Edge Computing hängt die Cloud ab

Cloud-Computing bietet viele Vorteile – aber die Cloud kann nicht alles. Mittlerweile etabliert sich mit "Industrial Edge" ein Ansatz, der einerseits dort Lösungen bietet, wo eine Cloud die Anforderungen nicht erfüllen kann und in anderen Fällen eine Anbindung an eine Cloud erst ermöglicht. Bei diesen Edge-Lösungen arbeiten Computer wieder direkt auf dem Shopfloor an der Produktionslage.

Theoretisch ist die Cloud technisch und wirtschaftlich eine hervorragende Lösung: Extrem hohe Rechenkapazität, wirtschaftlich und ökologisch günstig an einem Ort konzentriert, ersetzt Software und viele Computer vor Ort bei den lokalen Anwendern.

Allerdings müssen die Daten vom Anwender in die Cloud und die Rechenergebnisse zurück zum Anwender transportiert werden – und das kann ein Problem sein. Denn der Datentransport kostet manchmal zu viel Zeit und er erfolgt auch nicht immer zuverlässig in exakt der gleichen Zeit, er ist nicht "deterministisch", wie die Ingenieure sagen.

In manchen Produktionsanwendungen kann es aber um Millisekunden oder weniger gehen. Gar nicht zu reden davon, dass eine Datenleitung oder ein Funknetz auch ausfallen können. Bei diesem Punkt versprechen sich Unternehmen einiges von 5-G-Campusnetzen, die sie selbst betreiben und daher Verfügbarkeit und Latenzzeiten selbst im Griff haben.

"Wenn Daten sehr schnell auszuwerten sind, oder ganz schnell Sollwerte in Maschinen hineingegeben werden müssen, und die Geschwindigkeit des Datentransfers in die Cloud und zurück – die sogenannte Latenzzeit– zu lang ist dann ist Industrial Edge eine extrem sinnvolle Lösung", erläutert Axel Lorenz. Das gelte auch, wenn die Verfügbarkeit der Datenverbindung nicht absolut gesichert sei, fügt der Verantwortliche für das Industrial-Edge-Geschäft bei Siemens hinzu.

Als zweiten Anlass, die Algorithmen vor Ort statt in der Cloud arbeiten zu lassen nennt Lorenz die Wirtschaftlichkeit. Wenn infolge der zunehmenden Digitalisierung der Produktion die Datenmengen geradezu explodieren, "muss man sich die Frage stellen: Ist das noch ökonomisch, alles in die Cloud zu schicken und wieder zurück?" Da könne es sinnvoll sein, lokal zumindest eine Vorverarbeitung der Daten vorzunehmen und so die Datenmengen, die hin und her geschickt werden, zu verringern.

Schließlich kommt in manchen Fällen noch zum Tragen, dass Unternehmen ihre Daten nicht in eine externe Cloud fließen lassen wollen. Allerdings, betont Lorenz auch, meist ergebe die Kombination von Cloud und Industrial Edge die optimale Lösung.

Oft erlebe er bei Kunden auch, dass Industrial Edge erst die Nutzung einer Cloud ermögliche. Dann nämlich, wenn die in der Produktion installierten Systeme so alt sind, dass sie noch keine Verknüpfung mit der Cloud erlauben. Dann seien es Industrial-Edge-Systeme, die an den alten Anlagen installiert werden und die Verbindung zur Cloud ermöglichen.

Diese Vorteile nutzt auch BMW in einem "Edge Ecosystem", das bereits in mehreren Anwendungen weltweit läuft. Etwa für die Echtzeitsteuerung der optimalen Beölung von Blechen vor dem Pressen. Dabei laufen Programme vor Ort in den Werken ab. Die Programme werden in einer Cloud verwaltet und auf dem neuesten Stand gehalten. Von dort werden produktionsnahe Apps auf die Edge Devices in den Werken verteilt. Für dieses Edge Ecosystem wurde der Automobilhersteller mit dem Microsoft Intelligent Manufacturing Award ausgezeichnet.

Die Offenheit des Ecosystems biete externen Partnern und Lieferanten die Möglichkeit, effizient und ohne spezielle Anpassungen ihre jeweiligen Hard- und Softwarekomponenten in das Produktionssystem von BMW weltweit zu integrieren, betont man bei dem Automobilhersteller.

Mithilfe des Edge-Ecosystems macht BMW auch alte Bestandsanlagen fit für die Cloud. Dazu wird auf einem Edge Device eine Gateway-Software installiert, die die Anlagendaten in Cloud-kompatible Formate umwandelt.

Zwar laufen die Diskussionen über die Notwendigkeit, IT-Technologie nicht nur in der Cloud zu haben, sondern sie in die Fertigung zu bringen, schon seit einigen Jahren. Und Siemens ist mit Industrial-Edge-Lösungen am Markt. "Weil es ein völlig neuartiges Produkt ist, sind wir sehr gezielt vorgegangen, haben Industrial Edge aber bereits bei mehr als 300 Kunden im Einsatz“ berichtet Lorenz.

Der Trend weg von der alleinigen Konzentration auf Cloudlösungen zeigt sich auch in der sogenannten Hybrid Cloud, die Siemens, IBM und die IBM-Tochter Red Hat ins Leben gerufen haben. Dabei kann die Industrial-Internet-of-Things (IoT)-Plattform Mindsphere, die Siemens entwickelt hat, auch lokal direkt am Produktionsstandort "On Premise" betrieben werden, um die nötigen kurzen Reaktionszeiten zu gewährleisten. Für nicht zeitkritische Lösungen ist die lokale Installation mit der Cloudplattform verknüpft.

Aus dem Datencenter:

Produktionsprognose für deutsche Hersteller 2022