Herr Heyn, die Mobility-Sparte von Bosch verfehlt seit Jahren die Rendite-Ziele. Warum ist es so schwer, hier voranzukommen?
Zunächst einmal sei der Hinweis erlaubt, dass unser Mobilitätsgeschäft über viele Jahre sehr profitabel gewirtschaftet hat. Jetzt gehen wir durch eine Phase der Transformation wie alle anderen etablierten Zulieferunternehmen der Automobilindustrie auch. Wir wollen ein führender Technologieanbieter bleiben, Wachstumschancen nutzen und den Wandel der Mobilität gestalten.
Aber was bedeutet das?
Dazu sind hohe Investitionen und Vorleistungen erforderlich. Bei Themen wie Wasserstoff oder einigen Elektrokomponenten kommen wir jetzt in die Industrialisierungsphase. Der Aufwand hierbei ist nochmals deutlich höher als noch während der Konzeptentwicklung. Gleichzeitig müssen natürlich auch wir schauen, dass es eine Balance gibt zwischen der Höhe der Vorleistungen und dem Gewinn, den das gegenwärtige Geschäft abwirft.
Und was heißt das?
90 Prozent unserer Mobility-Geschäfte bringen die erwarteten Ergebnisse. In einigen Bereichen gehen wir derzeit noch stark in Vorleistung. Das führt dazu, dass die Rendite nicht auf dem Niveau ist, auf dem wir sie brauchen. Wir müssen profitabel sein, um die hohen Ausgaben für Forschung und Entwicklung stemmen und unabhängig bleiben zu können. Ich sehe gute Chancen, dass wir die sieben Prozent, die wir uns als Zielrendite vorgenommen haben, erreichen können. Fortschritte sind überall erkennbar, wir müssen aber daran weiterarbeiten.
Wie wirkt sich der Preiskrieg bei der E-Mobilität aus?
Wir gehen davon aus, dass wir eine Phase erleben werden, in der die Automobilhersteller die Preise nicht weiter erhöhen können. Das dürfte gegenüber Zulieferern zu Forderungen nach Kostensenkungen führen. Gleichzeitig bleibt die Inflation bei Rohstoffen und Materialien nach wie vor hoch, die Kostenseite für uns somit angespannt. Daraus ergibt sich eine herausfordernde Gemengelage für die nächsten Jahre.
Wo haben Sie einen Hebel, gehen Sie an die Kosten im Unternehmen?
Ja, natürlich geben wir uns mit der Situation nicht zufrieden und haben die Kosten fest im Blick. Wir verfolgen mit der Neuausrichtung unseres Mobility-Geschäfts einen klaren Plan und werden verschiedene Maßnahmen angehen, um uns leistungs- und wettbewerbsfähig aufzustellen. Mit den deutschen Arbeitnehmervertretern haben wir eine Zukunftssicherungsvereinbarung getroffen, um den Mobilitätswandel gemeinsam zu gestalten. Die wird nicht sofort Wirkung zeigen, und damit können wir umgehen. Aber wir sind zuversichtlich, dass wir unsere Ziele auf absehbare Zeit erreichen werden.
Geht es konkreter, wird es etwa mehr Verlagerungen geben?
Wir haben ein breites und diverses Geschäftsportfolio, das wir auf Basis unserer Akquisitionserfolge in den Regionen umsetzen. Deshalb gehen wir Schritt für Schritt vor und entwickeln Maßnahmen standortspezifisch. Wir machen in vielen Bereichen Fortschritte, in manchen haben wir aber noch einen längeren Weg vor uns. Mit neuen Produkten und vielfältigen Qualifizierungsmaßnahmen wollen wir unser Beschäftigungsniveau bestmöglich halten, können aber auch Personalanpassungen nicht ausschließen. Wir tun jedoch alles, um erforderliche Maßnahmen sozialverträglich umzusetzen.
Bei Lidar etwa haben Sie sich aus der Industrialisierung verabschiedet, war das eine Sparmaßnahme?
Das ist ein gutes Beispiel für strategische Entscheidungen, die wir in der Phase der Vorentwicklung treffen. Wir haben die Technologie in der Schublade und hätten jetzt in die Industrialisierung gehen müssen. Wenn es aber um konkrete Bestellungen geht, bleiben die Stückzahlen im Markt sehr überschaubar. Das lohnt sich im Moment noch nicht. Wir glauben, dass der Lidar erst zu einem späteren Zeitpunkt kommen wird.
Sie können also noch später einsteigen?
Ja, wir halten unsere Lidar-Kompetenz innerhalb der Organisation aufrecht. Allerdings stellt sich die Frage, ob es überhaupt notwendig sein wird, wieder in die Lidar-Entwicklung einzusteigen. Denn wir sehen bei anderen Sensoren wie dem Radar, dass er manche Funktionen eines Lidars übernehmen kann, wenn er mit künstlicher Intelligenz ausgestattet ist. Am Ende geht es darum, welcher Sensor in einem Set welche Aufgabe übernimmt. Der Lidar ist bisher mit Abstand am teuersten. Wenn bei Video und Radar noch deutlich mehr möglich ist, dann werden sich die Kunden dafür entscheiden. Gerade das automatisierte Fahren auf Stufe 2 plus wird nur ins Volumen kommen, wenn sich die Kosten im Rahmen halten.
