Als Olaf Scholz vor ein paar Wochen zum Staatsbesuch in Stockholm war, gab es auch ein paar schöne Momente. Denn zwischen Gesprächen über die Energiekrise und den Krieg in der Ukraine hat sich der Kanzler mit seiner schwedischen Kollegin Magdalena Andersson bei Scania eine Runde mit einem elektrischen Lastwagen gedreht und war so begeistert von dem lautlosen Kraftpaket, dass er kurz über den Job als Trucker nachgedacht hat.
Was sich der Kanzler da offenbar als Flucht aus dem harten Tagesgeschäft gewünscht hat, wird für die amtlichen Berufskraftfahrer zunehmend Realität. Der Rüttelsitz auf dem Diesel-Thron verschwindet, der Brummi summt nur noch und es geht elektrisch über die rechte Spur. Denn die Mobilitätswende hat auch die Nutzfahrzeugbranche voll erfasst. Und das ist bitter nötig, meldet das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung in Karlsruhe: "Im Straßengüterverkehr besteht erheblicher Handlungsbedarf zur Einführung alternativer Antriebe," mahnen die Experten: Der Straßengüterverkehr sei mit mehr als einem Drittel der nationalen Treibhausgasemissionen im Verkehr der zweitgrößte Emittent im Verkehrssektor – und angesichts eines kontinuierlich zunehmenden Güterverkehrs sei die Tendenz eher steigend. "Schwere Lkw, also Last- und Sattelzüge, spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Angesichts beschränkter Verlagerungspotenziale auf Schiene und Schiff sind dringend Alternativen erforderlich, die einen baldigen Wandel zu einem klimaneutralen Güterverkehr auf der Straße ermöglichen", fordern die Wissenschaftler. Und finden offenbar Gehör – zumal die EU-Kommission den Lkw-Herstellern ähnlich wie der Pkw-Fraktion strenge CO2-Auflagen gemacht hat. Wenn jetzt in Hannover die IAA Nutzfahrzeuge beginnt, steht der elektrische Lastwagen deshalb ganz oben auf der Tagesordnung.
Elektro-Lkw für lange Strecken
Bisher waren elektrisch angetriebene Lkw nur für Kurzstrecken geeignet. Aber auf der IAA Transportation stellt Daimler Truck ein Modell vor, mit dem sich das ändern könnte.
Dabei könnte ein Fahrzeug buchstäblich zur Zugnummer der Mobilitätswende auf der rechten Spur werden: Der eActros, den Weltmarktführer Mercedes jetzt für die Langstrecke fit macht. Nachdem der Laster im regionalen Verteilverkehr bereits zu hunderten mit einer Reichweite von 400 Kilometern elektrisch unterwegs ist, soll er künftig auch als 40-Tonner kreuz und quer durchs Land surren, kündigen die Schwaben an und zeigen in Hannover einen serienreifen Prototypen. Der wird zwar erst ab 2024 verkauft, geht aber noch in diesem Jahr in den öffentlichen Test und läuft im kommenden Jahr zum Beispiel beim Logistik-Dienstleister Rhenus und beim Versandgiganten Amazon im Flottenversuch.
Mit dem bisherigen eActros hat das neue Modell bis auf den Namen nicht mehr viel gemein. Um trotz der größeren Last die Reichweite auf 500 Kilometer zu erhöhen, hat Projektleiter Michael Wolf statt Akkus mit bislang maximal 420 kWh mehr als 600 kWh in den Rahmen gehängt und bei der Zellchemie zugleich auf Lithium-Eisenphosphat gewechselt. "Diese Technik erlaubt uns mehr nutzbare Kapazität und ist vor allem haltbarer," sagt Wolf, und das ist wichtig bei einem derartigen Investitionsgut: Während Autos heute nur noch selten auf mehr als 300.000 Kilometer ausgelegt werden, soll der e-Antrieb des Actros genau wie ein Diesel mindestens 1,2 Millionen Kilometer durchhalten und zehn Jahre tadellos funktionieren.
Zu den größeren Batterien gibt es auch stärkere Motoren: Weil 40 Tonnen ja irgendwie adäquat bewegt werden müssen, haben die beiden in der Hinterachse integrierten E-Maschinen eine Leistung von dauerhaft 400 und in der Spitze sogar 600 kW. Zum Vergleich: Im elektrischen Verteiler-Actros reichen 400 kW und im Actros-Topmodell aus der alten Welt steckt ein Sechszylinder von imposanten 16,1 Litern Hubraum, der 460 kW leistet – und im normalen Einsatz schnell mal 30 Liter auf 100 Kilometer verbraucht.
Ein weiterer Knackpunkt im Fernverkehr ist das Laden: "Lange Standzeiten können wir uns nicht erlauben, sondern ein Laster muss Geld verdienen, und das kann er nur beim Fahren", sagt Wolf. Deshalb fokussieren sich die Entwickler auf jene 45 Minuten Ruhezeit, die Fernfahrer nach 4,5 Stunden Lenkzeit von Gesetz wegen einlegen müssen. Um in dieser Zwangspause möglichst viel Strom in die Batterien zu pressen, arbeitet der Actros mit einer Betriebsspannung von 800 Volt und schon jetzt mit einer Ladeleistung von maximal 400 kW. Bis zum Produktionsstart soll aber auch das so genannte Megawatt-Laden möglich sein, mit dem die Akkus den Hub von 20 auf 80 Prozent dann in weniger als 30 Minuten schaffen. Dafür entwickelt die gesamte Lkw-Branche gerade einen neuen Standard und will danach ein entsprechendes Netz entlang der Fernstraßen installieren – inklusive automatisierter Ladesäulen, weil die Kabel und Stecker bei so viel Leistung zu störrisch und zu schwer werden, als dass man sie von Hand einstöpseln könnte.
Der Aufwand ist groß, und auf Unterstützung von den Pkw-Herstellern dürfen die Trucker nicht bauen, weil das Megawatt-Laden bei den kleinen Auto-Akkus wenig Sinn ergibt. Doch die Mühe lohnt sich, sagt Wolf. "Denn was man da in 45 Minuten nachladen kann, das fährt man in einer Schicht nicht mehr leer", rechnet der Projektleiter vor. Genau wie ein Diesel-Laster kann dann auch ein e-Truck quasi rund um die Uhr fahren.
Manche seiner Kollegen werden das allerdings nicht gerne hören. Denn damit entzieht er einem zweiten Hoffnungsträger aus dem Truck-Werk in Wörth streng genommen die Grundlage: Dem Actros Gen2, der um eben solche kurzen Ladezeiten zu erreichen, den Strom an Bord mit einer Brennstoffzelle produziert. Die 80 Liter Wasserstoff dafür fließen in wenigen Minuten in die Tanks und reicht dann für 800 bis 1200 Kilometer. "Damit liegen wir auf dem Niveau des Diesels," schwärmen die Entwickler.
Zwar gibt sich das gehobene Management bei Mercedes bewusst technologieoffen und glaubt fest an die Koexistenz von Batterie und Brennstoffzelle, weil beide Technologien je nach Markt und Einsatzzweck ihre Vorteile haben. Doch können Projektleiter Wolf und seine Kollegen aus dem Team Akku eine gewisse Vorfreude kaum unterdrücken und fühlen sich schon als Sieger, weil sie in kürzeren Fristen und größeren Stückzahlen planen. Und weil sich der eActros auf der Langstrecke dem Kunden nicht nur Prestige bringt, sondern auch Profit. Kostet der elektrische Verteilerlaster noch dreimal mehr als der Diesel, soll der Stromer für die Strecke im Verhältnis nicht mehr ganz so teuer werden, sagt Wolf, ohne schon konkrete Zahlen zu nennen. Doch sind die auch eher nebensächlich, wenn der Bund zur Förderung des Umstiegs 80 Prozent des Mehrpreises übernimmt. "Viel wichtiger sind die Betriebskosten", sagt der Mercedes-Mann und geht davon aus, dass der Stromer da gegenüber dem Diesel schnell die Nase vorn hat.
Auch wenn die Zugnummer in Hannover noch als Prototyp steht, ist der elektrische Langstreckenlaster keine ferne Vision mehr, sondern greifbare Zukunft. Nicht umsonst rechnen sie in Wörth damit, dass sie schon in wenigen Jahren mehr Stromer bauen als Selbstzünder. Deshalb werde sich auch am Design nicht mehr viel ändern. Ja, es komme bis zum Serienstart eine völlig neue Kabine, die sich dann vom aktuellen Modell stärker unterscheiden werde als durch den LED-Bogen, den die Designer für den Messeauftritt quer über den Bug gespannt haben, sagt Wolf. Doch für Captain Future dürfte der eActros eher eine Enttäuschung werden. "Das wird kein futuristisches Design, sondern wir wollen zeigen, dass die Zukunft damit bereits begonnen hat."
Zwar haben sich viele andere Hersteller zwischen Brennstoffzelle und Batterie entschieden, doch ist Mercedes mit dem Spagat nicht ganz alleine. Sondern auf der IAA wird auch das amerikanische Start-Up Nikola Trucks ausstellen, das den Schwerverkehr ebenfalls mit einer Doppelspitze umkrempeln will. Unter der Führung des einstigen Opel-Chefs Michael Lohscheller starten die Amerikaner daheim in Arizona gerade mit der Produktion eines batterieelektrischen Lastwagens, der künftig auch mit einer Kapazität von zunächst 2000 Exemplaren pro Jahr in Kooperation mit Iveco in Ulm gebaut werden soll. Ab dem nächsten Jahr flankiert diesen Batterie-Laster dann ebenfalls eine Brennstoffzelle. "Mit den Batterien wir schnell marktreif und mit der Brennstoffzelle können kurz danach auch dort elektrische Lastwagen anbieten, wo die Ladeinfrastruktur noch nicht ausreicht, die Entfernungen zu groß oder die Lieferzeiten zu kurz sind", sagt Lohscheller – zumal Nikola ähnlich wie Tesla mit seinen Superchargern parallel zum Fahrzeugverkauf auch eine eigene Wasserstoff-Infrastruktur aufbauen will.
Wie am Ende das Rennen ausgehen wird? Zwar glaubt Lohscheller vor allem in Flächenstaaten wie den USA an einen Vorteil für die Brennstoffzelle. Doch eine Prognose, welche Technologie sich langfristig durchsetzen wird, die wagt der einstige Opel-Chef nicht. Im Gegenteil glaubt er, dass es beide Energiequellen an Bord der Trucks braucht und hält es dabei mit den Trinkern. "Auf einem Bein kann man schlecht stehen."
Aus dem Datencenter:
Absatz mittlere/schwere Lkw und Busse in Europa 2020 nach Marken