Herr Petznick, der Markt für die Technik zur Automatisierung von Fahrfunktionen ist bislang unübersichtlich. Bilden sich mittlerweile klarere Rollenbilder und Aufgabenverteilungen heraus?
Der Markt sortiert sich langsam in gewisse Gewerke. Allerdings noch bei weitem nicht so einheitlich wie in den klassischen Technologien. Klar ist, dass kein Unternehmen allein alles abdecken kann. Sensoren und ähnliche Komponenten dürften weitgehend ein klassisches Zulieferergeschäft bleiben. Bei den High-Performance-Recheneinheiten werden die Hersteller der Systems on Chip – also der SoCs als Kernkomponente der Systeme – eine wichtige Rolle spielen. Sowohl als Hardware-Lieferanten wie auch mit zusätzlichen Softwarekomponenten. Dazu kommen die Integratoren all der Systeme.
Wie ist es bei der Software?
Hier wird die Arbeitsteilung stark davon abhängen, welche Teile der jeweilige Automobilhersteller selbst übernehmen möchte. Ob er etwa eine eigene Middleware einsetzen möchte und generell auch von der Frage, welche Softwareteile er als differenzierend gegenüber dem Endkunden betrachtet und in der eigenen Hoheit behalten möchte. In die Entscheidungen wird auch einfließen, welche Fähigkeiten jener Tier-1-Lieferant mitbringt, der alles integrieren soll.
Wie positioniert sich Continental hier?
Wir bringen uns mit unserem umfassenden Systemwissen ein. Wir können integrieren, wir wissen, wie man Produkte industrialisiert und wie man sie auf die Straße bringt. Zudem haben wir jahrzehntelange/ sehr viel Erfahrung mit sicherheitsrelevanten Systemen. Und wir haben ein System aus Kooperationen mit Partnern aufgebaut, die in speziellen Bereichen, teilweise in der Software, unsere Kompetenzen ergänzen. So gewährleisten wir eine Systemintegration, die leistungsfähig und sicher ist, aber bezahlbar bleibt. Natürlich liefern wir auch Einzelkomponenten wie High-Performance-Rechner oder Sensoren.
In den USA starten Sie mit Aurora Innovation ein Hardware-as-a-Service-Geschäftsmodell. Gemeinsam liefern Sie Technik, die Trucks auf Level 4 autonom fahren lässt, und werden von den Spediteuren für jede autonom gefahrene Meile bezahlt. Warum dieser ungewöhnliche Ansatz?
Wenn wir Produkte „normal“ verkaufen, wachsen mit den Stückzahlen auch unsere Produktionskosten. Mit dem Hardware-as-a-Service-Ansatz können wir Umsatz und Kosten ein Stück weit entkoppeln. Wir haben zwar eine gewisse Einstiegsinvestition, aber die Skalierung der Einnahmen in der Zukunft sollte sehr attraktiv sein.
Birgt das nicht ein hohes Risiko? Wenn das Geschäft der Spediteure einbricht und die Trucks nicht rollen, nehmen Sie weniger ein als erwartet.
Wir glauben, dass der Flottenmarkt, und konkret der Markt der Spediteure in den USA, prädestiniert ist, diesen Ansatz mit überschaubarem Risiko zu testen. Es geht ja nicht nur um die weitgehende Einsparung der Personalkosten für Fahrer. Sondern es herrscht auch ein eklatanter Mangel an Fahrern. Und in den USA erfolgt ein sehr hoher Anteil des Warentransports über die Straße. Das ist ein Markt, der sehr laut nach einer Lösung ruft. Deshalb werden wir mit hoher Wahrscheinlichkeit Erfolg haben.
Sie sind eine Partnerschaft mit dem Chip-Spezialisten Ambarella eingegangen und setzen dessen Technik auch in dem gerade erwähnten Level-4-Projekt ein. Warum haben Sie aus den zahlreichen Chipherstellern Ambarella ausgewählt?
Uns hat die Technologie von Ambarella überzeugt: ein Chip, der eine hohe Leistung mit relativ geringem Stromverbrauch kombiniert. Das SoC von Ambarella verbraucht nur etwa 50 bis 80 Watt während das System eines vergleichbaren Anbieters 250 bis 400 Watt benötigt. Zum anderen passen die sehr spezifisch auf diesen Chip ausgerichteten Software-Komponenten von Ambarella sehr gut zu unseren eigenen Softwarebausteinen. Sie ergänzen sich so gut, dass wir gemeinsam sehr schnell einen hochwertigen Full Stack für eine konkrete Anwendung aufbauen können.
Wie sieht in einer Automatisierungslösung von Ihnen und Ambarella die Arbeitsteilung aus?
Das SoC kommt von Ambarella, die Hardwareintegration liegt bei uns. Bei der Software liegt, stark vereinfacht, die Beschaffung der Daten über die Fahrzeugumgebung bei uns. Das sogenannte Labelling, also die Aufgabe, aus den Daten ein Bild der Umgebung aufzubauen und zu interpretieren, erledigt die speziell für diesen Chip optimierte Software von Ambarella.
Wie wirkt sich der relativ niedrige Stromverbrauch des Chips aus?
Der schlägt sich selbst bei niedrigen Automatisierungsgraden mit relativ überschaubarem Rechneraufwand in einer um fünf bis zehn Kilometer höheren Reichweite bei Batteriefahrzeugen nieder.
Ein wichtiges Thema für die Entwicklung neuer Elektronikarchitekturen und das Software-defined Car ist die Trennung von Hardware und Software, damit etwa Algorithmen von Hersteller A auf Hardware von Hersteller B laufen kann. Wie weit ist diese Trennung gediehen?
Wir beobachten, dass Automobilhersteller immer häufiger Hard- und Software separat anfragen. Wichtig ist die Trennung etwa, um Softwareupdates bei bereits ausgelieferten Fahrzeugen zu vereinfachen. Sie bietet aber auch Effizienzpotenziale. Wenn man etwa je nach konkreter Fahrsituation die passende Software in einen Zentralrechner lädt, muss man insgesamt weniger Rechenleistung installieren, als wenn jede Software ihren eigenen Rechner benötigt. Diesen Ansatz verfolgen wir sehr intensiv. Nötig dafür ist eine Standardisierung von Schnittstellen.
Ist bei Hard- und Software-Schnittstellen eine Norm in Sicht?
Davon sind wir noch relativ weit entfernt. Es ist eher so, dass man sich bemüht, die APIs, die Application Programming Interfaces, so zu gestalten, dass bestimmte Parameter, die für Funktionen notwendig sind, in Absprache mit anderen Playern sinnvoll zu vereinheitlichen sind.
Wir sprachen bereits über den Stromverbrauch der Elektronik und den Einfluss auf die Reichweite. Ließen sich Strom und Kosten für Chips im Auto sparen, wenn man rechenintensive Funktionen aus dem Fahrzeug in eine Cloud auslagert?
Angesichts hochperformanter Schnittstellen zu Automobilen wie 5G oder später 6G kann das eine Option sein.
Welche Funktionen kämen für ein solches Cloud Computing infrage?
Klar ist, dass sicherheitsrelevante Funktionen immer verfügbar sein müssen, auch dann wenn eine Datenverbindung nicht oder nicht mit ausreichender Leistung zur Verfügung steht. Es muss als Minimalanforderung gewährleistet sein, dass das Fahrzeug unabhängig von externen Datenverbindungen immer in einem sicheren Betriebszustand bleibt.
Dann blieben also die Infotainment-Funktionen für eine solche Auslagerung ...?
Solche Features kämen infrage, aber auch gewisse Funktionen im Zusammenhang mit Fahrerassistenz und Automatisierung, die vor allem den Komfort steigern. Beispielsweise Informationen über die Verkehrssituation oder über die unmittelbar vor einem Fahrzeug liegende Strecke, um damit energiesparender fahren zu können.
Noch einmal zurück zum Thema Energieverbrauch – wie viel Strom benötigt die Elektronik in modernen und künftigen Software-definierten Fahrzeugen?
Das hängt sehr stark vom Einzelfall ab, etwa davon, welche Elektronikarchitektur eingesetzt wird, welches Automatisierungslevel realisiert wird und wie viele Rechner im Fahrzeug verbaut sind. Aber das Thema gewinnt an Bedeutung, gerade bei E-Fahrzeugen. Wenn es um die Frage geht, ob man 50 Kilometer mehr oder weniger Reichweite erzielt, lohnt es sich sehr, auf eine energieeffiziente Elektronik zu achten.
Aus dem Datencenter:
Genehmigungsregeln der Software-Updates