So werden autonome Fahrzeuge getestet

Genau in dem Moment, als der VW ID.4 um die Ecke biegt, läuft der Fußgänger los. Das Auto nähert sich bedrohlich. Mit einem kurzen Quietschen kommt das Fahrzeug nur wenige Zentimeter vor der Puppe zum Stehen. Der Notbremsassistent hat zuverlässig funktioniert – zumindest in dieser Szene.

Erst bei einer Fahrt über den Lausitzring in Brandenburg wird die Größe der Anlage sichtbar. Auf 80.000 Quadratmetern, also der Größe von rund elf Fußballfeldern, hat die Prüforganisation Dekra auf früheren Parkplätzen des Motorsportgeländes eine variabel nutzbare Asphaltfläche speziell für Citykurse gebaut. Hier lassen sich komplexe Testszenarien für das autonome Fahren in der Stadt nachstellen.

Die Asphaltfläche kann mit 150 Containern und variablen Straßenmarkierungen sowie Bordsteinen für den jeweiligen Anwendungsfall schnell angepasst werden. In das Layout der Strecke flossen Daten aus Tausenden Unfällen in Städten ein. 80 Prozent dieser kritischen Verkehrsszenarien lassen sich hier abbilden. Sogar Straßenbahngleise sind verlegt worden. „Was wir hier bieten, ist wirklich einzigartig“, sagt Uwe Burckhardt, Leiter des Testcenters.

Immer wieder war von Plänen für eine regelrechte Geisterstadt zu lesen. Doch von dieser hat sich Dekra wegen der mangelnden Flexibilität verabschiedet. Die Bandbreite der Szenarien soll möglichst groß sein. „Die Mobilität von morgen mit zunehmend automatisierten und vernetzten Fahrzeugen lebt davon, dass die entsprechenden Systeme vor ihrer Zulassung auf Herz und Nieren geprüft werden“, sagt Dekra-Automobil-Chef Guido Kutschera anlässlich der ­Eröffnung Ende Juni.

Vor fünf Jahren hatte Dekra den Lausitzring gekauft und betreibt ihn seither als Testgelände für das automatisierte Fahren, aber auch für Veranstaltungen aller Art wie Konzerte oder Sportwettbewerbe. Neben Dekra gehören auch Autohersteller und Zulieferer zu den Nutzern. Namen nennt ­Dekra nicht. Doch zwischen den Zeilen ist rauszuhören, dass von Tesla bis Mercedes alle namhaften Unternehmen der Branche Kunden sind.

Der Fokus liegt dabei auf komplexen Szenarien. In sogenannten Schwarmtests können bis zu zwölf Fahrzeuge um das eigent­liche Testfahrzeug herum bewegt werden. Das ist wichtig, um etwa einen von einem Fahrzeug verdeckten Fußgänger rechtzeitig zu erkennen. „So können wir jedes Fahrzeug in eine hochkomplexe deterministische Situation bringen“, sagt Burckhardt. Fahrrad­fahrer, Fußgänger oder ganze ­Autos lassen sich dabei als Testdummys auf Rädern über eine Fernsteuerung in das Szenario einbeziehen.

Allein um die Kamera eines ­Zulieferers für ein Fahrassistenzsystem auf Zuverlässigkeit zu prüfen, sind laut Burckhardt 15.000 Einzeltests notwendig. Die können heute zwar auch am Computer simuliert werden. Aber eben nicht komplett. Die Stichproben im Realbetrieb dienen ­dazu, die Daten der Simulationen auf Verlässlichkeit zu überprüfen. „Physikalische Tests werden auch in ­Zukunft noch gebraucht“, ist Burckhardt überzeugt.

Deshalb soll mit den City­kursen der Ausbau keineswegs zu Ende sein. Bereits geplant ist die Simulation von Überlandstrecken und Autobahnabschnitten zwischen Städten. Damit sollen alle „Operational Design Domains“ abgedeckt sein – also die Bereiche, für die Fahrfunktionen ausgelegt sind. Außerdem regnet oder schneit es auf dem Lausitzring bald auf Knopfdruck. Wechselnde Wetterverhältnisse sind für die Systeme eine der größten Herausforderungen.

Die Hersteller liefern sich seit Jahren ein Wettrennen um das automatisierte Fahren. Dabei werden zwei Pfade verfolgt. Tech-Unternehmen wie Google mit der Tochter Waymo wollen sofort den Sprung auf Stufe 5 erreichen und mit Robo-Taxis in Städten ein Geschäftsmodell etablieren. So sind etwa in San Francisco bereits Taxis ohne Fahrer bestellbar, die Passagiere recht zuverlässig zu ihrem Zielort bringen. 

Die klassischen Autobauer gehen eher den Weg über die Fahrassistenzsysteme. So hat Mercedes-Benz im vergangenen Jahr mit dem "Drive Pilot" erstmals die behördliche Zulassung für ein System auf Stufe 3 des autonomen Fahrens erhalten. Dabei geht die Verantwortung vom Fahrer auf den Hersteller über. In einem begrenzten Szenario auf der Autobahn kann der Fahrer dabei dauerhaft die Hände vom Lenkrad nehmen und sich Nebentätigkeiten widmen, also etwa Textnachrichten schreiben oder einen Film anschauen.

Experten sind sich aber einig, dass es noch einige Jahre dauern wird, bis Fahrzeuge wirklich alle Umgebungen und Wetterkonditionen beherrschen werden. Große Herausforderungen sind beispielsweise das Erkennen unklarer Situationen wie die Einfahrt in einen Tunnel, die nicht als Wand interpretiert werden darf, oder die fliegende Plastiktüte, von der keine Gefahr ausgeht.

Daneben ist auch eine stabile Verbindung zum Backend oder zur Cloud zentrale Voraussetzung für das autonome Fahren. Dekra baut daher am Lausitzring ein eigenes 5-G-Netz auf, um eine zuverlässige und schnelle Vernetzung von Fahrzeugen und anderen Verkehrsteilnehmern oder Verkehrszeichen zu ermöglichen. Bei der Unfallvermeidung kommt es schließlich auf jede Millisekunde an.

Aus dem Datencenter:

Testkilometer und prognostizierter Marktanteil autonomer Fahrzeuge