Die Baustellen des Oliver Blume

Wenn der VW-Vorstand am Dienstag noch einmal zu seiner letzten regulären Sitzung vor der Sommerpause zusammentritt, wird es die wohl ungewöhnlichste Sitzung seit Jahren werden. Formal wird noch Herbert Diess das Treffen leiten, doch in Wirklichkeit werden sich alle Augen schon auf seinen Nachfolger Oliver Blume richten, der als Porsche-Chef und Konzernverantwortlicher fürs Produktionsressort längst mit am Tisch sitzt.

Im September wird Diess dann nicht mehr mit dabei sein, Blume übernimmt den Vorsitz. Eine große Schonzeit zum Einarbeiten wird Blume nicht haben. Auf ihn warten eine ganze Reihe von Baustellen.

Die wohl größte Baustelle, die Blume von Diess erbt, ist dabei die Software-Schmiede Cariad. Die vor zwei Jahren gegründete Konzerntochter liegt weit hinter dem Zeitplan zurück, sowohl bei der Software 1.2 für Porsche und Audi als auch bei der eigentlichen Einheitssoftware 2.0 für alle Konzernmarken, für die Cariad  einst gegründet wurde.

Diess hatte hier am Ende selbst die Notbremse gezogen, die Entwicklung beider Programmcodes voneinander getrennt. Und der Aufsichtsrat hatte Anfang Juli dafür auch zusätzliche Mittel freigegeben, heißt es in Wolfsburg. Dem Vernehmen nach sollen noch einmal mehr als drei Milliarden Euro zusätzlich fließen, 2700 IT-Entwickler zusätzlich sollen kurzfristig an Bord geholt werden, um die schleppende Entwicklung voranzutreiben.

Weitere Baustellen kommen hinzu: Der Aufbau eigener Batteriezellfabriken hat in Salzgitter gerade begonnen, Valencia steht als nächster Standort in den Startlöchern. Klar ist aber, dass der Konzern den geplanten Aufbau von insgesamt sechs Gigafactorys bis 2030 nicht allein stemmen kann und will. Hier müssen nun zügig weitere Partner an Bord geholt werden, ein Börsengang von Cariad gilt als wahrscheinlich.

Die Blaupause hierfür könnte Blume selbst liefern: Mit dem geplanten IPO von Porsche im Herbst. Als Konzernchef muss Blume nun beweisen, dass davon nicht nur Porsche, wo er weiter an der Spitze steht, profitiert, sondern auch der Gesamtkonzern. Und auch in China, für den Konzern der wichtigste Absatzmarkt, muss Blume nun das Ruder herumreißen. Mit dem bisherigen VW-Markenchef Ralf Brandstätter, der am 1. August als Konzernvorstand für das Land nach Peking wechselt, hat er dort nun zumindest einen gewichtigen Mitstreiter.

Die wohl wichtigste Aufgabe hat Blume aber gleich bei seiner Bestellung von Aufsichtsratschef Hand Dieter Pötsch mit auf den Weg bekommen: Blume solle "mit dem gesamten Vorstand die Transformation weiter vorantreiben - mit einer Führungskultur, die den Teamgedanken in den Mittelpunkt stellt", hatte der bereits am Freitag mitteilen lassen. Denn gerade hier hatte es zuletzt massive Defizite gegeben.

Nach jedem Machtkampf, den sich Diess in Wolfsburg geliefert hatte, war am Ende der Vorstand umbesetzt und erweitert worden, um Diess Kompetenzen abzunehmen und ihn einzuhegen. Und dabei stets den in Wolfsburg wichtigen Proporz der Interessengruppen zu wahren.

Inzwischen ist das Gremium auf 13 Mitglieder angewachsen, von denen viele Doppelfunktionen bei einer der Marken haben. Blume steht nun vor der Aufgabe, daraus ein schlagkräftiges Team zu bilden, dass künftig an einem Strang zieht. Immerhin: Mit dem Ausscheiden von Diess fällt einer der 13 Vorstandsposten weg.

Hinzu kamen die stetigen Wechsel im Management, die unter Diess an der Tagesordnung waren. Viele Manager blieben nur wenige Monate, um dann bereits weiterzuziehen. Thomas Schäfer, Ralf Brandstätter, Klaus Zellmer und Imelda Labbé sind hier nur die jüngsten Beispiele. Kontinuität in der Arbeit sei so kaum möglich gewesen, heißt es in Wolfsburg.

