Seit einem Jahr leitet Florian Huettl den Traditionshersteller Opel. Die Stellantis-Tochter erfindet sich gerade neu und will schneller als die meisten Mitbewerber rein elektrisch werden. Auf der IAA Mobility in München werden die Rüsselsheimer ein Konzeptauto namens Experimental zeigen. So prägnant wie das neu gezeichnete Logo will auch die ganze Marke werden.
Herr Huettl, angesichts der elektrischen Transformation, der globalen Verwerfungen und der neuen Rivalen aus China könnte einer eher kleinen Automarke wie Opel schon bange werden.
Die Transformation ist fundamental, aber wir sind bestens vorbereitet. Wir sehen sie als eine Riesenchance, denn der Übergang zur neuen batterieelektrischen Technik bietet die Möglichkeit, sich neu aufzustellen. Der Wandel bietet große Chancen für das profitable Wachstum von Opel. Und dass wir ein integraler Teil des starken Stellantis-Konzerns sind, ist natürlich ein großer Vorteil.
Mit einem Minus im Pkw-Geschäft in Deutschland von 8,7 Prozent per Ende Mai 2023 und minus 10,7 Prozent im vergangenen Jahr können Sie aber nicht zufrieden sein. Woran lag der Einbruch?
Es ist wichtig, unsere Entwicklung im internationalen Kontext zu sehen. Global verzeichnet Opel eine Wachstumsdynamik. Schauen Sie nur auf Europa, wo wir im Vorjahresvergleich per Mai um mehr als acht Prozent gewachsen sind. In der Türkei liegt unser Plus bei 133 Prozent. Wir setzen prinzipiell auf ein qualitatives und rentables Wachstum. Tatsächlich leisten wir seit Jahren einen signifikanten Beitrag zum Gesamtergebnis von Stellantis. Es gibt aber noch eine weitere Entwicklung, die uns optimistisch stimmt: Wir wachsen im rein batterie-elektrischen Segment deutlich stärker als im Verbrennersegment. Das heißt, die Marke wird durch den Weg zur Elektromobilität wachsen.
Dennoch muss die Entwicklung in Deutschland schmerzen.
Wir sind in der Tat nicht zufrieden mit dem Ergebnis in Deutschland in den ersten fünf Monaten dieses Jahres. Auch in England liegen wir unter unseren Erwartungen. Grund sind vor allem IT-Umstellungen und Logistik-Engpässe. In beiden Märkten arbeiten wir eng mit den Teams zusammen, um für eine bessere Dynamik zu sorgen. Und schon der Juni zeigt spürbare Verbesserungen.
Sie sagen, die E-Mobilität pusht Opel. Werden Sie deshalb das Tempo der Elektrifizierungsstrategie erhöhen?
Wir haben einen klaren Kompass mit Kurs in Richtung Elektromobilität. Ab 2028 wird Opel alle Modelle in Europa nur noch rein elektrisch anbieten, daran halten wir fest. Die jüngere Entwicklung ermutigt uns nun, die Etappen dazwischen zu verkürzen. Auf dem italienischen Gesamtmarkt beispielsweise legen die Elektro-Zulassungen um 50 Prozent zu, in Spanien sogar um 75 Prozent. Und auch in der Türkei geht es jetzt richtig los im E-Bereich. Ab Ende 2025 werden wir jedes neu vorgestellte Modell nur noch rein elektrisch anbieten – aufbauend auf den neuen, eigens auf E-Mobilität ausgelegten Stellantis-Plattformen. Damit beschleunigen wir die Elektrifizierung beträchtlich.
Bedeutet das, der bisherige Weg auf Basis der Multi-Energy-Plattformen, die sowohl Verbrenner- wie auch Elektroantriebe ermöglichen, war falsch?
Ganz im Gegenteil. Die Elektrifizierung verläuft in zwei Schritten. Der erste Schritt ist unsere Strategie der Multi-Energy-Plattform: Der Kunde entscheidet sich dabei zunächst für das Modell, das er kennt, das er liebt, wie den Corsa, Astra, Mokka. Dann hat er die Wahl zwischen unterschiedlichen Antrieben. Das macht den Übergang sehr einfach. 2024 komplettieren wir diesen ersten Schritt, indem wir die Nachfolger des Crossland und des Grandland auch rein elektrisch anbieten werden. Dann wird jedes Opel-Modell auch batterieelektrisch zur Verfügung stehen. Wir sind dafür in den Werken gerüstet, die sehr flexibel auf die Kundenwünsche reagieren können.