An Level 2 plus arbeiten sie unter anderem mit der Volkswagen-Tochter Cariad. Wie kommen Sie voran?
Unsere Partnerschaft läuft sehr gut und wir sind unserem Zeitplan sogar voraus. Im Dezember steht für mich schon die nächste Probefahrt mit einer neuen Funktion an, dem aktiven Spurwechsel-Assistenten.
Können die Fahrzeuge dann „Hands free“?
Am Ende muss VW die Fahrzeuge homologieren, da kann ich nicht vorgreifen. Aber es ist geplant, dass die Hände länger vom Lenkrad wegbleiben können und der Fahrer auch mal ein paar Sekunden nach links oder rechts schauen kann, bevor das System eingreift. Wir machen hier einen großen Sprung nach vorne.
Ist auch an Level 3 gedacht?
Technisch geht fast alles, aber es muss auch den gesetzlichen Rahmenbedingungen entsprechen. Für uns ist wichtig, dass es sich um ein attraktives Gesamtpaket handelt, wir aber Einzelkomponenten wie etwa eine hoch performante Kameraüberwachung des Innenraums oder unser effizientes Automotive Operating System bereits heute auch in anderen Bereichen einsetzen können.
Ein lukrativer Bereich für Bosch ist die Halbleiterei, wie sieht der Wachstumskurs aus?
Beim Ausbau der Chipfertigung geht es um die Frage, in welcher Zeit bekomme ich in welcher Größenordnung einen funktionierenden Reinraum. Denn ohne Reinraum keine Wafer. Auch aus der Zeit des Mangels heraus haben wir uns bei Bosch überlegt, wie wir möglichst schnell mit unseren Technologien einen Beitrag leisten und in Zukunft die Wachstumsmärkte bedienen können. Ein Schwerpunkt ist Siliziumkarbid, da die Nachfrage für die Elektromobilität stetig zunimmt.
Und wie verteilt sich das auf die Standorte?
Mit Roseville haben wir uns erst kürzlich für einen weiteren Standort in den USA entschieden. 2026 soll hier die Produktion für die ersten SiC-Chips starten, ein ehrgeiziger Zeitplan. Damit stärken wir unseren internationalen Fertigungsverbund und werden vor Ort insgesamt rund 1,4 Milliarden Euro in unser Halbleitergeschäft investieren. Siliziumkarbid-Chips werden wir zudem auch in Reutlingen produzieren, wo wir gerade dabei sind, die Reinraumfläche nochmals um rund ein Viertel zu erhöhen.
Was wird dann an welchem Standort gefertigt?
In unseren Halbleiterstandorten Reutlingen und Dresden fertigen wir etwa MEMS-Sensoren, die minimale Veränderungen in ihrer Umgebung wahrnehmen und beispielsweise Airbags auslösen können. Dazu kommen integrierte Schaltungen (ASICs), die zum Beispiel Sensordaten auslesen oder Aktuatoren ansteuern, sowie sogenannte Systems on Chips. Diese werden wir für die neuesten Radarsysteme einsetzen. Gerade der Hochlauf der Elektromobilität und das automatisierte Fahren führen zu einem enormen Boom bei Chips.
Wo haben Sie noch Kapazitäten?
Dresden hat rein von der Fläche her die besten Ausbaumöglichkeiten. Hier fahren wir die Fertigungskapazitäten aktuell massiv nach oben, da insbesondere Chips für MEMS und ASICs stark nachgefragt werden. Über die Investition in EMSC, unser Gemeinschaftsunternehmen mit TSMC, NXP und Infineon, sind wir in Dresden auch bei ganz kleinen Chipbreiten mit 28 Nanometern und darunter engagiert.
Wie steil geht die Kurve dann nach oben?
Die Kurve wird schon 2024/25 steil nach oben gehen, weil dann die neuen Architekturen der Hersteller kommen und der Bedarf enorm ansteigen wird. Wir rechnen allein bei den Siliziumkarbid-Chips ab 2027 mit mehreren hundert 200-mm-Waferstarts per Day aus Reutlingen und Roseville. Wir werden in den kommenden Jahren unser Volumen im Vergleich zu den heutigen 150-mm-Waferstart per Day mehr als verzehnfachen.
Sind die Halbleiter ein Geschäft, wo auch die Rendite stimmt?
Ja, und das muss auch so sein. Denn wenn es nicht so wäre, würde ein Unternehmen sehr schnell an finanzielle Grenzen stoßen. Die Summen, die in der Halbleiterindustrie investiert werden, sind gigantisch. Wir reden allein bei Bosch von 3 Milliarden Euro, die wir in den nächsten Jahren in Reutlingen und Dresden investieren. Wieder geht es um die Frage, welche Vorleistungen für eine Industrialisierung notwendig sind. Das ist auch der Grund, warum beinahe jede Halbleiterfabrik mit 40 bis 50 Prozent im Anlauf subventioniert wird.
Aus dem Datencenter:
Acht Kennzahlen des Bosch-Konzerns 2022