Kooperation mit China statt Konfrontation

Carlos Tavares scheint die Weisheiten des chinesischen Militärstrategen Sun Tzu genau zu kennen. Der General schreibt in seinem häufig zitierten Buch "Die Kunst des Krieges" unter anderem auch: "Chancen multiplizieren sich, wenn man sie ergreift."

Im Ergreifen von Chancen ist Tavares geübt, das war so bei der Übernahme von Opel Anfang 2017 und bei der Fusion mit FCA im Januar 2021. Nun hat er mit dem Einstieg bei Leapmotor erneut eine historische Weichenstellung vorgenommen, die zwar weniger spektakulär erscheint, aber nicht weniger wegweisend werden könnte.

Ganz in diesem Sinne erklärte Tavares bei der Ankündigung des Deals mit Leapmotor: "Die chinesische Offensive ist überall, ob wir wollen oder nicht. Wir wollen nicht die Opfer der chinesischen Offensive auf der Welt sein, wir wollen den Weg anführen und sie kontrollieren."

Der Einstieg ist mehr als eine technologische Beteiligung. Er bedeutet eine regelrechte Verbrüderung beider Unternehmen im Bereich Elektrofahrzeuge. Stellantis wird mit der ganzen Power seiner 14 Marken die Innovationskraft und das Portfolio des chinesischen Partners weltweit verkaufen helfen.

Damit geht die Zusammenarbeit deutlich über die Vereinbarungen zwischen der VW-Gruppe und Xpeng hinaus. VW hatte im Juli angekündigt, mit rund 700 Millionen Dollar bei Xpeng einzusteigen und dafür 4,99 Prozent an dem Unternehmen zu übernehmen. Die Partner wollen gemeinsam ab 2026 auf dem chinesischen Markt zunächst zwei neu entwickelte Batterie-Fahrzeuge einführen, die VW-gebrandet sein werden, jedoch bei Software und autonomen Fahrfunktionen auf Xpeng-Know How basieren werden.

Nicht auszuschließen ist nun, dass schon bald der kompakte Leapmotor T03 im Peugeot-Autohaus in Wanne-Eickel hinter der nächsten Yuccapalme steht. Tavares nannte einen Zeitraum von etwa zwei Jahren, dann solle es Leapmotor-Modelle auch flächendeckend in Europa geben.

Für Leapmotor ist der Deal ein echter Jackpot. Für den eher kleinen chinesischen Hersteller, der 2022 gerade einmal 111.000 Fahrzeuge verkaufte, eröffnen sich auf einen Schlag Chancen in zahlreichen Weltmärkten und nicht zuletzt in Europa.

Unklar ist zwar noch, ob die Leapmotor-EVs künftig von möglichen EU-Strafzöllen wegen chinesischer Staatssubventionen betroffen sein werden. Aber auch da haben die Partner bereits eine Hintertür geöffnet, denn sie schließen nicht aus, dass die chinesischen Modelle künftig auch in Stellantis-Werken produziert werden.

Das würde zwar umfangreiche Vorarbeiten erfordern, könnte aber eine ganz neue Ära der Kooperation zwischen den etablierten westlichen Autobauern und den chinesischen Neulingen einläuten. "Es bedeutet auf jeden Fall ein neues Kapitel in der Geschichte der Kooperation zwischen chinesischen und internationalen Autobauern", meint der in Schanghai lebende Automobilanalyst Roy Lu.

Tavares hat sich für den Partner Leapmotor entschieden, weil er nach eigenen Aussagen besonders beeindruckt ist von der Innovationskraft des chinesischen Herstellers. Der sei nicht weniger als "einer der beeindruckendsten neuen EV-Unternehmen" sagte er bei der Vorstellung der Partnerschaft. Leapmotor sei von einem "unternehmerischen Denken des 'Tech first' geprägt, das dem unseren ähnlich ist."

Tavares hofft, mit Hilfe von Leapmotor in China endlich den Marktanteil zu erobern, den einer der größten Autokonzerne der Welt dort gewinnen muss, wenn er auf Dauer in der ersten Liga mitspielen will. Bislang spielt keine Stellantis-Marke in China eine nennenswerte Rolle, weder die Nobelmarke DS noch die sonst weltweit wachsende Marke Jeep.

"Durch diese strategische Investition können wir eine Lücke in unserem Geschäftsmodell schließen und von der Wettbewerbsfähigkeit von Leapmotor sowohl in China als auch im Ausland profitieren", formuliert Tavares dies.

Kommt hier also zusammen, was zusammenpasst? Das wird sich noch zeigen müssen. Fest steht, dass beide Seiten nur Vorteile aus der Zusammenarbeit erwarten, Rivalitäten sind nicht zu erwarten.

Die Führungsmannschaft von Stellantis ist geübt darin, aus 14 äußerst unterschiedlichen Marken mit sehr unterschiedlichen Plattformen und Unternehmenskulturen hohe Synergien zu ziehen. Genau das will Tavares nun mit Leapmotor erneut beweisen.