Mittelfristig ist für die europäischen Automobilzulieferer aufgrund aktueller geopolitischer Entwicklungen keine Entspannung in Sicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Unternehmensberatung AlixPartners. Aufgrund der vielfältigen Herausforderungen für die Branche plädiert die Beratung in einer Analyse für ein breit gefächertes Maßnahmepaket.
Ein Aspekt sind dauerhafte Preiserhöhungen. Die über mehrere Jahre abgeschlossenen Preisvereinbarungen mit den Autoherstellern (OEMs) passen nach Ansicht von AlixPartners nicht mehr zur neuen Kostenrealität. Zulieferer könnten die vielfältigen Kostensteigerungen allein durch interne Optimierungen nicht kompensieren.
Wege aus dem Teufelskreis
In den vergangenen Jahren hat sich die finanzielle Lage bei vielen europäischen Automobilzulieferern erheblich verschlechtert. Interne Optimierungen reichen nicht aus, um den Kostensteigerungen zu begegnen, so eine Analyse der Unternehmensberatung AlixPartners.
Ein zweiter Aspekt betrifft operative und strukturelle Verbesserungen. Um die Wettbewerbsfähigkeit langfristig sicherzustellen, müsse die aktuelle Kostenbasis umfangreich optimiert werden. Denn nur die wenigsten Zulieferer werden eine vollständige Weitergabe der Kostensteigerungen an ihre Kunden erreichen, sind die Autoren überzeugt. Als wesentliche Hebel benennt AlixPartners Optimierungen bei Einkauf und Footprint, Effizienzverbesserungen, verringerte Overhead-Kosten sowie ein optimiertes Working Capital.
Drittens müsse ein Inflationsbewusstsein geschaffen werden. Die Organisation selbst müsse sich der dauerhaften Kostensteigerungen bewusst sein, damit Preise regelmäßig überprüft und nachverhandelt werden und interne Kosten optimiert werden.
Die finanzielle Situation der europäischen Automobilzulieferindustrie habe sich in den vergangenen Jahren bereits vor der Coronakrise schrittweise verschlechtert, so die Bestandsaufnahme. Zwar hätten sich Rendite und Verschuldung im Jahr 2021 kurzzeitig wieder verbessert, doch das historische Niveau aus den Jahren 2016-2018 konnte nachhaltig nicht wieder erreicht werden. Durch die anhaltenden Kostensteigerungen entlang der meisten Kostenarten sowie durch ein weiterhin niedriges Produktionsniveau verschärfe sich diese Lage weiterhin.
Unternehmen, die sich an die neuen Gegebenheiten nicht optimal anpassen, werden den Trend durch eine weitere Reduktion ihrer Profitabilität und einen weiteren Anstieg ihrer Verschuldung fortsetzen, warnt die Beratung. Diesen Unternehmen drohe eine akute Liquiditätskrise aufgrund von Kündigungen von Finanzierungen, sollten beispielsweise Financial Covenants nicht mehr eingehalten werden oder aufgrund des Scheiterns einer anstehenden Refinanzierung. Zumindest könnten Kapitalkosten sowohl aufgrund einer höheren Risikobewertung als auch aufgrund des allgemein höheren Zinsniveaus steigen. Folglich verschlechtere sich die Ertragssituation noch weiter. Es fehle an finanziellen Mitteln für notwendige Investitionen in die eigene Wettbewerbsfähigkeit. In der Folge kann die Profitabilität schrittweise weiter sinken – ein Teufelskreis, so das Fazit.
Im Zuge der Lockdownmaßnahmen während der Coronapandemie führten kurzfristige, temporäre Werksschließungen weltweit zu kurzfristigen Abrufschwankungen bei den Zulieferern. Antizipierte Aufholeffekte traten jedoch nie ein, da sich das Problem von Abrufschwankungen wegen Materialmangels insbesondere im Bereich der Computerchips nur vergrößerte. Neben weiteren Effekten führte vor allem ein sprunghafter Anstieg der wirtschaftlichen Erholung ab Ende 2020 zusätzlich zu stark steigenden Seefracht- und Rohmaterialkosten. Die aktuelle Inflationsdynamik betreffe nun vor allem europäische Unternehmen. Denn gerade in Europa wirken zurzeit Kostensteigerungen auf einer großen Bandbreite.
Die vergangenen Monate hätten gezeigt, dass Zulieferer ihre Kostensteigerungen selten vollständig an die OEMs weiterreichen können. Sie sollten sich daher mit einem ganzheitlichen Programm auf die neue Situation einstellen. Die Unternehmensberatung empfiehlt dabei drei Stoßrichtungen:
Erstens hätten Zulieferer ab Tier-2 selten feste Preisvereinbarungen über die Laufzeit eines Fahrzeugmodells mit ihren Kunden vereinbart. Entsprechend einfach sei es, aus vertraglicher Sicht Kostensteigerungen weiterzugeben. Zwar bestehe grundsätzlich das Risiko einer Verlagerung des Tier-1 Kunden an andere Unterlieferanten, doch stünden dem häufig hohe Verlagerungskosten sowie ein langer Zeithorizont, insbesondere bei laufender Serienproduktion, entgegen.
Tier-1 Zulieferer seien hingegen zumeist mit einem engen vertraglichen Korsett konfrontiert, das häufig eine Preisbindung bis Ende der Produktionslaufzeit eines Fahrzeugs vorsieht. Ordentliche Kündigungsmöglichkeiten bestehen, so die Analyse, in der Regel nur für die OEMs. Zwar existieren im Markt teilweise Vereinbarungen über regelmäßige Preisanpassungen bei bestimmten Rohstoffentwicklungen, diese würden jedoch die aktuellen Kostensteigerungen über die oben genannten Kostenarten nicht annähernd widerspiegeln. Die Unternehmen seien somit abhängig von der Bereitwilligkeit der Autohersteller, höhere Preise zu akzeptieren oder andere Formen von Kompensationen zu leisten.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor in diesem Rahmen sei eine Transparenz über die Änderung der Kostenstruktur für die betroffenen Produkte. Unter Umständen könne auch Klarheit über die finanzielle Situation des Unternehmens beim Verhandlungsprozess helfen, sofern die Lage so prekär ist, dass die Teileversorgung für den Kunden auf dem Spielt steht. Ein besonderer Fokus sollte hier auf einem effektiven Projekt- und Vertriebscontrolling liegen.
Zweitens würden Preiserhöhungen vor allem kurz- und mittelfristig wirken. Langfristig müssten Zulieferer aller Wertschöpfungsstufen ihre Kostenstruktur einer kritischen Überprüfung unterziehen und dahingehend optimieren, dass sie auch zukünftig wettbewerbsfähig für die Akquisition von Neuaufträgen sind und die Verlagerung laufender Serienprojekte an Wettbewerber keine wirtschaftliche Option für die Kunden ist.
AlixPartners erwartet, dass die OEMs nur diejenigen Zulieferer unterstützen werden, die eine Perspektive für eine dauerhafte Wettbewerbsfähigkeit aufzeigen und sich somit als langfristiger Partner qualifizieren.
Und drittens sollten alle Bereiche des Unternehmens in der aktuellen Situation ein Bewusstsein für dauerhafte Kostensteigerungen entwickeln. Konsequent umgesetzte Verbesserungsmaßnahmen in allen Unternehmensfunktionen seien notwendig. Voraussetzung hierfür sei ein qualitativ hochwertiges Controlling, das die einzelnen Managementebenen bei der Steuerung ihrer Geschäftsbereiche unterstützt. Hierzu zählen sowohl geeignete Reportings, die Transparenz über die Kosten- und Ertragssituation schaffen, als auch Freigabeprozesse und Incentivierungen, die die Optimierung der Kosten- und Ertragssituation fördern.
Dazu aus dem Datencenter: