Herr Hahn, Ende 1990/Anfang 1991 nutzte der VW-Konzern die Chance, Škoda zu übernehmen. Was waren Ihre Beweggründe?
Schon in meiner Kindheit wusste ich um die Stärke der tschechischen Autoindustrie, das hatte ich von meinem Vater (Unternehmer und später Manager bei DKW und Auto Union, Anm. d. Red.) mitbekommen. Mein Vater hatte beste Kontakte in dem Land. Zweimal im Monat fuhren wir von Chemnitz nach Nové Hrady, um Großvater zu besuchen. Viele Gespräche drehten sich um die Autobranche. Als 1989 die Wende kam, haben wir uns sofort dorthin begeben. Unser Ziel war es, aus Škoda die vierte Marke im VW-Konzern zu machen. Unsere Strategie lautete: ein unabhängiges Škoda im Volkswagen-Verbund, mit eigenem Modellprogramm und dem Ausbau aller Stärken, die die Tschechen hatten.
Es gab andere Bieter für Škoda. War es ein hartes Rennen?
Wir hatten die richtige Strategie. Es war kein leichtes Rennen, jedoch eines mit einem glücklichen Ausgang. Renault war ein hartnäckiger Gegenspieler. Renault brauchte für den Anlauf eines neuen Modells Kapazitäten und hatte von der damals noch tschechoslowakischen Regierung die Zusage bekommen, dafür die Škoda-Fabriken übernehmen zu dürfen. Wir hingegen wollten die Marke Škoda erfolgreich und authentisch weiterführen und verfolgten eine pragmatische Politik.
Wie sah die aus?
Wir haben eine Beziehung zu den Škoda-Leuten in Mladá Boleslav aufgebaut, konstruktiv Gedanken ausgetauscht – zwischen den Betriebsräten und zwischen den Managern, aber ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Schon vor der Wende hatten wir Termine mit Spitzenmanagern von Škoda auch in Wolfsburg, und die verliefen – bis auf einen – sehr gut.
Was war bei dem einen Termin?
Die eine Ausnahme war, dass der Nachtisch – Törtchenknödel – völlig misslungen war. Aber bei dieser einzigen Panne ist es Gott sei Dank geblieben (lacht).
Konnte man damals voraussehen, was aus Škoda werden würde?
Wir ließen Škoda die Freiheit, selbstständig zu sein, und das Unternehmen konnte gleichzeitig als nunmehr vierte Konzernmarke auf sämtliche Technologien und das Know-how von Volkswagen zurückgreifen. Das hat die Voraussetzungen für den Erfolg gelegt. Da bin ich mir absolut sicher.
Sie mussten sich beeilen, als der eiserne Vorhang fiel. Sie waren auch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker frühzeitig drüben.
Ich versuchte stets, mich an solche Delegationsreisen anzuhängen, um für unsere Position zu werben. Ja, wir waren schnell. Wir waren überall schnell, und wir waren schnell mit den richtigen Dingen zur Stelle. Wir sind zu einem Zeitpunkt in Länder gegangen, wo noch kein Hersteller hinwollte, wir waren auch früh in China.
Sie wollten internationalisieren…
Bis dahin waren wir zu sehr auf Deutschland fokussiert, wir waren ein nationales Unternehmen. Außer bei den Amerikanern gab es keine globalen Marken. Mit Seat hatten wir losgelegt und konnten so Volkswagen aus einer Krise befreien, als wir in unseren deutschen Fabriken nur Geld verloren. Durch die Arbeitsteilung mit Seat in Spanien verbesserte sich das. Das war der erste Schritt in die Europäisierung und zur Nummer eins.
Die Entscheidung pro Škoda werden Sie nicht bereut haben…
Heute macht Škoda einen Gewinn in der Höhe des damaligen Umsatzes. Über 1,2 Millionen Autos hat Škoda 2019 verkauft. Škoda ist mittlerweile ein Hersteller, der sich Gedanken macht, der globalisiert ist. Und der ein wichtiger Motor der tschechischen Wirtschaft ist. Škoda ist größter Arbeitgeber, größter Steuerzahler, größter Umsatzträger, größter Exporteur. Das sage ich nicht ohne Stolz: Wir sind eine tragende Säule der tschechischen Wirtschaft. Aber wir verhehlen nicht, dass auch Volkswagen stark von Škoda profitiert.
Wie sehen Sie Škoda langfristig?
Es ist weiter Platz für Wachstum. Von welchen Automarken sind Sie aktuell angetan? Ist Tesla dabei? Ich orientiere mich an Zahlen, daher muss man Tesla schon sehr genau betrachten. Sie wachsen und sind weiter im Kommen. Bei vielen anderen sind es Strohfeuer. Die Entwicklung geht insgesamt zur Elektromobilität, aber nicht alle werden gewinnen.
Glauben Sie, dass Elektromobilität der richtige Weg ist?
Mit Sicherheit. Wenn man einen Otto- und einen Elektromotor auseinandernimmt und sie nebeneinanderlegt, dann hat man ein so anschauliches Bild vor Augen, das klar macht, dass diese Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Herbert Diess hat im Volkswagen-Konzern wieder aufgenommen, was zu meiner Zeit schon mit dem Golf CityStromer angelaufen war. Es war sicher ein geschickter Schachzug. Voraussetzung für Elektromobilität sind aber geringe Stromkosten und sauberer Strom. Das ist wichtig, um die Temperatur dieses Planeten nicht durch luftverschmutzende Energiegewinnung weiter ansteigen zu lassen.
Das Image der Autobranche hat zuletzt gelitten. Ärgert Sie das?
Die Industrie muss ganz einfach Fehler vermeiden, und sie muss das Gute, was sie macht, besser verkaufen. Volkswagen war der erste Hersteller, der einen bezahlbaren Doppel-Airbag für Fahrer und Beifahrer einführte, und dann haben es alle gemacht. Wir haben so unzählige Menschenleben gerettet. Aber keiner weiß das heute. Wir hätten das damals noch stärker kommunizieren sollen.
Sie sind am 1. Juli 2020 94 Jahre alt geworden. Aber so richtig in Rente scheinen Sie nicht zu sein. Was machen Sie
derzeit?
Ich habe mich aus Verwaltungsund Aufsichtsräten etwas zurückgezogen. Mit zwei Universitäten bin ich noch verbunden. Ich bin aber noch, wenn Sie so wollen, auf der Sechseinhalbtagewoche. Ich brauche Inhalt in meinen Tagen. Mein wichtigstes Projekt ist auf dem Gebiet der Kinderbildung: Wir fördern die Kinder zu wenig in Kindergärten, und das bremst die Entwicklung des Hirns. Das hat enorme Konsequenzen. Ich bin in Verbindung mit einer der größten Genomforschungsfirmen aus China. Ich versuche, das nach Deutschland zu bringen. Wir verhindern hier ja gerne Fortschritt. In einem von mir unterstützten Projekt in Sachsen bringen wir Kleinkindern derzeit in 18 Kindergärten das Lesen und Rechnen in einer Fremdsprache bei. Und das ist kein Problem für sie. Dem Gehirnwachstum hilft das enorm.
Sie sind in der Weimarer Republik geboren, haben zwei Weltkriege, den Kalten Krieg, Wirtschaftskrisen miterlebt. Wie steht es um uns?
Allen Unzufriedenen sei gesagt: Wir leben generell in der besten Epoche, die es je gegeben hat. Auch wenn wir aktuell durch Corona mit Einschränkungen zu kämpfen haben. Aber jetzt möchte ich mich wieder an die Arbeit begeben, wenn Sie erlauben.