ZF-Chef Wolf-Henning Scheider glaubt nicht an die schnelle Verbreitung von voll autonomen Robo-Taxis. Zu hoch seien noch die technologischen Hürden für das Level 5. Dagegen sieht er gute Chancen für das hoch automatisierte Fahren bei Nutzfahrzeugen. Schon in diesem Jahr will der Technologie-Konzern in Deutschland erste People Mover als Teil des öffentlichen Nahverkehrs auf die Straße schicken, wie Scheider im Interview mit der Automobilwoche am Rande der CES in Las Vegas erklärte.
Herr Scheider, Sie waren mit ZF im Rennen um den Auftrag für die nächste Generation des elektrischen Antriebsstrangs für Mercedes. Wie sehr wurmt Sie, dass das Unternehmen dies nun selbst macht?
Überhaupt nicht, das war ja nicht überraschend. Uns war immer klar, dass wir nicht Alleinlieferant für den E-Antrieb bei einem Kunden sein können, sondern dieser immer mehrere Quellen hat. Dies gilt vor allem für Hersteller, die auch in der Vergangenheit selbst Antriebskomponenten gefertigt haben. Wir haben unseren langfristigen Liefervertrag für den EQC und weitere elektrisch fahrende Modelle. Wichtig ist uns, dass wir die generell gute Beziehung mit Daimler partnerschaftlich fortsetzen.Wenn Hersteller Elektro-Komponenten hereinholen, könnte der Kuchen für die Zulieferer aber kleiner werden, oder?Nein, das hat es auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben. Es gibt auch Premium-Hersteller, die ihre Automatikgetriebe selbst herstellen, trotzdem sind wir der größte Lieferant in diesem Segment. Entscheidend für unser Geschäftsmodell ist, dass wir eine sehr gute technische Leistung und Qualität zu wettbewerbsfähigen Kosten anbieten.
Gilt das auch für den Software-Bereich?Ich kann gut nachvollziehen, dass Hersteller angesichts der steigenden Bedeutung von Software-Plattformen eigene Kompetenzen ausbauen müssen. Diese Anwendungen werden signifikante Effizienz- und Qualitätsfortschritte in den nächsten Fahrzeuggenerationen bringen. Ich denke zum Beispiel an Infotainment-Systeme, die auch eine wesentliche Differenzierung für die Marken bedeuten. Es wird aber auch viele Software-Komponenten geben, die von den Zulieferern kommen. Zum Beispiel vernetzt unser ZF-cubiX die Komponenten des Fahrwerks untereinander und mit den Assistenzfunktionen. Welche der Zukunftsfelder versprechen das größte Wachstum?Wir sehen dies bei den Fahrassistenzsystemen und beim elektrischen Antriebsstrang mit Motoren und Invertern. Hier gehen wir von jährlichen Steigerungen im zweistelligen Prozentbereich aus.Große Hoffnungen setzen Sie auch in autonome Shuttle-Fahrzeuge.Wir wollen noch im Frühjahr in Rotterdam mit unserem neuen People Mover auf einer regulären Strecke des öffentlichen Nahverkehrs starten. Im Rivium Park binden wir ein Gewerbegebiet an die U-Bahn von Rotterdam an. Wie funktioniert das?Unsere neue Technik erlaubt Fahrten mit bis zu 50 Stundenkilometern – erst auf einer speziellen Trasse, später im gemischten Verkehr. Ein Sicherheitsfahrer ist nicht mehr notwendig. Die Flotte wird nur von einer Zentrale mit einer Person aus überwacht. Wann kommt das nach Deutschland?Wir wollen noch in diesem Jahr auf einer Strecke in Deutschland im öffentlichen Nahverkehr starten. Allerdings wird unser People Mover hier auf einer getrennten Spur getestet. Es gibt im Moment noch Regularien, die deutlich weniger flexibel sind als beispielsweise in Holland. Aber ein neues Gesetz mit wesentlichen Erleichterungen soll noch 2020 umgesetzt werden. Dann können wir auch in Deutschland im gemischten Verkehr die Systeme erproben und den Betrieb aufnehmenGibt es Konkurrenz?Bisher weiß ich von keinem Anbieter, der ein vergleichbar weit entwickeltes System auf dem Markt hat. Ende 2021 wollen wir am Flughafen Brüssel die Parkplätze mit dem Terminal über eine Einbahnstraße verbinden. Auch hier ist kein Fahrer mehr an Bord, obwohl sich das Fahrzeug die Strecke mit anderen Autos teilt. Wie ist das Interesse?Wir haben bereits Aufträge aus der ganzen Welt, vor allem auch aus Asien. Wir gehen davon aus, dass der Durchbruch noch in diesem Jahr auch in Nordamerika gelingt. Dabei verkaufen wir jeweils das Gesamtsystem mit Datenverarbeitung im Backend und Vernetzungssoftware. Die Betreibergesellschaft entscheidet dann, ob sie die technische Überwachung selbst übernimmt oder wir das machen.Versprechen Sie sich davon ein profitables Geschäftsmodell?Unsere Tochtergesellschaft 2getthere ist bereits profitabel, und wir gehen davon aus, dass sich damit in den nächsten zehn Jahren gutes Geld verdienen lässt. Das System trifft genau den Nerv der Städte, um die Hauptprobleme Verkehrsbelastung und Emissionen zu lösen und gleichzeitig den Komfort im öffentlichen Nahverkehr auf hoch frequentierten Linien zu erhöhen. Deshalb ist der People Mover ein wesentlicher Kern unserer Strategie für den städtischen Verkehr von morgen.Wo sehen Sie sonst noch Chancen für das hoch automatisierte Fahren?Am schnellsten wird sich dies bei den Nutzfahrzeugen durchsetzen. Da allein in den USA und Europa in den nächsten Jahren hunderttausende Fahrer fehlen, ist der Einsatz solcher Systeme notwendig und zugleich lukrativ. Wir gehen davon aus, dass noch in der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts hochautomatisierte Lkw in Logistikzentren oder im internen Werksverkehr eingesetzt werden können. Im nächsten Schritt kommt auch die Autobahn als Verbindung zwischen zwei Logistikzentren hinzu.Lesen Sie auch:
ZF konzentriert sich auf teilautomatisierte Systeme
So steuert der ZF-Chef durch die Krise
Transformation der Branche: ZF schließt Kurzarbeit nicht aus
Aus dem Datencenter:
Risiken bei Zulieferern durch den Wandel hin zu elektrischen Antrieben