Herr Meier, können Sie sich Pirelli ohne ein Engagement im Rennsport vorstellen?
Der Motorsport ist sicherlich ein wesentliches Element in der Pirelli-DNA. Der Motorsport bietet uns eine Plattform, um unsere Technologie zeigen zu können, denn dort erfahren Reifen ihre extremste Nutzungsform. Im Übrigen übertragen wir unser Engagement im Bereich Nachhaltigkeit auch auf den Motorsport. So werden unsere Formel 1-Reifen ab 2024 FSC-zertifiziert sein.
Inwiefern profitiert die Serienentwicklung vom Rennsport oder steht beim Engagement von Pirelli eher der Imagegewinn im Vordergrund?
Dank der Datenerfassung bei den Rennen gibt es eine klare Lernkurve und einen Technologietransfer in die Serie. Der Wert für uns geht also über das Image hinaus.
Wie unterscheiden sich herkömmliche Reifen von denen für die E-Mobilität?
Die E-Mobilität stellt sicherlich andere Anforderungen an den Reifen, die aber nicht im Widerspruch zu den Anforderungen stehen, die wir in der Vergangenheit bereits an unsere Produkte hatten. In der E-Mobilität ist die Geräuschentwicklung der Reifen ein entscheidendes Kriterium. Pirelli verfolgt eine klare Strategie hin zur E-Mobilität mit Produkten wie dem P Zero E, der exzellente Leistungen mit überlegener Langlebigkeit für Elektroautos verbindet und die Umweltbelastung reduziert: er enthält über 55 Prozent recycelte oder wiederverwendbare Rohstoffe. Diese Angabe haben wir von der Zertifizierungsgesellschaft Bureau Veritas verifizieren lassen. Derzeit homologieren wir 300 Reifen nur für E-Fahrzeuge. Auf der IAA Mobility in München standen ein Viertel aller rein elektrischen Fahrzeuge auf unseren Reifen und 30 Prozent aller Hybridfahrzeuge. Alleine das zeigt schon, dass die E-Mobilität eines unserer Kernthemen ist.
In welchem Fahrzeugsegment sehen Sie sich in einer führenden Position?
Alle Reifengrößen ab 18 Zoll sind für uns in Deutschland ein strategisches Zielsegment. Wir verstehen uns als Premium- und Prestige-Reifenhersteller. Unser Fokus liegt auf allen Produkten, die spezielle Anforderungen stellen beziehungsweise im Premium- oder Prestigesegment angesiedelt sind.
Wie definieren Sie Prestige?
Prestige bedeutet bei Pirelli nicht nur herausragende Qualität und Performance, sondern auch das Streben nach Perfektion in jedem Detail. Es ist die Synthese aus Tradition, fortschrittlicher Technologie und dem unermüdlichen Streben nach Innovation. Zugleich entwickeln wir unsere Reifen für Prestige-Automobile und meinen damit jene Autos, die in ihrer Klasse Maßstäbe setzen, sei es durch Design, Technik oder Performance. Unsere Reifen sollen diesen Fahrzeugen gerecht werden und sie optimal ergänzen. Prestige ist für uns also ein Versprechen an all unsere Kunden, dass sie stets das Beste von Pirelli erhalten.
Plant Pirelli Submarken, wie es sie bei anderen Reifenherstellern gibt?
Nein, wir haben uns ganz bewusst gegen Submarken entschieden. Wo Pirelli draufsteht, ist auch Pirelli drin.
Wollen Sie weitere Bereiche im Reifensegment angehen?
Pirelli hat sich vor einigen Jahren sehr klar als ein Consumer-Reifenhersteller mit einem Fokus auf Pkw, Motorrad und seit neuestem auch auf das Fahrrad positioniert. Das sind auch in Zukunft unsere Themen.
Vor welchen Herausforderungen sehen Sie die Reifenbranche?
Die Industrie wird den Mobilitätswandel begleiten. Von der Umstellung auf Elektrofahrzeuge bis hin zum wachsenden Fokus auf Nachhaltigkeit. Dies erfordert eine immer stärkere Konzentration auf Technologie und Datenmanagement, zum Beispiel die Entwicklung virtueller Reifen.
Wird Nachhaltigkeit stärker von ihren Kunden oder mehr vom Endverbraucher nachgefragt?
In erster Linie sind es unsere OEM-Kunden, die uns danach fragen. Selbstverständlich spielen auch soziale Aspekte eine Rolle. Nachhaltigkeit ist zu einem integralen Bestandteil des gesamten Unternehmens geworden, natürlich einschließlich des Reifenentwicklungsprozesses. So wurde Pirelli im Dezember erneut in den Dow Jones Sustainability World und Europe Indizes bestätigt, nachdem wir den Top Score im Sektor ATX Auto Components erreicht hatten. Wir halten Nachhaltigkeit und Leistungskriterien im Entwicklungsprozess für gleichermaßen wichtig.
Hat sich für Sie die Rohstoffsituation bei nachhaltigen Reifen gegenüber Materialien für konventionelle Reifen erschwert?
Ich weiß nicht, ob man das als schwieriger bezeichnen kann. Wir müssen natürlich einen Rohstoff finden, der die Eigenschaften abbildet, die wir erwarten. Pirelli verwendet heute bei seinen Reifen neue Materialien, beispielsweise können wir Silikat durch verbrannte Reisschalen ersetzen. Reisschalen, die in der Vergangenheit einfach nur entsorgt wurden, werden heute verrußt. So entsteht ein Silikat-ähnliches Produkt, das wir heute im Reifen einsetzen können. Das heißt, der Reisbauer erhält heute Geld für sein Abfallprodukt Reisschalen. Ein weiteres Beispiel ist Lignin. Gewonnen aus den Abfällen der Zellstoff- und Papierindustrie, trägt Lignin zur Haltbarkeit des Reifens bei und verringert den Rollwiderstand.
Pirelli verfügt im Odenwald über ein Produktionswerk. Wie zukunftsfähig ist Ihr deutscher Standort?
Das Werk in Breuberg mit rund 2500 Mitarbeitern, darunter 250 Ingenieuren in der Entwicklung, besteht seit 120 Jahren. Seit 60 Jahren ist Pirelli dort aktiv. Der Standort Deutschland ist in der Pirelli-DNA durch die Nähe zur deutschen Automobilindustrie verwurzelt. Das Werk ist klar auf das Premium- und Prestigesegment ausgerichtet.
Erleben sie beim Endverbraucher ein geändertes Käuferverhalten, etwa bei der Nachfrage nach Ganzjahresreifen?
In Deutschland können wir heute beim Endkunden eindeutig feststellen, dass das Geschäft mit Ganzjahresreifen wächst. Heute kann jeder von uns verschiedene Lösungen für unterschiedliche Bedürfnisse nutzen: Wenn man die meiste Zeit in der Stadt fährt, sind Ganzjahresreifen die perfekte Lösung, während man mit leistungsstarken Autos oder in schneereichen Gebieten Winterreifen bevorzugt. Unabhängig von der Jahreszeit ist es wichtig, gute Produkte zu liefern, ohne Kompromisse bei Qualität und Sicherheit einzugehen.
Welches Thema ist Ihnen persönlich besonders wichtig?
Mir ist vor allem das Thema Nachhaltigkeit wichtig. Nachhaltigkeit beinhaltet für mich dabei nicht nur die technische, sondern auch die soziale Seite. Zudem müssen wir bei den Endkunden mehr Sensibilität dafür erzeugen, wie wichtig der Reifen für die eigene Sicherheit ist. Ich habe meine Zweifel, ob es uns heute als Branche schon gelungen ist, diese Sensibilität ausreichend beim Autofahrer zu verankern.
Dazu aus dem Datencenter: