Herr Hofmann, Sie erzielen über 80 Prozent Ihres Umsatzes von zuletzt 703 Millionen Euro in der Automobilindustrie. Wollen Sie in andere Bereiche expandieren, um Ihr Umsatzziel von einer Milliarde Euro im Jahr 2025 zu erreichen?
Wir schauen auch auf andere Industrien, rund um die Themen Mobility und Manufacturing. Aber die Automobilbranche ist unsere Kernbranche – eine der wichtigsten in Deutschland. Dort sehen wir noch großes Potenzial. Vielleicht wird der Umsatzanteil der Automobilindustrie bei uns etwas abnehmen, aber sicher nicht stark.
Als Porsche-Tochter ist MHP sicherlich stark für den VW-Konzern tätig. Soll auch das künftige Wachstum aus diesem Feld kommen?
Naturgemäß – Porsche hält 81,8 Prozent an MHP – sind wir im VW-Konzern tätig. Porsche ist unser größter und wichtigster Kunde. Aber in Deutschland arbeiten wir für viele Automobilhersteller und für die großen Zulieferer. Daher findet unser Wachstum auch abseits des Konzernumfelds statt.
Andere der großen Automotive-IT-Dienstleister im Automobilwoche-Ranking sind in den vergangenen Jahren stark durch Übernahmen gewachsen. MHP hat keine Akquisitionen getätigt. Ergaben sich keine passenden Möglichkeiten, oder ist das Ihre Strategie?
Wir sind tatsächlich seit über 27 Jahren komplett organisch auf rund 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gewachsen. Seit 2010 haben wir – mit Ausnahme der Covid-Phase – Jahr für Jahr ein zweistelliges Wachstum erreicht. Übernahmen waren daher schlicht nicht notwendig. Wir setzen stark auf Partnerschaften, das ist für uns ein wichtiges Feld. Und am Ende profitieren auch unsere Kunden davon.
In der FlexFactory treiben sie mit Porsche und Munich Re die Idee der flexiblen Auftragsfertigung voran. Mit dem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW arbeiten Sie zum Thema smarter Netzbetrieb und E-Auto-Laden. Und mit Bertrandt wollen Sie die gesamte Engineering- und Produktions-Wertschöpfungskette optimieren. Was ist die Motivation für diese Projekte?
Wie gerade gesagt: Das Thema Partnerschaft ist bei uns nicht nur ein gelebter Wert. Wir nehmen das sehr ernst. Für uns als Beratung sind Partnerschaften hervorragende Möglichkeiten, neue Themen aufzugreifen und gemeinsam neues Know-how aufzubauen. Dadurch realisieren wir Synergien, die ein Projekt für alle erst attraktiv machen.
Weil Sie es direkt angesprochen haben: Die Partnerschaften mit Bertrandt und der TransnetBW laufen sehr gut. Mit der TransnetBW sind wir aus dem Grund auch den nächsten Schritt gegangen und haben das JointVenture IE2S – mit dem wir sehr zufrieden sind – gegründet .
Klar ist aber auch: Partnerschaften bergen ganz normale Risiken, die vielerlei Gründe haben können – nicht nur die der Partnerschaft an sich. So haben wir und die beiden anderen Gesellschafter der FlexFactory den Geschäftszweck des Joint Ventures nicht mehr weiterverfolgt und die Tätigkeiten eingestellt. Dennoch ist und bleibt die Digitalisierung der Produktion für uns ein wichtiges und spannendes Geschäftsfeld. Daher arbeiten wir zum Beispiel auch an digitalen Lösungen für die Produktion – zum Beispiel mit unseren Industrial Cloud Solutions.
Also eher strategische als wirtschaftlich orientierte Engagements?
Nein. Vielmehr verbinden wir hier beide Motivationen.
Sie erwähnten es gerade schon: Ihr jüngstes Großprojekt ist die Schaffung des neuen Geschäftsfelds Industrial Cloud Solutions (ICS) – mit Amazon Web Services als Technologie- und Volkswagen als Industriepartner. Was ist die Geschäftsidee dahinter?
Dank der Cloud-Architekturen ist es heute viel einfacher, Software-Lösungen, die man für einen Kunden entwickelt, auch bei anderen einzusetzen. Sprich: Softwarelösungen schnell zu skalieren, um wirklich auch unternehmensübergreifenden Impact zu erzeugen. Wenn wir eine solche – nicht wettbewerbsdifferenzierende – Software-Lösung mehreren Kunden zur Verfügung stellen, kann der Ursprungskunde dafür eine Art Provision bekommen und so Teile der Entwicklungskosten refinanzieren. Für die zusätzlichen Kunden wird es günstiger, weil die Software für sie nur noch angepasst werden muss. Und wir als IT-Beratung sind sowohl mit dem ersten wie auch den weiteren Kunden im Geschäft. Oft wird es sich dabei um Use Cases handeln, die wir mit und für Porsche oder VW entwickelt haben.
Wie geht es bei ICS weiter?
Mit dem neu gegründeten Geschäftsfeld Industrial Cloud Solutions werden wir im Laufe der kommenden Monate weitere digitale Produkte auf den Markt bringen – gerade aus den Bereichen Konnektivität und Digital Twin. Shopfloor Connectivity, sprich die Vernetzung der Maschinen und der gesamten Linie, ist einer der größten Herausforderungen in der Digitalen Transformation. Wir schaffen mit unseren Lösungen so einen Standard für den Datenaustausch und reduzieren die Aufwände bei der Maschinenanbindung.
Wie kommt AWS dabei ins Spiel?
Langfristig bauen wir eine Art B2B-Marktplatz auf der AWS-Plattform auf, wo Industrieunternehmen Standardlösungen finden, die sie mit geringen Anpassungen als Software-as-a-Service auch in ihrer Produktion nutzen können. Wir wollen damit Software-Lieferant für nennenswerte Teile der Produktion werden.
Der Markt für IT-Dienstleistungen ist 2022 trotz des Kriegs gegen die Ukraine und der weltwirtschaftlichen Probleme um über 13 Prozent gewachsen, im Automobilbereich sogar noch etwas stärker. Ist das nur ein kurzzeitiger Boom?
Man kann es nicht oft genug betonen: IT ist der Schlüssel zum Erfolg in der Automobilindustrie. Das gilt natürlich für die Produkte, die sich über die Software definieren und differenzieren. Aber es gilt auch für die Steigerung von Effizienz und Flexibilität in der Produktion.
Auf welcher Stufe der Digitalisierung stehen wir derzeit?
Die digitale Transformation ist noch lange nicht abgeschlossen. Im Gegenteil: Die Künstliche Intelligenz zum Beispiel ist ein Turbo für die Digitalisierung. Vor allem die etablierten Unternehmen haben hier noch viel zu tun. Beim IT-Einsatz in Produkt und Produktion sind sie mit neuen Wettbewerbern konfrontiert, die diese Themen von Grund auf neu denken können, während die etablierten Firmen durch vorhandenes Denken, vorhandene Prozesse, vorhandene Systeme eingeschränkt sind. Ein Beispiel dafür ist die neue IT-Architektur, um die herum Tesla seine Fahrzeuge konstruiert hat.
Das liegt nun mehr als zehn Jahre zurück. Seither ist Tesla nicht mehr durch disruptive Innovationen aufgefallen ...
Dafür kommen andere Player: Im April habe ich die Automesse in Schanghai besucht. Ich war sehr überrascht zu sehen, welche weitreichenden IT-basierte Features die dort gezeigten Modelle rein chinesischer Hersteller versprechen. Die neuen Hersteller dort können wie Tesla ihre Fahrzeuge von Grund auf neu denken und dort die neuesten Technologien einsetzen, ohne sich von technischen Restriktionen durch vorhandene Systeme einschränken zu müssen. Das macht Disruption für sie viel einfacher, als für die etablierten Unternehmen, die sich darum viel mehr anstrengen müssen.
Gilt das auch für die Produktion?
Ja, viele Automotive-Unternehmen engagieren sich zwar enorm im Bereich Industrie 4.0. Aber es gibt eine große Lücke zwischen dem, was sich im Labor realisieren lässt und dem, was sich tatsächlich schon umsetzen lässt. Selbst wenn man ein komplett neues Werk hochzieht, sind Restriktionen zu beachten, weil alte Systeme eingebunden werden müssen, etwa das PLM-System oder das Entwicklungssystem.
Was müssen die Unternehmen tun, um zu bestehen?
Diese Transformation verlangt der Branche einen enormen Wandel ab, der weit über die reine Technologie hinausgeht. Mit IT-freier Hardware haben wir in Deutschland mehr als 100 Jahre Erfahrung, dafür haben wir die Ausbildungen, wir haben die Gehaltsmodelle, wir haben die Motivationsmodelle. Aber Software ist ein völlig anderes Feld. Ein Fahrzeugbauingenieur oder eine Fahrzeugingenieurin denkt ganz anders als ein Softwareingenieur oder eine Softwareingenieurin. Um in der IT erfolgreich zu sein, müssen sehr viele Strukturen und Rahmenbedingungen angepasst werden. Zudem müssen wir viel mehr ausbilden, um diese Aufgaben zu stemmen.
Aus dem Datencenter: