Viel los vor den Werkstoren

Die Produktionszahlen der Autoindustrie in Deutschland sind seit Ausbruch der Corona-Pandemie implodiert. Wurden 2019 hierzulande noch 4.663.749 Pkw in Deutschland gefertigt, waren es 2021 nur noch 3.096.165. Trotz des deutlich geschrumpften Volumens ist jedoch gleichzeitig der Aufwand für die Logistik explodiert. Von Anfang 2020 bis September 2022 ist die Zahl der monatlichen Anfahrten von Lkw an Fabriken der deutschen Autoindustrie um etwa 200 Prozent gestiegen.

Das belegt eine exklusive Auswertung des IT-Dienstleisters Inform für die Automobilwoche. "Obwohl die Fabriken hinten weniger Autos verlassen, ist bei der Anlieferung am Werktor vorne relativ gesehen mehr los", sagt Ulf König, Leiter der strategischen Unternehmensentwicklung bei Inform. Das Unternehmen stellt bei 101 Werken von Automobilherstellern und -Zulieferern in Deutschland die Logistiksoftware (OEM-Anteil 85 Prozent). Will ein Spediteur Waren an einer Fabrik anliefern, muss er dies in der Software anmelden. Diese organisiert dann den Logistikprozess indem sie beispielsweise Zeitfenster zur Anlieferung vergibt oder vor Ort die Laderampen zuteilt. Dementsprechend kennt Inform die exakten Zahlen aller anfahrenden Lkw an diesen Fabriken.

"Durch Disruptionen, wie die Lieferengpässe, gibt es Unruhe im System", erklärt König das Phänomen. Die Akteure müssten durch die Unstetigkeit in der Branche viel flexibler agieren. Dadurch gebe es aber insgesamt mehr Fahrten. Vor der Krise wurden beispielsweise Lkw komplett mit Teilen für einen OEM gefüllt. Durch die Lieferengpässe und sinkende Produktionsvolumina ist das aber vielfach nicht mehr möglich. Um die Lkw auszulasten werden die Lkw darum nun auch noch mit Waren für andere Unternehmen beladen und die Speditionen müssen mehr Stationen anfahren. Das sorgt für zusätzliche Komplexität. Zugleich müssen mehr Lkw als früher eine Fabrik anfahren um die dieselbe Menge an Waren zu befördern.

Auch gebe es mehr Eil-Transporte, sagt König. Fehlen etwa im Werk wegen Lieferproblemen spontan Kabelbäume muss möglichst schnell von irgendwoher Ersatz beschafft werden, damit die Bänder nicht stehen. Viele Hersteller würden krisenbedingt nun wieder verstärkt Lagerbestände aufbauen und den Logistikaufwand zusätzlich steigern, berichtet König.

Wie viel der gestiegene Logistikaufwand die Hersteller kostet, lässt sich pauschal nicht beziffern. Schmerzhaft dürfte es allemal sein, zumal die Frachtkosten deutlich steigen. Der Frachtkosten-Index des Logistik-Fachblatts "Verkehrsrundschau", der auf einer Umfrage unter Logistikunternehmen beruht, etwa legte von Anfang 2020 bis Herbst 2022 von knapp 130 auf über 152 Punkte zu. Auch für die CO2-Bilanz ist der gestiegene Logistikaufwand nicht optimal: Im Lagebericht für das Jahr 2021 etwa verzeichnet BMW von 2020 auf 2021 einen Anstieg der Transportlogistik-Treibhausgasemissionen von rund 1,3 auf 1,9 Millionen Tonnen CO2.

Aus dem Datencenter:

Entwicklung der Listenpreise von E-Autos von 2020 bis 2022