Warum der BMW XM intern "Rockstar" genannt wird

Achtung, jetzt kommt’s dicke. Wenn schon der neue Siebener eine schwere Geschmacksprobe war, dann muss die Fangemeinde der Bayern jetzt noch stärker sein. Denn wenn die Bayern im April zu Preisen ab 170.000 Euro den XM an den Start bringen, dann ist das nicht nur das erste wirklich eigenständige M-Modell seit dem seligen M1 vor bald fünfzig Jahren. Sondern als SUV statt als klassischer Sportwagen konzipiert, ist der kraftstrotzende Koloss von der vermeintlich rahmenlosen Heckscheibe und den vier dreieckigen Endrohren bis zum goldenen Zierrat und den beleuchteten Nieren derart expressiv gezeichnet, dass dagegen selbst Konkurrenten wie ein Lamborghini Urus oder ein Aston Martin DBX plötzlich brav und unscheinbar aussehen.

Das irritiert zwar zumindest in unseren Breiten das allgemeine Geschmacksempfinden, trifft dafür aber jenes der avisierten Zielgruppe auf den Punkt. Im Großen, weil es die Besserverdiener in den USA und vor allem in China nicht so haben mit Zurückhaltung und Understatement. Und im Kleinen, weil es auch bei uns genügend selbstbewusste Menschen gibt, die gerne im Mittelpunkt stehen und mit so einem Auto dem Rest der Welt auf subtile Art und Weise den Mittelfinger im Maßhandschuh entgegenstrecken können. Nicht umsonst nennen sie den XM bei der M GmbH intern „Rockstar“ und haben als Kunden auch Rapper, Fußballer und andere Celebreties im Sinn.

Die können sich buchstäblich auf etwas gefasst machen. Denn so unkonventionell und gewöhnungsbedürftig das Design auch sein mag, so vertraut ist das Fahrgefühl – nur eben nicht von einem SUV. Sondern knüppelhart abgestimmt und zumindest mit den imposanten 23-Zöllern im Alltag schartiger Autobahnen hart an der Schmerzgrenze, mit aggressiver Allrad-Lenkung, Wankstabilisierung und bissigen Bremsen schmelzen die 2,7 Tonnen förmlich dahin und der Riese wird ungeheuer handlich, wenn man damit hart an der Ideallinie über eine enge Landstraße fliegt und die Radien rasiert. Wo ein X5M oder X6M brachial über den Asphalt bügeln wie eine Dampfwalze auf Speed, fährt sich der XM fast schon filigran und ist einem M4 plötzlich sehr viel näher als seinen potenten Plattform-Brüdern – Zahlen wie die 4,3 Sekunden von 0 auf 100 oder die bis zu 270 km/h bei Vollgas vermögen kaum auszudrücken, wie schnell und scharf sich dieses SUV anfühlt.

Treibende Kraft dabei ist ein Powerpaket, das in Zeiten der Energiewende ebenfalls pure Provokation ist. Denn während BMW gerade mit der Neuen Klasse die nächste Stufe der elektrischen Revolution einläutet und sogar noch einmal die Brennstoffzelle aus der Versenkung holt, geht die M GmbH in die Vollen und hält dem V8 die Treue. Ja, sie kombinieren ihren in der ersten Auflage 489 PS starken 4,4 Liter auch mit einer E-Maschine und einem Pufferakku, so dass der XM zum ersten Plug-In-Hybriden der Bodybuilder wird und offiziell als erster Schritt zur Elektrifizierung der Sportmarke herhalten muss.

Doch selbst wenn die netto 25,7 kWh in der Theorie für knappe 90 Kilometer E-Betrieb reichen und der Verbrauch sich so auf dem Prüfstand von alltäglichen 15plus auf aberwitzige 1,5 Liter herunter rechnen lässt, geht es dabei vor allem um noch mehr Performance. Schließlich wirft der Stromer noch einmal 197 PS ins Rennen, so dass sich die Leistung auf 653 und das maximale Drehmoment auf 800 Nm summieren und der XM an die Spitze des Segments rückt. Und wenn im Herbst der „Label Red“ mit einem auf 585 PS erstarkten V8 kommt, wird der XM mit einer Systemleistung von 748 PS und 1000 Nm sogar zum bislang stäksten BMW aller Zeiten. Spätestens dann verbannt der Bulle aus Bayern den Stier des Lamborghini Urus und das Pferd des neuen Ferrari Purosangue vollends in den Streichelzoo.

Wie nebensächlich die elektrische Erfahrung dabei tatsächlich ist, merkt man nicht zuletzt an der mageren Ladeleistung von gerade mal 7,4 kW. Denn wer bitte stellt sich vor solchen Kurzstrecken mehr als vier Stunden an die Ladesäule? Der einzige Grund, in diesem Auto elektrisch zu fahren, ist das natürlich wieder ins Provokante übertriebene Gebrüll aus den Endrohren beim Anlassen. Erst recht, wenn man nicht schnell genug die Schallklappen des Sportmodus deaktiviert.

Auch wenn die Federführung bei der M GmbH lag und er wie alle Autos aus Garching auf der Nordschleife zu Hause ist, ist der XM allerdings kein spartanischer Sportler, sondern ein Luxusliner par Excellence – und trägt seinen Pelz selbst im Interieur weit nach außen gekehrt. Denn extrovertierter als in diesem Auto hat man das BMW-Design noch nicht erlebt. Sitze, Seitenwände, ja selbst das Dach sind schwülstig skulpturiert und werden auf Wunsch kunterbunt illuminiert, und statt der üblichen Rückbank gibt’s ein eigenwillig gepolstertes Designer-Sofa.

Dass der XM anders als damals der M1 trotzdem kein singuläres Modell ist und sich zumindest die Architektur mit den anderen X-Modellen teilt, mit denen er auch gemeinsam in Spartanburg vom Band läuft, merkt vor allem der Fahrer. Denn aus dem mit wunderbarem Sattelleder bezogenen Armaturenbrett ragt das gleiche Curved Display wie bei X5, X6 und X7 – und dummerweise läuft darauf auch die gleiche Software, deren Menüs in ihrer überbordenden Intelligenz und dem Streben nach maximaler Individualisierbarkeit so kompliziert, verschachtelt und tiefgängig geworden sind, dass man sich bisweilen das Bediensystem des seligen M1 zurückwünscht.

Zwar mag der XM schlecht für das Renommee sein und den Klimaschützern sauer aufstoßen. Doch für die Rendite kann es kaum etwas Besseres geben. Denn SUV sind nach wie vor im Höhenflug und Leistung läuft – in den USA genau wie in China, Russland oder den Emiraten. Deshalb gilt für BMW auf die Frage nach dem Warum im Grunde die gleiche Antwort wie für die expressiven Kunden: Weil sie es können!