Blume zeigt hier schon durch seine Person einen anderen Ansatz: Er ist mit inzwischen knapp sieben Jahren an der Porsche-Spitze nicht nur der dienstälteste Markenvorstand. Zusammen mit Personalvorstand Gunnar Killian, mit dem zusammen Blume 2018 in den Konzernvorstand eingezogen war, ist er nach dem Ausscheiden Diess auch hier das dienstälteste Mitglied.

Zudem muss es Blume gelingen, im komplizierten Machtgefüge in Wolfsburg alle Interessengruppen mitzunehmen und auch die 60.000 am Stammsitz zu begeistern. Diess war dies nie gelungen. Der gebürtige Münchener mit österreichischem Pass hatte mit Wolfsburg und der von ihm abfällig als "System Wolfsburg" bezeichneten Struktur stets gefremdelt.

Blume bringt hier nun deutlich bessere Voraussetzungen mit, wirklich alle Interessengruppen mitzunehmen. Bei den Familien Porsche und Piech, die ihn am Ende ins Amt hoben, hat er hier ohnehin ein Heimspiel. Doch auch bei den Mitarbeitern und dem Land Niedersachsen kommt er gut an und verbreitet bereits vor seinem Amtsantritt Aufbruchstimmung.

Als gebürtiger Braunschweiger hat er hier quasi einen Heimvorteil. Schließlich ist er der erste gebürtige Niedersachse an der Konzernspitze seit dem 1968 verstorbenen Werksgründer Heinrich Nordhoff. Entsprechend begeistert wird Blume in Wolfsburg empfangen. Zumal er hier vor seinem Wechsel zu Porsche schon einmal vier Jahre lang als Leiter Produktionsplanung tätig war und zuvor auch schon bei Audi in Ingolstadt. Anders als Diess, der von BMW direkt in den VW-Vorstand gewechselt war, bringt Blume damit auch echten VW-Stallgeruch mit.

Das dürfte ihm nun auch helfen, bei einem Projekt voranzukommen, an dem Diess stets gescheitert war: Die Zusammenarbeit der Marken zu stärken und daraus einen schlagkräftigen Konzern zu formen. Zwar hat sich die Zusammenarbeit der Volumenmarken wie Volkswagen, Skoda und Seat/Cupra unter Ralf Brandstätter und jetzt Thomas Schäfer zuletzt deutlich gebessert. Der Graben zu den Premiummarken in Süddeutschland wurde aber nie überwunden. Versuche von Diess, den selbstbewussten Töchtern einen Oberaufseher vor die Nase zu setzen, waren in Wolfsburg versandet.

Hier wird Blume nun das Kunststück gelingen müssen, das Profil der Marken zu stärken, allen voran auch der Marke Porsche, die er in Personalunion weiter führt, und zugleich die Zusammenarbeit zu verbessern und mehr Synergien zu heben. Wie dies gelingen kann, hat er in Zuffenhausen vorgemacht: Bei Modellen wie Cayenne und Macan bediente sich Porsche kräftig im Konzernregal, ohne dass je Verwechslungsgefahr mit den Schwestermodellen von Audi bestand. Jetzt muss es Blume auch gelingen, die anderen Konzernmarken schärfer von einander abzugrenzen und dennoch massiv Synergien zu heben. Diess hatte das zwar stets gepredigt, war bei der Umsetzung aber nie wirklich vorangekommen.

Strategisch groß etwas ändern wird Blume dagegen nicht müssen. Von der strategischen Ausrichtung galt Diess stets als brillanter Visionär, der den Konzern in die richtige Richtung getrieben hatte. Nur bei der Umsetzung, der inneren Führung und dem zwischenmenschlichen Umgang zeigte Diess Schwächen. Blume wird hier nun mehr zugetraut.

Jetzt muss er beweisen, dass es ihm auch gelingt, verkrustete Prozesse aufzubrechen und zu beschleunigen, nicht nur bei der Software. Und das, ohne dabei ständig mit einer der widerstrebenden Interessengruppen aneinander zu geraten. Bei Porsche in Stuttgart ist ihm das bisher gelungen. Dort hat er bewiesen, dass man ein Unternehmen auch ohne Dauerkonflikt mit der Belegschaft führen und dennoch Traumgewinne einfahren kann. Kritik an ihm war vom dortigen Betriebsrat nie zu hören. Mit Blume habe man immer bestens zusammenarbeiten können, heißt es in Betriebsratskreisen. An Zielstrebigkeit stand Blume Diess dabei in nichts nach. Das muss er nun in Wolfsburg wiederholen.

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