Wie Deutschland das Ladenetz-Puzzle lösen will

Aktuell sind in Deutschland rund drei Millionen Electric Vehicles (EV) – Elektro- (BEV) und Hybrid- (PHEV) Fahrzeuge – zugelassen. Davon entfallen 28 Prozent auf BEV- und 72 Prozent auf PHEV-Fahrzeuge. Dem gegenüber stehen etwa 70.000 Ladepunkte in Deutschland, wovon 59.000 auf Normalladepunkte (bis 22kW) und 11.000 auf Schnellladepunkte (ab 22kW) entfallen. Laut Bundesnetzagentur entspricht dies einer installierten Gesamtnetzleistung von 2,2 Millionen kW.

Die Gesamtanzahl der installierten Ladepunkte ist laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung AlixPartners seit 2021 mit durchschnittlich circa 30 Prozent gewachsen. 2022 wurden je Monat circa 1200 neue Ladepunkte installiert.

Die aktuelle AlixPartners Electric Vehicle Consumer Survey zeige, dass die momentan installierte Anzahl von Normal- und Schnellladepunkten den Bedarf des bestehenden EV-Parks abdecken kann. Mit zunehmendem BEV-Anteil werde der Bedarf an Schnellladepunkten jedoch zunehmen, da eine größere Ladeleistung je Ladevorgang als bei Hybrid-Fahrzeugen erforderlich ist.

Bei Hybrid-Fahrzeugen liegt die durchschnittliche Größe der Batterie bei 8-15 kWh und lässt sich in ein bis zwei Stunden an einem Normalladepunkt laden. BEV-Fahrzeuge besitzen jedoch Batterien mit einer Größe von 60 und mehr kWh, deren Ladung an einem Normalladepunkt länger als vier bis fünf Stunden dauert. An Schnellladepunkten kann eine Ladung von 80 Prozent meistens in etwa 30 Minuten erreicht werden.

Mit wachsendem EV-Park wird laut Alix Partners die Anzahl an EV-Eigentümern mit einer Home-Charging-Möglichkeit sukzessive von heute circa 85 Prozent auf rund 60 Prozent abnehmen (Quelle: BMVI Masterplan Ladeinfrastruktur). Für die Auslastung der öffentlichen Ladepunkte wird gleichzeitig ein Anstieg erwartet – bei Normalladepunkten von heute im Schnitt zehn Prozent auf bis zu 15 Prozent. Das entspricht einer Belegung von 2,4 Stunden beziehungsweise 3,6 Stunden je Tag; bei Schnellladepunkten von heute fünf Prozent auf acht Prozent (1,2 Stunden beziehungsweise zwei Stunden je Tag).

Laut Untersuchung haben in Deutschland 75 Prozent der Befragten die Verfügbarkeit öffentlicher Ladeinfrastruktur als sehr wichtig beziehungsweise entscheidend bewertet. Entscheidend bedeutet dabei, dass Ladepunkte eine vergleichbare Verfügbarkeit wie heutige Tankstellen aufweisen müssten. Dieses Bild deckt sich mit weiteren Ländern Europas sowie den USA.

Setzt man das Umfrageergebnis in Kontext zur aktuellen Infrastruktur, zeigt sich, dass der objektive Bedarf an Ladepunkten in Deutschland für den aktuellen BEV- und PHEV-Fahrzeugbestand abgedeckt ist. Allerdings: Zwischen den einzelnen Bundesländern besteht aktuell eine ungleiche Verteilung von Ladepunkten, mit einem Unterschied von bis zu Faktor zwei.

Spitzenreiter sind Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit 33 Fahrzeugen je Ladepunkt. Schlusslicht ist das Saarland mit 66 Fahrzeugen je Ladepunkt. Der Bundesschnitt liegt bei 43 Fahrzeugen je Ladepunkt (berücksichtigt BEV & PHEV, Normal- und Schnellladepunkte; Quelle: Ladesäulenregister Bundesnetzagentur Oktober 2022 und Kraftfahrtbundesamt November 2022).

Betrachtet man nur BEV und Schnellladepunkte, kommen in Deutschland durchschnittlich 73 BEV auf einen aktuell installierten Schnellladepunkt, mit einer Range der Bundesländer von 31 bis 104 BEV je Schnellladepunkt.

Die zweite Herausforderung sieht AlixPartners in der notwendigen Entwicklung des Ladenetzwerkes und wer dieses Thema treibt. Die Umsetzung des deutschen Ladenetzwerkes wird über das Bundesministerium für Digitales und Verkehr beziehungsweise die Nationale Leitstelle Ladeinfrastruktur unterstützt und gesteuert.

Aktuell existieren verschiedene Förderprogramme, zum einen für Heim-Ladestationen, aber vor allem für die öffentliche Ladeinfrastruktur, von in Summe 2,8 Milliarden Euro. Hauptprogramme sind die Bundesförderrichtline für öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur mit 500 Millionen Euro Förderung bis 2025 sowie das Deutschlandnetz mit circa 8000 Schnellladepunkten zum Schließen "weißer Flecken" auf der Ladelandkarte.
 
Die Befragung möglicher BEV-Käufer durch AlixPartners habe gezeigt, dass sie von Autoherstellern erwarten, eine ausreichende Verfügbarkeit des Ladenetzwerks sicherzustellen und diesen Schritt nicht allein der Regierung oder Dritten zu überlassen. In Deutschland fordern dies 57 Prozent der Befragten.

Am Markt sind bereits Unternehmen wie Ionity – ein Joint Venture von BMW, Ford, Hyundai, Mercedes und Volkswagen – oder auch Hersteller wie Tesla direkt aktiv, die den Ausbau der EV-Infrastruktur vorantreiben – mit besonderem Fokus auf Schnellladepunkte. Das Ziel dieser "For Profit Unternehmen" sei jedoch nicht zwangsläufig eine flächendeckende Infrastruktur, sondern eine Infrastruktur, die die Balance zwischen dem Überzeugen potenzieller Kunden und der Wirtschaftlichkeit der Ladepunkte hält.
 
Die dritte Herausforderung sieht AlixPartners in einem lukrativen "Investment-Case". Eine gegebenenfalls notwendige Übersättigung beziehungsweise Ladepunktverfügbarkeit oberhalb des Bedarfes für den aktuellen Fahrzeugbestand steht einem wirtschaftlichen Investment-Case gegenüber. Dieser vermeintliche Widerspruch könne zwar zunächst mit Förderprogrammen minimiert werden, setzte jedoch voraus, dass Förderungen abhängig von der wirtschaftlichen Attraktivität des jeweiligen Standortes variieren.
 
Haupttreiber für die Kalkulation eines möglichst attraktiven Internal Rate of Return (IRR) sind die Auslastung sowie der Strompreis-Aufschlag. Betrachte man führende "Chargepoint Operator" aus den USA wie Blink, ChargePoint oder EVGo, würden deren Jahresergebnisse aus dem Jahr 2021 zeigen, dass mit der aktuellen Preisgestaltung und gleichzeitigem Investitionsbedarf für den Ausbau die EBITDA-Werte für alle Unternehmen im negativen Bereich liegen. Unter bestimmten Bedingungen könnten aber auch IRRs von bis zu 20 Prozent erreicht werden.

Aus dem Datencenter:

Marktanteile nach Antriebsarten in Deutschland Januar 2020 bis Februar 2023