Herr Wolf, Sie haben kürzlich bei Leistungshalbleitern eine Partnerschaft mit Rohm abgeschlossen. Was bedeutet das für Vitesco Technologies?
Wir haben ein enormes Wachstum vor uns. Im Jahr 2026 wollen wir fünf Milliarden Euro Umsatz mit Elektrifizierungs-Bauteilen erzielen. 2030 sollen es zehn bis zwölf Milliarden Euro sein. Das wäre eine Verzehnfachung seit 2022. Wir haben genau analysiert, welche Komponenten kritisch werden könnten, weil die Kapazitäten im Markt nicht ausreichen. Siliziumkarbid-Halbleiter haben wir klar als Priorität-eins-Thema identifiziert. Die erste Konsequenz war die 2020 begonnene und 2023 dann erweiterte Partnerschaft mit Rohm. Wir haben mit dem Chip-Unternehmen eng verzahnt diese Technologie weiterentwickelt und in unsere ersten Produkte implementiert. Um unseren stark steigenden Bedarf nach Siliziumkarbid-Chips abzudecken, haben wir zudem mit dem Halbleiterhersteller Onsemi einen Vertrag geschlossen.
Sind damit die benötigten Kapazitäten bis 2030 abgedeckt?
Nein, wir werden die Partnerschaften mit Rohm und Onsemi entweder erweitern oder wir suchen uns weitere Quellen. Ziel ist es, eine 100-prozentige Absicherung der Kapazitäten zu erreichen. Und zwar auch bezogen auf die Züchtung der Kristalle. Dieser Vorgang ist sehr aufwändig und anspruchsvoll, um letztlich Siliziumkarbid-Halbleiter zu erzeugen.
Können Sie das näher erläutern?
Wer keinen Zugriff auf diese Komponenten hat, wird auch keine Produkte herstellen können und damit auch Kunden nicht beliefern können. So einfach ist die Rechnung. Unsere beiden Partner beherrschen wie nur wenige Lieferanten den gesamten Prozess von der Kristallzüchtung bis hin zum fertigen Leistungshalbleiter. Die Kristallzüchtung ist ein Engpass, der sich auch nicht schnell beseitigen lässt. Entweder man hat Zugriff auf die Kapazitäten oder man hat sie nicht. Wir haben sie uns jetzt für die nächsten Jahre gesichert.
Wie entwickelt sich der Auftragseingang?
Der Großteil der Aufträge in den letzten Jahren entfiel auf den Bereich Elektrifizierung. Mittlerweile sind das zwischen 70 und 80 Prozent des Auftragseingangs. Das war eine Trendwende. Insgesamt entfällt mehr als 50 Prozent des gesamten Auftragsbestands von 60 Milliarden Euro bis Ende der Dekade auf Elektrifizierungskomponenten.
Gibt es Interessenten, die Teile ihres Verbrennergeschäfts übernehmen wollen?
Zunächst muss im Verbrennerumfeld zwischen dem Kern- und dem Nicht-Kerngeschäft unterschieden werden. Wir haben sehr früh Produkte unseres Portfolios identifiziert, die wir als nicht tragfähig für die Zukunft ansehen. Entweder, weil der Markt wegbricht oder unsere Technologie nicht wettbewerbsfähig ist. Gemeint sind damit in erster Linie Turbolader, Einspritzsysteme oder Injektoren. Bei diesen Produkten haben wir von Beginn an kommuniziert, dass wir diese, synchronisiert mit den Wünschen der Kunden, auslaufen lassen. Das funktioniert auch sehr gut und punktuell gelingt es uns, das eine oder andere Geschäft beziehungsweise Standort zu veräußern. Der Kernbereich unserer Verbrennertechnologie, wie die Antriebselektronik oder unsere Sensoren und Aktuatoren, wird uns noch viele Jahre tragen. Davon bin ich überzeugt.
Sie hatten angekündigt, den Break-even für Elektrifizierungskomponenten 2024 zu erreichen. Bleibt es dabei?
Ja, die komplette Organisation ist darauf ausgerichtet. Wir haben in den vergangenen Jahren sehr gute Fortschritte bei der Profitabilität erzielt. Jetzt wächst Schritt für Schritt die Elektrifizierung mit Invertern, Batteriemanagement-Systemen und E-Achsen in normale Profitabilitätsbereiche hinein, wie wir sie auch aus der klassischen Verbrennerwelt kennen.
Haben Sie die Preisverhandlungen mit ihren Kunden abgeschlossen?
Nicht komplett, aber mehr als 80 Prozent sind abgeschlossen. Wir nehmen uns die Zeit, um gute Abschlüsse zu erzielen. Da geht es nicht nur um Schnelligkeit, sondern auch um den Inhalt. Deshalb ist an der einen oder anderen Stelle etwas mehr Zeit notwendig.
Sie konnten zuletzt rund 80 Prozent der Verteuerungen an ihre Kunden weitergeben. Kommen Sie 2023 über diesen Wert?
Wir werden in jedem Fall in einem ähnlichen Korridor liegen. Im Gesamtjahr 2023 werden sich voraussichtlich einige Kosten nicht so stark erhöhen, wie ursprünglich erwartet, als wir die Diskussionen mit unseren Kunden im November gestartet hatten. Energie ist günstiger geworden und auch auf der Komponentenseite gibt es eine gewisse Beruhigung. Es gibt bereits wieder erste Lieferanten, die uns Produktivitäten anbieten. Das heißt, die Preise sinken. Genauer wissen wir es in wenigen Wochen, wenn wir alle Abschlüsse hinter uns gebracht haben.
Wie stabil ist ihre Lieferkette?
Mit Blick auf die Teileversorgung hat sich die Situation deutlich verbessert. Die Anzahl der Krisenmeetings hat stark abgenommen. 2021 und 2022, in der Mitte des Sturms, war die Zeit sehr intensiv. Bei den jetzt noch kritischen Komponenten handelt es sich oft um ältere Technologien, weil insbesondere homologationsrelevante Änderungen sehr aufwändig und kostenintensiv sind. Für diese Technologien werden üblicherweise keine Kapazitäten mehr aufgebaut. In einigen Fällen designen wir auch um.
Durch Lieferengpässe hatten sie 2022 Umsatzeinbußen im mittleren dreistelligen Millionenbereich. Was erwarten Sie für das laufende Jahr?
Deutlich geringere Einbußen. Im ersten Halbjahr gab es bestimmte Komponenten im Umfeld der Elektrifizierung, bei denen wir nicht komplett die Bedarfe der Kunden abdecken konnten. Es wird 2023 ein Betrag im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich werden.
Wann erwarten Sie das Ende der Lieferengpässe?
Ich rechne damit, dass wir 2024 - bis auf einige Ausnahmen - die Lieferengpässe hinter uns gelassen haben.
Welche Herausforderungen sehen wir für die Zulieferindustrie insgesamt?
Die Herausforderungen sind in der Summe sehr vielschichtig und von starken Veränderungen geprägt. Früher war es so, dass wir von unseren Kunden einen Auftrag bekommen haben und diesen in unseren Komponentenbedarf zergliedert. Wir hatten dann eine Stückliste der Produkte, haben unsere Bedarfe an unsere Lieferanten gemeldet und wurden anschließend beliefert. So hat die Welt viele Jahrzehnte funktioniert. Jetzt aber nicht mehr, weil es viele kritische Komponenten gibt, bei denen der Kapazitätsaufbau sehr lange dauert. Insbesondere im Bereich der Halbleiter ist das so.
Und wie läuft es jetzt?
Unsere Kunden geben uns einen Forecast für mindestens zwei Jahre, manche sogar für drei Jahre oder länger, damit wir die geplanten Volumina wiederum in Komponentenbedarf umsetzen können. Unsere Lieferanten erhalten dadurch einen deutlich längeren Ausblick auf die Zukunft. Das hat sich also stark verändert. Ich hoffe, dass sich die Thematik der Preisverteuerung, egal ob inflations-, energie- oder lohnbedingt, wieder beruhigt. Die Indikatoren deuten das an. Was uns insbesondere im Powertrain-Umfeld beschäftigt, ist das Managen der Transformation. Also die Kernkomponenten aus dem Verbrennerumfeld zu stabilisieren und gleichzeitig das Wachstum in der Elektrifizierung von einer, über fünf auf über zehn Milliarden Euro zu stemmen.
Dazu aus dem Datencenter: