Accenture ist mit einem geschätzten Umsatz von 720 Millionen Euro mit der Automobilbranche in Deutschland auf Rang eins im IT-Dienstleister-Ranking der Automobilwoche gesprungen. Automotive-Chef Axel Schmidt über diesen Erfolg und aktuelle Trends.
Herr Schmidt, wie stark ist Ihr Umsatzsprung durch den Erwerb des Beratungs- und Engineering-Dienstleisters Umlaut bedingt?
Das Umsatzwachstum von Accenture im Automobilbereich geht vor allem auf eine starke Nachfrage zurück. Grund dafür ist der steigende Veränderungsdruck bei Herstellern und Zulieferern. Zudem ist die Breite der Aufgaben gewachsen. Digitalisierung bedeutet heute weit mehr als digitale Services und Infotainment im Fahrzeug. Die gesamte Fahrzeugarchitektur wird digital, gesteuert von einem zentralen Betriebssystem, das fast alle Bauteile steuert.
Durch Vernetzung von IT im Fahrzeug mit der IT in Backends wachsen beide Welten zusammen. Müssen Dienstleister diese Entwicklung nachvollziehen?
Ja, wir als Dienstleister müssen die Veränderung in der Art und Weise wie Fahrzeuge konzipiert, hergestellt, gesteuert und genutzt werden natürlich nachvollziehen. Für unsere Kunden wird es immer wichtiger, dass ein Dienstleister alle Aspekte seiner Transformation abdecken und in allen Phasen unterstützen kann. Wir arbeiten heute viel integrierter mit Kunden über alle Etappen der Produktentwicklung, Markteinführung, Betrieb und im Aftersales zusammen.
Müssten Sie die Kompetenzen für alle Felder im eigenen Haus haben?
Entscheidend ist, dass wir eng kooperieren. Wir müssen als IT-Dienstleister nicht alles selber anbieten, aber wir sorgen dafür, dass alle verfügbaren Technologien sinnvoll miteinander kombiniert werden. Bei vernetzten Produkten wie Fahrzeugen ist es ganz entscheidend, dass wir bereits in der Konstruktion und im Design mit dabei sind. Nur, wenn wir neue digitale Funktionen oder IT-Sicherheit von Anfang an mitdenken, entsteht für die Hersteller und deren Kunden wirklich ein Nutzen. Das war für uns auch der Grund, Umlaut mit seinem Know-How im Engineering zu übernehmen. Gemeinsam sind wir zum Beispiel in der Lage, Digital Twins im Engineering zu erstellen und so Produkte für unsere Kunden noch schneller zu konstruieren, neue Funktionen zu nutzen oder Produkte im Betrieb zu updaten.
Planen Sie weitere Übernahmen nach diesem Muster?
Für Accenture war es schon immer wichtig, über Akquisitionen neue Kompetenzen aufzubauen oder bestehende zu erweitern. Unser Ziel ist, unser End-to-End-Angebot immer weiter zu vervollständigen, und Akquisitionen von Dienstleistern, die hochspezialisiert sind und in ihrem Bereich zu den Besten gehören, sind eine Möglichkeit, dieses Ziel zu erreichen.
Ein Megatrend ist das Software-defined Car. Werden IT-Dienstleister auch in diesem Feld, das ja klassisch eigentlich ein Thema von Entwicklungsdienstleistern wäre, aktiv werden?
Ja, das Software-defined Car ist ein wichtiges Thema für uns; aber natürlich müssen wir hier eng mit Entwicklungsdienstleistern zusammenarbeiten. Immer wenn es darum geht, komplexe neue Technologien ins Auto zu bringen, braucht es die enge Zusammenarbeit zwischen Herstellern, IT-/Tech-Firmen und Entwicklern. Nur so entsteht eine wirkliche gute Nutzererfahrung. Beim Software-defined Car sehen wir auf jeden Fall viel Potenzial für die Zukunft und werden diesen Bereich weiter ausbauen. Dafür erweitern wir sowohl unsere eigenen Kompetenzen im Automotive-Bereich, arbeiten eng mit anderen Einheiten bei Accenture zusammen, und kooperieren mit Entwicklungsdienstleistern und anderen Partnern.
Digitalisierung, Elektrifizierung, Automatisierung von Fahrfunktionen und Nachhaltigkeit zählen zu den wichtigsten Trends in der Automobilindustrie. Wie verändern sich dadurch die Bedürfnisse, mit denen die Unternehmen an IT-Dienstleister wie Accenture herantreten? Wo setzen die Kunden die Prioritäten?
Unsere Kunden suchen nach Dienstleistern, die mit einem End-to-End-Angebot bei allen Etappen ihrer komplexen Transformation unterstützen können. Als Accenture sind wir in all den genannten Bereichen – Digitalisierung, Elektrifizierung, Automatisierung von Fahrfunktionen und Nachhaltigkeit – gut aufgestellt, insbesondere durch unsere Akquisitionen von zielpuls, designaffairs, ESR Labs, und umlaut, können wir den Bedarf am Markt holistisch bedienen und ganzheitliche Lösungen bieten.
In den letzten Jahren sehen wir vermehrt Kundenanfragen aus dem Bereich Digital Engineering; das war auch der Grund, uns mit Umlaut in diesem Bereich zu verstärken. Für die Automobilindustrie ist es heute enorm wichtig, Produkte schneller zu entwickeln und auch im Betrieb immer wieder mit neuen Funktionen zu versehen. Das ist mit Digital Engineering möglich.
Weiterhin sehen wir eine steigende Nachfrage nach Unterstützung bei der Entwicklung von Software. Die OEMs wollen den Eigenanteil an der Software im Auto erhöhen statt auf Drittanbieter wie Apple oder Google zu setzen. Hier liefern wir die nötige Software-Kompetenz und die Manpower. Außerdem betreiben wir vermehrt für Kunden aus der Autoindustrie bestimmte Services. Die Autohersteller können sich – und ihre Fachkräfte – so auf die Kernaufgaben konzentrieren.
Setzen die Unternehmen damit nach Ihrer Einschätzung die richtigen Schwerpunkte?
Die großen Player in der Automobilindustrie setzen alle die richtigen Prioritäten; die Schwierigkeit liegt eher in der Umsetzung. Ihnen mangelt es oft an den nötigen Kompetenzen und den IT-Spezialisten dafür. Autohersteller müssen heute mehrere Transformationen gleichzeitig meistern, das schafft niemand alleine. Hier unterstützen wir unsere Auftraggeber, schneller voranzukommen.
Nutzt die Automobilbranche die Chancen, die IT ihr bietet, ausreichend?
Ja, die Branche hat längst verstanden, dass keine der großen Transformationen ohne Investitionen in IT gelingen wird. Doch Herstellern und Zulieferern fehlen die nötigen Kompetenzen im IT- und Softwarebereich. Und es mangelt an Fachkräften. Deshalb sind Kooperationen – ob nun mit den Hyperscalern oder mit IT-Dienstleistern – so wichtig. Die Frage für die Autohersteller bei den Kooperationen ist nur, wie tief sie ihre Tech-Partner integrieren wollen. Soll das Betriebssystem von Dritten kommen, oder ist ein eigenes Betriebssystem strategisch sinnvoller? Welche Bereiche sind für die Markendifferenzierung wichtig, welche können von Drittanbietern übernommen werden? Diese Frage treibt alle OEMs und Zulieferer um – und die Antworten fallen ganz unterschiedlich aus. Fakt ist aber: Wer nicht auf IT setzt, wird irgendwann zum reinen Hardware-Hersteller degradiert.
Wie wird sich nach Ihrer Einschätzung das Volumen des Marktes für IT-Dienstleistungen in der Automobilindustrie 2022 und 2023 verändern?
Verlässliche Vorhersagen sind in der gegenwärtigen Situation sehr schwer. Wir haben aber auch schon in der Pandemie gesehen, dass Autohersteller und -zulieferer bei ihren Digitalisierungsbemühungen nicht etwa sparen, sondern – ganz im Gegenteil – das Tempo noch einmal erhöht haben. Die Digitalisierung ist neben der Elektromobilität das entscheidende Zukunftsthema für die gesamte Automobilindustrie; und niemand kann sich leisten, hier den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Dafür werden Hersteller und Zulieferer auch weiterhin auf eine enge Zusammenarbeit mit IT-Dienstleistern angewiesen sein. Dabei werden aber vor allem die Anbieter profitieren, die auf Umsetzung und ganzheitliche Lösungen spezialisiert sind. Kleine Nischenanbieter oder die Strategieberater werden es allein schwer haben.
Ändert sich die Art der Zusammenarbeit mit Automotive-Kunden?
An engen Partnerschaften mit IT-Dienstleistern und anderen Anbietern führt für Hersteller und Zulieferer kein Weg mehr vorbei. Bereits vor zehn Jahren haben sich OEMs und Tech-Firmen zusammengeschlossen, um Software zu entwickeln oder das autonome Fahren voranzutreiben. Neu sind Joint Ventures beziehungsweise die Tiefe der Kooperation: Heute entwickeln die Tech-Spezialisten nicht nur neue Anwendungen, sie betreiben sie auch gemeinsam mit den Autofirmen. Gerade bei der Verarbeitung und Auswertung von Daten ist das Know-How von Tech-Firmen und IT-Dienstleistern gefragt.
Aus dem Datencenter:
Conncted-Car-Innovations-Ranking (CCI) 2021