Herr Brandl, Herr Reblin, Dräxlmaier wird von Ihnen als Doppelspitze geführt. Warum?
Brandl: Das Prinzip hat sich bei Dräxlmaier bewährt. Neben der Rolle als CEO unterstütze ich als Vice Chairman Herrn Dräxlmaier bei der strategischen Ausrichtung des Unternehmens.
Reblin: Herr Brandl und ich teilen uns sinnvoll die Verantwortungen. Das operative Geschäft (Vertrieb, Projekt, Entwicklung, Einkauf, Operations) läuft bei mir, bei Herrn Brandl sind zusätzlich die unterstützenden (Finanz, HR, IT) Funktionen angesiedelt. Das bedingt auch eine gewisse gegenseitige Kontrollfunktion, damit wir eine maximale Objektivität in unserem Geschäft erreichen.
Agilität und Schnelligkeit sind in der Branche entscheidend. Stehen Sie schon da, wo Sie hinwollen?
Brandl: Man wird seinem eigenen Anspruch nie zu 100 Prozent gerecht. Die Messlatte muss in Punkto Ziele sehr hoch liegen. Der Markt erfordert eine höhere Geschwindigkeit und wir sind in den vergangenen zwölf Monaten schneller geworden. Auch die Organisation hat sich weiterentwickelt. Das betrifft nicht nur die Führung, sondern auch die folgenden Ebenen. Die Fortschritte betreffen auch die digitale Transformation, die ein wesentlicher Faktor ist, um Agilität erreichen zu können.
Wie sieht Ihre Strategie im Bereich E-Mobilität aus?
Reblin: Unsere Ausrichtung ist seit langem auf die Elektrifizierung vorbereitet, aber nicht ausschließlich. Das Wachstum unseres Unternehmens findet maßgeblich auf den Feldern Batterien und Hochvolt statt. Die Weichen dafür haben wir bereits im Jahr 2009 gestellt. Wir leiden gerade noch ein klein wenig darunter, dass die Volumen unserer Kunden noch nicht so kommen wie sie ursprünglich mal geplant wurden.
Brandl: Der Vorteil für Dräxlmaier ist, dass wir durch unseren strategischen Footprint auf die wesentlichen Trends der Automobilindustrie einzahlen. In der E-Mobilität gibt es derzeit sicherlich die größte Bewegung, aber wir dürfen das Thema autonomes Fahren nicht vergessen. Der dritte Trend ist die Digitalisierung im Fahrzeug. Unabhängig von unseren Technologieschwerpunkten zahlen wir auf diese drei Megatrends strategisch ein. Das ist der große entscheidende Vorteil für uns als Unternehmen, die Wachstumsperspektiven genauso weiterzuführen wie die drei festen Säulen Interieursysteme, Bordnetzsysteme und Next-Mobilitätslösungen, auf denen das Unternehmen steht.
Dräxlmaier hat angekündigt, seine Kompetenzen aus Interieur, Elektronik, Elektrik, Komponenten und Batteriesystemen zu bündeln. Was ist das Ziel?
Reblin: Es geht um eine höhere Integrationsfähigkeit in den Technologien. Das heißt beispielsweise für den Bereich Interieur, dass es nicht mehr ausschließlich um die klassische Oberflächenkompetenz geht, sondern Oberfläche kombiniert mit Funktion.
Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Reblin: Eine Oberfläche kombiniert mit hinterleuchtetem Licht, Oberflächenheizungen oder auch Schaltermodule. Das heißt, es geht darum, unser Kerngeschäft auf der Systemseite mit weiteren Kernkompetenzen im Bereich der Integration anzureichern. So wollen wir im Unternehmen Kompetenz- und Systemgrenzen überschreiten. Wir entwickeln die Elektronik zentral und stellen sie beispielsweise dem Interieur bereit oder integrieren sie in unsere Bordnetzsysteme.
In welchen Bereichen verstärken Sie sich mit neuen Kompetenzen und Technologien?
