"Für die deutschen Marken wird es schwieriger, ihre Kunden zu halten"

Kunden sind zunehmend bereit, neue Anbieter zu testen. Das stellt Hersteller vor neue Herausforderungen. Dataforce-Chef Marc Odinius erläutert die wichtigsten Faktoren für die Kundenbindung.

Herr Odinius, für Hersteller spielt die Bindung ihrer Kunden eine entscheidende Rolle. Hat diese in den vergangenen Jahren eher zugenommen oder abgenommen?
Marc Odinius: Kundenloyalität ist eher rückläufig. In der Hochphase lag sie bei rund 70 Prozent, jetzt beträgt sie noch etwa 55 Prozent. Aber das sind Durchschnittswerte, die Volatilität ist je nach Hersteller sehr groß.

Hat zum Verfall der Kundenloyalität die Ausnahmesituation der vergangenen Jahre beigetragen?
Krisen sind normalerweise ein Garant, dass die Verbraucher an Bewährtem festhalten. In einem Risikoumfeld reagiert man in der Regel risikoavers. Aber die derzeitige Revolution im Automarkt gekoppelt mit Corona und Halbleiterkrise hat das Kundenverhalten unerwartet verändert und loyales Verhalten weniger selbstverständlich werden lassen. Die Loyalität ging in den vergangenen Jahren um rund fünf Punkte zurück.

Worauf führen Sie das längerfristige Minus zurück?
Das hat mehrere Gründe: Der Markt ist gesättigt und wird kleiner, neue Player kommen hinzu und verstärken den Wettbewerb. Zugleich nimmt die Bandbreite der Angebote weiter zu. Das gilt nicht nur für die Produkte, sondern auch für die Vertriebs- und Finanzierungsformen. Die Bindungsnotwendigkeit oder Dauer nimmt zum Beispiel durch Abo-Modelle mit kurzer Laufzeit deutlich ab.

Das macht es für die Hersteller schwierig, sich durchzusetzen. Was ist für die Kundenloyalität entscheidend?
Ein wesentlicher Aspekt ist das Produktversprechen und das transportierte Image der Hersteller, wenn das mit den Erwartungen und mit der tatsächlichen Erfahrung des Kunden übereinstimmt habe ich gute Chancen den Kunden auch zukünftig an mich zu binden. Ist das nicht der Fall, ist es heute leichter denn je, der Verführung eines anderen Anbieters zu erliegen.

Nennen Sie uns ein Beispiel?
Man sieht es deutlich bei der Elektromobilität. Hat der Hersteller meines Vertrauens kein Angebot, bin ich nicht mehr bereit zu warten, bis es so weit ist, sondern bediene mich bei der Konkurrenz. Denn hier kann ich heute probieren, ohne mich langfristig zu binden. Die Wechselwilligkeit ist höher, aber auch die Wechselmöglichkeiten.

Warum fördert die Elektromobilität die Wechselwilligkeit der Kunden?
Für die deutschen Marken wird es schwieriger, ihre Kunden zu halten. Das ihnen beim Verbrenner zugeschriebene Know-how erodiert und verliert deutlich an Bedeutung. Dagegen rücken andere Themen in den Vordergrund: Batteriekapazität und -sicherheit sowie die Leistungsfähigkeit der Software. Diese Themen werden aber nicht unbedingt in erster Linie mit deutschen Herstellern in Verbindung gebracht.

Mit dem Verbrennungsmotor verschwindet das Herz eines Autos. Dadurch werden die Produkte nochmals deutlich ähnlicher.
Das kommt hinzu. Wenn ich weiß, dass die Unterschiede zwischen den Produkten gering sind, achte ich mehr auf den Preis. Deshalb ist es so wichtig, dass ich als Marke für etwas Besonderes stehe und speziell bin.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf Kundenloyalität aus?
Das ist noch schwierig zu beantworten. Digitalisierung ist so ein Buzzword das gerne oft zu allgemein benutzt wird. Für mich stehen dahinter tausende von einzelnen Prozessen auf allen Ebenen, die sich potenziell verbessern lassen. Zwei Hauptpunkte, die die Kundenbindung erhöhen können, sind Geschwindigkeit und Einfachheit. Wenn ich als Hersteller oder Dienstleister durch verstärkte Digitalisierung die Nutzung der Produkte vereinfachen oder beschleunigen kann, habe ich eine Chance, den Kunden für mich zu gewinnen und zu halten. Komplexität unsichtbar werden zu lassen, schafft Vertrauen.

Gilt bei den ganzen Umbrüchen noch, dass das erste Auto der Vertrieb und das Zweite der Service verkauft?
Dem würde ich weiterhin zustimmen! Den Service nicht in Anspruch nehmen zu müssen ist ein wichtiger Erfolgsfaktor einer gelungenen Kundenbindung. Proaktive Kommunikation digital wie persönlich zeigt dem Kunden gegenüber Wertschätzung und senkt Nachkaufdissonanzen. Vertrieb und Service als Einheit zu verstehen, die gleichermaßen Verantwortung tragen, dass der Kunde zu einem loyalen Kunden wird, ist zentral, aber durch die vorgegebenen Strukturen im Automobilhandel nicht einfach durchzusetzen.

Wie wirkt sich die Umstellung auf das Agenturmodell auf die Kundenbindung aus, die derzeit bei vielen Herstellern stattfindet?
Das muss sich erst noch zeigen. Bisher sehe ich eher die Tendenz, dass man versucht das beste beider Optionen zu verbinden, anstelle sich allein auf das Agenturmodell zu beschränken. Wenn man die Marktanteilsdaten von Hersteller mit den Points of Sale korreliert, sieht man wie stark ein guter Handelsbetrieb die Zahlen nach oben treiben kann. Dies gilt insbesondere für das Privatkundengeschäft. Nur Marken mit einem sehr starken Markenversprechen werden in der Lage sein, diese Bindung auch mittels des Agenturgeschäftes zu transportieren. Darüber hinaus sind viele Hersteller nicht mehr gewohnt, den Vertrieb vollständig selbst zu verantworten. Das bietet neue Chancen, aber auch neue Herausforderungen, wie man das Zusammenspiel von Vertrieb und Service in Zukunft gewährleistet, ohne noch austauschbarer zu werden.

Was ist entscheidend, um einen Kunden lange zu halten?
Die Menschen sind nicht immer gleich, sie verändern sich in ihrem Verhalten. Niemand bleibt mehr zwanghaft bei einer Marke, wenn er eigentlich etwas anderes will. Wenn ich Veganer geworden bin, gehe ich auch nicht mehr ins Steakhouse zum Essen. Um bei einer Marke langfristig zu bleiben, muss sich der Kunde auch nach seiner Veränderung noch bei dieser wiederfinden. Ein Hersteller mit dauerhaft hohen Loyalitätswerten schafft es, sich an die veränderte Lebenswirklichkeit seiner Kunden bestmöglich anzupassen oder besser noch diese zu antizipieren.