Herr der Mercedes-Benz-Wertschöpfungskette

Es war die zunehmend schwierige Lage des Konzerns, die Ola Källenius nun zu einem Umbau auch an der Daimler-Spitze veranlasste. Erst holte er sich den Auto-Analysten Max Warburton vom Vermögensverwalter Alliance Bernstein in London als Berater des Vorstands und Leiter Spezialprojekte an seine Seite. Dann baute er im Vorstand um.

Källenius selbst übernahm die Van-Sparte von Wilfried Porth, der weiter Personalvorstand ist. Konzern-Finanzvorstand Harald Wilhelm verantwortet nun auch die Finanzen bei Mercedes. Und Entwicklungs- und Einkaufsvorstand Markus Schäfer wird am 1. April zum Chief Operating Officer. Damit steuert der 54-Jährige den technischen Wertschöpfungsprozess von Mercedes-Benz Cars – von der Entwicklung über den Materialeinkauf bis zur Produktion.

Für Schäfer ist das der bisherige Höhepunkt einer steilen Karriere bei Daimler. Der studierte Maschinenbauer trat nach seinem Abschluss 1990 in die Nachwuchsgruppe Karosseriebau bei Daimler Benz in Sindelfingen ein – und blieb ohne Unterbrechungen bis heute im Konzern. „Das wahre Leben in der Produktion und das Zupacken der Mannschaft habe ich morgens um 6 Uhr im Bau 7 kennengelernt“, erinnert sich Schäfer in einem IG-Metall-Magazin an seinen Start als Betriebsingenieur.

Sein erstes Werk – eine CKD-Montage in Kairo – baute er ab 1997 auf und leitete es bis 2002. Dann ging er als Chef des Engineerings in die USA nach Tuscaloosa.

Von 2007 bis 2010 verantwortete Schäfer die Produktionsstrategie Mercedes-Benz Cars und leitete danach bis Juni 2013 leitete das US-Werk Tuscaloosa. Ein Jahr leitete er noch die Produktionsplanung für Mercedes-Benz-Pkw bis er Mitte 2014 Produktionsvorstand wurde.

Zweimal ist Schäfer bislang schon Nachfolger von Ola Källenius geworden: 2010 als Werkleiter in Tuscaloosa – Källenius wurde damals AMG-Chef – und vor knapp einem Jahr als Entwicklungsvorstand. Die Kombination der Entwicklungs- und Produktionsressorts in einer Hand ist nach Schäfers Argumentation durchaus schlüssig.

Denn früh schon hat der Produktionsexperte Flexibilität in der Fertigung als Priorität benannt. Der Gedanke „ein Band, ein Fahrzeug“ sei überholt, verkündete er als Produktionsvorstand schon vor fünf Jahren. Und beim Automobilwoche-Kongress 2015 betonte er: "Voll automatisierte Fabriken werden nicht flexibel genug sein, um die Anforderungen der Individualisierung zur erfüllen."

Mit dem Einzug der Elektromobilität gewinnt die Flexibilität in der Fertigung noch eine stärkere Bedeutung, weil niemand vorhersagen kann wie viele Kunden schon E-Fahrzeuge und wie viele noch klassische Verbrenner ordern werden. Deshalb sollen bei Mercedes-Benz etwa die EQ-Stromer übers gleiche Band laufen, wie die Verbrenner-Modelle, die sie ablösen sollen.

Und hier liegt die Verbindung von Produktion und Entwicklung. Denn „das gelingt nur, wenn Produktion und Entwicklung noch stärker verzahnt werden und schon in einer sehr frühen Phase zusammenarbeiten. Dann kann man die Fahrzeugarchitektur eines Elektromodells so auslegen und bereits lange vor dem ersten Prototypen digital simulieren, dass sie am Ende übers gleiche Band laufen kann wie ein bestehendes Modell mit konventionellem Antrieb“, sagte Schäfer im Automobilwoche-Interview.

Bei Daimler sollte das zweite Werk im ungarischen Kecskemét eigentlich als erste Full-Flex-Fabrik starten. Doch das liegt wegen der mauen Konjunktur auf Eis. So dürfte die „Factory 56“ in Sindelfingen Daimlers erstes Flexibilitäts-Aushängeschild werden. Die Factory 56, die noch 2020 in Betrieb gehen soll, „ist die Blaupause für all unsere künftigen Fahrzeugmontagen rund um den Globus – das betrifft unsere bestehenden Werke genauso wie neue Standorte“, betont Schäfer. In gewisser Weise hat der Flexibilitätsgedanke bei der Factory 56 schon seinen Sinn bewiesen, bevor dort die Produktion anläuft. Denn die dort geplante Fertigung von Robo-Taxis ohne Lenkrad und Pedal ist angesichts der Schwierigkeiten beim autonomen Fahren erstmal vom Tisch.

Flexibilität ist auch nötig, weil unklar bleibt, welchen Anteil der Elektromobilität die Brennstoffzelle erobern wird. Daimler arbeitet in diesem Feld schon seit Jahrzehnten. Und Schäfer ist überzeugt, dass die Kosten für Brennstoffzellen noch „dramatisch sinken“ werden. Als Treiber sieht er den Truck-Markt, in dem Reichweiten und Leistungsdichten noch eine größere Rolle spielen als bei Personenwagen. "Über die Nutzfahrzeuge werden wir die Stückzahlen bei der Brennstoffzelle nach oben treiben und so die Stückkosten dramatisch senken", sagt Schäfer.

Trotz der Unsicherheit, wie schnell die Elektromobilität sich durchsetzen wird, steht der Wandel grundsätzlich für Schäfer außer Frage. Neue Plattformen sollen seine Entwickler zuerst vom Elektroantrieb her denken – und dann davon Varianten für Modelle mit Verbrennungsmotor ableiten. Konsequenterweise hat das Unternehmen erst einmal die Entwicklung neuer Verbrennungsmotoren gestoppt und konzentriert sich ganz auf die Strom-Schiene.

Das brachte Schäfer einen lobenden Tweed von Tesla-Chef Elon Musk ein: "Electric is the future! Congratulations Daimler!!", twitterte Musk am 19. September 2019.

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