Reblin: Wir erweitern unseren Kompetenz- und Technologiescope kontinuierlich unter anderem mit dem Fokus auf das autonome Fahren. Natürlich ergeben sich auch im Interieur neue Lösungen, weil die Aufmerksamkeit des Fahrers nicht mehr ausschließlich auf das Fahren des Fahrzeugs ausgerichtet ist.
Hält Dräxlmaier in diesem Bereich nach Kooperationspartnern Ausschau?
Brandl: Wir halten die Augen offen, unser primäres Ziel ist aber organisch mit Technologien und Geschäftsmodellen zu wachsen. Immer wenn wir Schnelligkeit gewinnen können sind wir offen und prüfen Optionen, falls sie sich bieten. Seien es Start-ups, Netzwerke, Kooperationen, Partnerschaften, finanzielle Beteiligungen bis hin zu Akquisitionen. Wir sehen derzeit im Markt aber keine Supertechnologie an der wir partizipieren können.
Welche wesentlichen Trends beim Bordnetz sehen Sie?
Reblin: Den Trend, Komplexität im Bordnetz zu reduzieren. gibt es seit vielen Jahren. Dem standen bislang aber oft Kostenpositionen entgegen, die das dann nicht gerechtfertigt haben. Es hat sich jetzt deutlich gezeigt, dass das Bordnetz das Herz des Fahrzeugs ist. Wenn die Bordnetzindustrie mit ihren tausenden Mitarbeitern zum Stehen kommt, kommt auch die gesamte Automobilindustrie zum Stehen, wie das im Ukraine-Krieg zu beobachten war. Das heißt, es gibt mehrere Treiber, die dafür sprechen, die Komplexität zu reduzieren und das Bordnetz stärker zu digitalisieren.
Welche Treiber sind das?
Reblin: Die Verfügbarkeit von Mitarbeitern, die Sicherheit in der Supplychain und on Top das Thema autonomes Fahren. Ursprünglich hatten wir mit einer schnelleren Transformation des Bordnetzes gerechnet, mit einer höheren Automatisierung, aber auch mit neuen Bordnetzstrukturen. Mit den zwei zusätzlichen Treibern funktionale Sicherheit und Risiken in der Supplychain werden wir in den nächsten drei bis fünf Jahren in den ersten Fahrzeuganläufen entscheidende Veränderungen wahrnehmen.
Wo sehen Sie beim Bordnetz Chancen zur Automatisierung?
Reblin: Basierend auf den heutigen Bordnetzarchitekturen lässt sich das nur schwer sagen. Im Bereich der kleinen Leitungssätze, wie man sie beispielsweise in den Türen oder in der Mittelkonsole findet, sind heute schon Automatisierungsumfänge möglich. Größere Schritte lassen sich nur mit Anpassungen der Fahrzeugarchitektur umsetzen. Die Federführung bei den Anpassungen liegt beim OEM in Zusammenarbeit mit starken Tier1 wie Dräxlmaier, die die Komplexität beherrschen und diese auch realisieren können.
Welche Erwartung haben Sie für das laufende Geschäftsjahr?
Brandl: 2022 war bislang ein Jahr der Extreme. Die Planungen für dieses Jahr haben wir relativ schnell kassiert. Die Volatilität im Markt war so gewaltig, dass das Jahr überhaupt nicht mehr planbar war und wir flexibel auf die Rahmenbedingungen reagieren mussten. Das erste Quartal war schwierig, das zweite ein Quartal der Stabilisierung, das dritte Quartal eines des Wachstums und wir hoffen, dass wir diesen Trend auch im vierten Quartal fortsetzen können, so dass wir zum Ende des Jahres im Wesentlichen unsere ursprünglichen Ziele erreichen.
Welchen Umsatz wollen Sie erzielen?
Brandl: Wir versuchen 2022 bei 4,9 Milliarden Euro Umsatz zu beenden. Das wäre ein Zuwachs von 250 bis 300 Millionen Euro gegenüber 2021. Das Ergebnis ist unter anderem beeinflusst durch inflationäre Aspekte und Kostensteigerungen, die nicht alle abgefedert werden können. Aber wir müssen abwarten, was bis zum Jahresende noch auf uns zukommt.
Könnte die Fünf-Milliarden-Grenze noch geknackt werden?
Reblin: Das ist sehr unwahrscheinlich, weil unsere Kunden für das vierte Quartal sehr optimistisch geplant hatten. Wir haben gelernt, dass die kurzfristigen Einflüsse meistens negativ sind. Eine Übererfüllung der Kundenplanungen haben wir in diesem Jahr nicht mehr erlebt. Früher gab es immer mal wieder den Fall, dass ein Kunde zu defensiv geplant hatte. Unsere Flexibilität hat uns dieses Jahr wieder sehr viel Energie gekostet. Energie im Management, aber vor allem bei den vielen Mitarbeitern, die tagtäglich in unseren Werken an der Linie davon betroffen sind.
Welche Rendite erreichen Sie?
Bandl: Dazu machen wir traditionell keine Aussagen. Aber wir müssen natürlich Geld verdienen, um unsere Investitionen auch in Zukunft selbst bezahlen zu können.
Wie sehr belastet Sie das Thema Energieversorgung und Rohstoffpreise?
Reblin: Sehr, da die Rohstoffanpassungen maßgeblich zur Veränderung unserer Kostenbasis beitragen. Wir haben vier Kostenarten. Das sind die Material-, die Energie-, die Transport- und die Personalkosten. Diese vier Kostenarten weichen signifikant gegenüber dem Ursprungsplan ab.
Inwiefern kommen Ihnen die Fahrzeughersteller entgegen, indem sie einen Teil der Kosten übernehmen?
Brandl: Freiwilligkeit gibt es natürlich von keiner Seite. Man muss für seine Themen hart einstehen und den Kunden über Transparenz klarmachen, dass es ohne Preiserhöhungen oder Anpassungen heute nicht mehr geht. Ansonsten ist auch die Verteilung der Erträge nicht angemessen.
Reblin: Durch die Vielschichtigkeit der sich gegenseitig überlagernden Probleme ist der Druck auf den Tier 1 maximal. Wir verteidigen unseren langjährigen Ruf als zuverlässiger Lieferant. Das ist eine Wertschätzung, die vor allem auf der persönlichen Ebene stattfindet und nicht auf der kommerziellen. Auf der kommerziellen Seite müssen wir als sehr zuverlässiger Zulieferer genauso hart kämpfen wie ein Lieferant, der etwas instabiler ist. Unseren Ruf als ein sehr verbindlicher Partner wollen wir auch in Zukunft behalten und deshalb müssen wir sowohl an den Preisthemen als auch an weiteren Effizienzsteigerungen sehr energisch arbeiten.
Wie stabil ist Ihre Lieferkette?
Reblin: Wir verfügen im Einkaufsbereich über einen sehr guten Prozess, um kritische Lieferanten zu bewerten und zu monitoren. Aber wir verzeichnen auch eine zunehmende Zahl an Lieferanten, die sich im direkten Monitoring befinden. Es gibt in unserer Supplierbase definitiv eine merkliche Zunahme der rot bewerteten Lieferanten.
Brandl: Es gibt einfach zu viele Themen gleichzeitig. Unternehmen, die schon vorher angeschlagen waren, zerreißt es jetzt in dieser Phase. Es ist ganz wichtig, dass wir einen funktionieren Prozess haben, der uns zumindest rechtzeitig warnt, damit wir nachjustieren können.
Wollen Sie ihre Lieferkette stärker regionalisieren?
Reblin: Das lässt sich nicht pauschalisieren, ist aber aus Nachhaltigkeitsgründen interessant. Nachhaltigkeit ist schließlich unsere DNA. Das ist eines der Themen, die wir bereits seit Jahren intensiv verfolgen.
Wie verteilt sich Ihr Umsatz in den drei großen Weltregionen?
Reblin: Ungefähr 25 Prozent unseres Geschäfts entfällt auf Nordamerika. Rund 20 Prozent auf China, der Rest auf Europa. Dabei wird es auch im Wesentlichen bleiben. An der grundsätzlichen Strategie von Fritz Dräxlmaier hat sich nichts geändert. Wir wollen uns eigenfinanziert als Familienunternehmen weiterentwickeln.
Dazu aus dem Datencenter: