sagt Berylls-Mann Burghard. Die Autobauer haben in den unterschiedlichen Krisen der vergangenen drei Jahre gelernt, wie gefährlich zu große Abhängigkeiten sein können. Mit ihrem Engagement in Indien wollen sie sich von China lösen.

Aus dem Datencenter:

Modellvorschau Skoda bis 2026