Vor etwa fünf Jahren wuchs ein Hype um die Lidartechnologie. Sie galt und gilt als unverzichtbar, um autonome Fahrfunktionen zu ermöglichen. Doch bislang finden sich weltweit wohl nur rund 200.000 der Sensoren, die mit infrarotem Laserlicht die Umgebung abtasten, in Serienfahrzeugen auf den Straßen.
Herr Gabriel, Lidar gilt als eine der besten Technologien, um die Fahrzeugumgebung zu erfassen. Fürs automatisierte Fahren scheint sie unverzichtbar. Aber in Serienfahrzeugen auf der Straße sind bislang weltweit wohl nur rund 200.000 Sensoren. Lidar gilt als teuer. Bremsen die hohen Kosten die Einführung?
Das ist ein Mythos, der der Komplexität der Sache geschuldet ist. Wenn sie ein einziges Lidarsystem kaufen, kann das tatsächlich zwischen 4000 und 8000 Dollar kosten. Aber wenn ein Kunde verbindlich Automotive-Stückzahlen, also Hunderttausende oder gar Millionen ordern würde, wäre es kein Problem die Sensoren für 500 Dollar pro Stück oder weniger zu liefern.
Also ein Henne-Ei-Problem?
Ja, solange kein Automobilhersteller diese großen Stückzahlen wirklich fest zusagt, wird es keinen extrem billigen Lidarsensor geben. Und große Stückzahlen würden sich umgekehrt natürlich positiv auf die Optimierung der Fertigungsprozesse auswirken. Schon seit Jahren arbeiten Automobilhersteller ja in Partnerschaften mit Lidarherstellern an solchen Systemen.
Warum hat es solche großen Aufträge bislang fast nicht gegeben?
Es war viel Entwicklungsarbeit nötig, weil die Automobilhersteller mit der vorhandenen Lidartechnologie – mit rotierenden Spiegeln – nicht glücklich waren. Es sollten sich keine beweglichen Teile in den Systemen befinden. Es gibt mittlerweile eine Handvoll Hersteller, zu denen zählen wir uns auch, bei denen die sogenannten Solid-State-Lidarsensoren produktionsreif sind. Wir gehen im Frühjahr 2023 damit in Serie.
Also kommt jetzt der große Durchbruch?
Leider nein. Denn nach dem Hype der Jahre etwa von 2017 bis 2019 ist etwas Ernüchterung eingekehrt. Es handelte sich damals ausschließlich um Forschungs- und Entwicklungsprojekte. Und man hat realisiert: Selbst eine perfekte Sensorik hilft nicht, wenn die leistungsfähige Software fehlt, die die Daten aller Sensoren integriert und daraus ein detailliertes und zuverlässiges Bild der Fahrzeugumgebung erstellt. Es existierten heute Lidarsensoren, mit denen sich die Level-5-Automatisierung erreichen ließe, aber bei der Software sind noch enorme Lücken vorhanden.
Ist das das einzige technische Problem?
Es existiert noch eine weitere Herausforderung. Die Anforderungen der Automobilhersteller haben sich im Lauf der Jahre immer weiter an die Grenze des technisch Machbaren bewegt, etwa bei der geforderten Winkelauflösung. Hinzu kommt, dass die Vorstellungen von Automobilhersteller zu Automobilhersteller recht unterschiedlich sind. Die Systeme müssten daher sehr individuell entwickelt und produziert werden, was es schwer macht, Economies of Scale zu realisieren, wie etwa bei standardisierten Bauteilen, die für mehrere Hersteller produziert werden können.
Ist denn eine Vereinheitlichung der Anforderungen der Automobilhersteller an Lidarsysteme absehbar?
Zunächst nicht. Denn es kommen neue technische Möglichkeiten hinzu. Eigentlich kann man das sogenannte Time-of-Flight Lidar, das mit einer Wellenlänge von 905 Nanometern arbeitet, als Universallösung verwenden. Nun kommen aber weitere Varianten hinzu, die alle in speziellen Fällen ihre Vorteile haben. Das sind einmal Lidarsensoren mit 1550 Nanometer Wellenlänge oder die sogenannten FMCW-Systeme, die mit jeder einzelnen Messung direkt auch die relative Geschwindigkeit eines erfassten Objekts messen. Wenn man die gesamte Lidar-Landschaft analysiert, dann hakt es an einer akzeptierten Bewertungs- und Vergleichsgrundlage – vergleichen Sie das mal mit dem Einsatz von Radarsystemen in der Luftfahrt; da ist jedes Detail durchnormiert und standardisiert.
Warum hemmt das die breite Einführung von Lidarsensoren?
Nicht zuletzt, weil das die Bereitschaft der Automobilhersteller verringert, heute einen großvolumigen Lidar-Auftrag zu erteilen. Damit bekämen sie zwar einen guten Preis, wären aber über Jahre an den Stand der Technik beim Produktionsstart gebunden.
Lässt sich trotz dieser Unsicherheiten abschätzen, wann Lidarsensoren großflächig Einzug in Automobile halten werden?
Das hieße, einen Blick in die Glaskugel zu werfen. Aber klar scheint mir, dass angesichts dieser Verzögerungen einige Start-ups, die sich allein auf die Automobilindustrie ausgerichtet haben, Probleme bekommen werden. Wir verdienen unser Geld glücklicherweise seit die Firma 2016 als Spinoff von Velodyne Acoustics entstand, ganz maßgeblich außerhalb der Automobilindustrie.
Radarsysteme sind billiger, sie werden immer leistungsfähiger und man hat Erfahrungen mit der Massenproduktion. Machen sie die Lidarsensoren überflüssig?
Das kann ich mir nicht vorstellen. Stand heute haben sie beispielsweise eine zehnfach geringere Auflösung als Lidarsensoren. Und beide Systeme ergänzen sich perfekt. Dort wo, etwa witterungsabhängig, ein System Schwächen zeigt, spielt das andere seine Stärken aus und umgekehrt. Mit beiden zusammen hat man ein sicheres Sensorgespann.
In welchen Mobilitäts-Anwendungen werden Lidarsysteme zuerst ihren Durchbruch erleben?
Wir sehen weltweit bereits einige in People Movern, die mit niedrigen Geschwindigkeiten und teils in abgegrenzten Bereichen autonom unterwegs sind. Darüber hinaus sehe ich den Nutzfahrzeugbereich als vielversprechendes Feld. Laster, die auf der Autobahn mit maximal etwa 80 Kilometer pro Stunde unterwegs sind, ließen sich relativ leicht automatisieren. Wenn infolge der Entlastung der Fahrer deren gesetzliche Standzeiten reduziert würden, wäre das eine Anwendung die sich sofort rechnen würde und vermutlich von vielen Spediteuren genutzt würde.
Aus dem Datencenter: Vernetzte Zukunft