Machtprobe in der Autoindustrie

Das Verhältnis von Herstellern und Zulieferern in der Autoindustrie war schon immer spannungsreich. Doch derzeit wird es auf eine besonders harte Probe gestellt, denn die Welt teilt sich inzwischen in arm und reich. Das zeigt ein Blick auf die sprudelnden Gewinne der Autobauer. So hat etwa der nicht für seine hohe Profitabilität bekannte Volkswagen-Konzern im ersten Quartal 2022 eine operative Rendite von 13,5 Prozent erreicht. Bei Mercedes waren es sogar 16,4 Prozent. BMW erreichte 13,2 Prozent, wenn man den Konsolidierungseffekt aus der Übernahme des chinesischen Gemeinschaftsunternehmens BBA herausrechnet. Die Liste könnte beliebig fortgesetzt werden. Selbst der französische Vielmarken-Konzern Stellantis kam 2021 auf eine operative Rendite von 11,8 Prozent.

Es klingt zunächst paradox, dass die Hersteller ausgerechnet in der derzeitigen Krisensituation so viel Geld verdienen wie noch nie. Doch die Gründe dafür sind schnell erklärt. Der Halbleitermangel und die Versorgungsengpässe mit anderen Komponenten in Folge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Kriegs haben zu einer dramatischen Verknappung des Angebots an Neu- und Gebrauchtwagen geführt. Die Höfe sind leer gefegt, in den Showrooms der Autohäuser stehen zum Teil nur wenige Fahrzeuge. Die Lieferzeiten wachsen stetig an und betragen zum Teil über ein Jahr. Mercedes meldete gar bei der G-Klasse, dass diese bis zum Jahr 2024 praktisch ausverkauft sei.

Das zeigt, dass die Nachfrage am Markt ungebrochen hoch ist. Als Konsequenz haben die Hersteller die Prioritäten in der Produktion auf die besonders margenstarken Fahrzeuge gelenkt. Bei Mercedes sind das beispielsweise die S-Klasse oder die G-Klasse sowie die Sportwagen von AMG. Selbst bei der Marke Volkswagen lässt sich mit Touareg oder Arteon mehr verdienen als mit Polo oder Golf. Die sonst üblichen Rabatte fallen weg, auch kaum profitable Geschäfte mit den Mietwagenfirmen wurden auf ein Minimum reduziert. So hat die Krise dazu geführt, dass die Hersteller derzeit glänzend dastehen.

Ganz anders ist die Situation bei den Zulieferern. Die Rendite beim Branchenprimus Bosch lag im vergangenen Jahr bei mickrigen 0,7 Prozent in der Mobility-Sparte. "Damit können wir nicht zufrieden sein", klagte Bosch-Chef Stefan Hartung bei der Bilanz-Pressekonferenz. Auch der Mahle-Konzern musste sich im vergangenen Jahr mit 1,5 Prozent operativer Rendite zufrieden geben, unter dem Strich rutsche der Konzern erneut ins Minus. Auch der fränkische Automobilzulieferer Brose verzeichnete seit langer Zeit erstmals wieder einen Verlust. Wer wie Continental auf 5,6 Prozent kommt, darf sich schon glücklich schätzen. Doch vor allem bei vielen kleineren Zulieferern fehlt nun das dringend benötigte Geld, um die großen Aufgaben der Transformation in der Zukunft zu stemmen.

Das Problem: Zur andauernden Halbleiter-Problematik mit deutlich gesunkenen Abrufen der Hersteller kommen mit dem Ukraine-Krieg heftig gestiegene Material-, Energie- und Produktionskosten sowie massive Verteuerungen bei Verpackung und Fracht. Das erhöht den Druck. "Wir haben es aktuell mit Kostensteigerungen zu tun, deren Ausmaß alles Vorherige übertrifft und dessen Entwicklung überwiegend außerhalb unserer Kontrolle liegt", sagte Finanzchef Michael Frick bei der Bilanz-Pressekonferenz. Das Unternehmen beziffert die dadurch entstandenen Mehrkosten im vergangenen Jahr auf 300 Millionen Euro. So habe sich etwa Aluminium um 80 Prozent verteuert, Frachtraten verdoppelt. Der Branchenriese Continental rechnet für 2022 mit erhöhten Beschaffungs- und Logistikkosten in Höhe von rund 2,3 Milliarden Euro.

Bei Bosch etwa laufen die Werke seit über einem Jahr alles andere als rund. Unterbrechungen wegen fehlender Halbleiter sind an der Tagesordnung. Sind die Teile verfügbar, muss schnell aufgeholt werden. Eine geordnete und ökonomische Fahrweise ist so nicht möglich. Stattdessen liegt der Fokus darauf, die vertraglichen Vereinbarungen mit den Kunden irgendwie zu erfüllen. Das führt zu hohen zusätzlichen Kosten, wie Mobility-Chef Markus Heyn erläutert. Ein Fokus auf besonders hochwertige Komponenten ähnlich wie bei den Herstellern ist bei den Zulieferern nicht möglich.

Während die Zulieferer in der Vergangenheit die harten Preisvorgaben der Hersteller oft zähneknirschend akzeptiert haben, gehen sie nun in die Offensive. Gerade im Unternehmensbereich Mobility Solutions sei der aktuelle Kostendruck sehr hoch, klagt etwa Bosch-Finanzchef Markus Forschner – und schickt eine Warnung an die Hersteller: "Nicht nur die Automobilhersteller, auch die Zulieferer sind darauf angewiesen, Preissteigerungen weiterzugeben."

Ganz ähnlich klingt der Appell von Mahles Finanzchef Frick. "Während Mahle die Corona-bedingten Belastungen in den vergangen zwei Jahren zu einem großen Teil übernommen hat, bin ich zutiefst davon überzeugt, dass in der jetzigen Situation Automobilhersteller und Zulieferer nun gemeinsam gefordert sind, als Partner über eine faire Lastenverteilung aus dieser schwierigen Situation herauszufinden", forderte er jüngst.

Die nächsten Monate dürften so zur Machtprobe in der Autoindustrie werden, in der zwischen beiden Seiten hart verhandelt wird – mit ungewissem Ausgang. So hatte etwa Mercedes-Finanzchef Harald Wilhelm in einer Fragerunde vor Journalisten angedeutet, dass große Zugeständnisse nicht zu erwarten sind. Zwar habe man ein Interesse an einer funktionierenden Lieferkette. "Aber was die Profitabilität angeht, ist jeder in der Lieferkette für sich selbst verantwortlich", so Wilhelm. Wichtig sei es, auf der Produkt- und Kostenseite konkurrenzfähig zu bleiben, so seine Empfehlung an die Zulieferer.

Im Interview mit der Automobilwoche deutete Benteler-Chef Ralf Göttel jüngst an, wie vergiftet die Atmosphäre ist. "Die Diskrepanz zwischen partnerschaftlichem Anspruch und täglicher Wirklichkeit ist auf einem Allzeitabstand", klagte er. "Auf der einen Seite verhandeln die Hersteller, der VDA und wir Zulieferer ein Partnerschaftsabkommen. Im Tagesgeschäft auf Arbeitsebene ist es jedoch so hart und intensiv wie selten zuvor."

Das Grundcredo "Survival oft he Fittest" sei in dieser Krise besonders ausgeprägt. Ganz so pessimistisch sind sie im Bosch-Konzern nicht. "Es ist Fakt, dass sich die Preise erhöht haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir hier Vereinbarungen erzielen können", sagt Mobility-Chef Heyn. Es wird sich zeigen, wer am Ende recht behält mit seiner Einschätzung.

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