Muss Opel beim reinen Elektroauto nicht höllisch aufpassen, künftig noch bezahlbare Autos für eine breite Zielgruppe anbieten zu können? Ein E-Astra kostet schließlich fast doppelt so viel wie die Verbrenner-Version.
Wir arbeiten intensiv daran, bezahlbare Angebote auf den Markt zu bringen. Das ist das zweite Kapitel der Elektromobilität: Wenn wir ab 2028 nur noch vollelektrische Pkw auf den europäischen Markt bringen, dann werden wir das auch in Preisbereichen schaffen, die sich möglichst viele Menschen leisten können. Das ist ganz klar unser Ziel. Auf dem Weg dahin gibt es sicher noch einiges zu tun. Da geht es zunächst einmal um die richtige Abstimmung des ganzen Pakets, um die richtige Batteriegröße, den Antrieb, das Ladesystem. Es muss ein optimaler Kompromiss gefunden werden zwischen Leistungsfähigkeit, Kosten und dem Fahrzeuggewicht. Unser Ziel ist es, ein viertüriges Elektroauto mit Platz für fünf Passagiere für 25.000 bis 27.000 Euro anbieten zu können.
Bedeutet das, Opel setzt künftig auf kleinere, bezahlbare Batterien mit entsprechenden Einschränkungen bei der Reichweite? Oder setzen Sie künftig auf 800 Volt und schnelles Nachladen, was kleinere Batterien erlauben würde?
Der Zusammenhang zwischen Reichweite, Preis und Gewicht gilt für alle Anbieter. Wir positionieren uns in der vernünftigen Mitte. Ob das durchgehend die 800-Volt-Technik sein wird, kann ich heute nicht sagen. Aber sie wird dabei eine Rolle spielen.
Wie schwierig ist es für einen Hersteller im mittleren Preissegment, den Großteil der Produktion im Hochlohnland Deutschland zu haben?
Es ist eine Herausforderung, angesichts der vergleichsweise hohen Löhne und Energiepreise in Deutschland wettbewerbsfähig zu produzieren. Aber wir haben unsere Werke auf einen guten Weg gebracht. In Kaiserslautern etwa bauen wir im Joint Venture ACC eine Batteriezellenfabrik für die europäische Fertigung von Stellantis, das bedeutet Hightech und hohe Wertschöpfung. Die Bauarbeiten für diese Gigafactory haben bereits begonnen, und ab 2025 wird das Werk die ersten Batteriezellen produzieren. Damit holen wir die Batteriefertigung nach Europa und bekommen wieder eine bessere Kontrolle über die Kosten.
Wie sieht die Perspektive in Eisenach aus? Das Land Thüringen und die Belegschaft forderten immer wieder ein zweites Modell für das Grandland-Werk.
Eisenach ist nachhaltig ausgelastet. Unser Konzern investiert dort gerade mehr als 130 Millionen Euro für das kommende Modell. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 werden wir dort den rein elektrischen Nachfolger des Grandland auf der neuen STLA-Medium-Plattform bauen. Dieser Schwenk zur Elektromobilität macht das Werk zukunftssicher.
Sprechen wir noch über das Stammwerk Rüsselsheim. Es war jahrelang nicht ausgelastet. Hat sich das geändert?
In Rüsselsheim wurde der inzwischen eingestellte Insignia zuletzt nur noch mit kleinen Volumen gebaut – das hätte nicht für eine gute Zukunft gereicht. Aber heute läuft unser Stammwerk wieder auf Hochtouren, produziert in zwei Schichten. Wir bauen dort in allen Antriebsvarianten den Astra und den Astra Sports Tourer – seit Kurzem auch als batterieelektrische Versionen. Dazu bauen wir in Rüsselsheim für DS Automobiles den DS 4. Das macht auch Rüsselsheim fit für die Zukunft.
Das Interview führte Michael Knauer.
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