Finanzchef Harald Wilhelm wiederholt es bei jeder Gelegenheit fast gebetsmühlenartig. Die Basis der Profitabilität ist die Produktsubstanz. Wer technologisch führende und damit attraktive Fahrzeuge baut, so das Kalkül, der darf auch beim Preis zulangen und sorgt damit für eine gesunde Rendite. Mit gleich mehreren neuen Plattformen will Mercedes zur Mitte des Jahrzehnts neue Modelle auf den Markt bringen, an denen laut Konzernchef Ola Källenius „keiner vorbeikommt“. Den Anfang macht die MMA-Plattform Ende 2024, die erstmals das komplette Betriebssystem MB.OS an Bord hat. Erstes Modell ist der CLA, den Mercedes auf der IAA im Herbst als Konzeptauto vorgestellt hat. Danach kommen noch CLA Shooting Brake und die SUVs GLA sowie GLB. Ein Jahr später folgt dann die Plattform MB.EA, auf der es nur noch rein elektrische Fahrzeuge geben wird. Dazu gehört zum Beispiel eine elektrische C-Klasse sowie ein GLC. Eine nochmals verbesserte Effizienz und neue Batteriezellen ermöglichen Reichweiten von über 800 Kilometer.
Modellvorschau Mercedes-Benz 2023 bis 2026
Ein Paradebeispiel für den technologischen Führungsanspruch bei Mercedes-Benz ist das automatisierte Fahren. So hat der Hersteller mit dem "Drive-Pilot" das derzeit einzige Assistenzsystem auf der Stufe 3 auf dem Markt, das von Behörden in Deutschland wie auch in den USA (Nevada und Kalifornien) eine behördliche Zulassung hat. Im Vergleich zu Systemen auf Stufe 2 wie dem Autopiloten von Tesla erfolgt ein Paradigmenwechsel, da erstmals der Fahrer nicht mehr in der Verantwortung ist und der Hersteller im Falle eines Unfalls haftet. Dies ist auch der Grund, warum Mercedes den Drive-Pilot bisher sehr defensiv ausgelegt hat und dieser beispielsweise nur bis Tempo 60 funktioniert. Eine stufenweise Erhöhung der Geschwindigkeit ist in den nächsten Jahren geplant.
Flankiert wird die Strategie von einer Revolution im Handel. Als einer der ersten Hersteller hat Mercedes das Agenturmodell eingeführt und den Vertrieb damit an sich gerissen. Die vormals eigenständigen Händler bekommen Preise vorgegeben und verdienen nur noch über die Provisionen, die der Hersteller beim Verkauf eines Fahrzeugs gewährt. Zum 1. Juni wurde das System bei Mercedes in Deutschland eingeführt. Vertriebschefin Britta Seeger zog im Interview mit der Automobilwoche eine positive Bilanz nach dem Start. "Deutschland ist der bisher größte Markt, auf dem wir das Agenturmodell eingeführt haben. Wir haben schon im Juni gesehen, dass der Start geglückt ist und die Prozesse gut laufen."
Agenturmodell: Vertriebsumstellungen von Autoherstellern in Deutschland
Teil der Strategie von Mercedes ist es dabei, den Absatz im Luxus-Segment im Vergleich zu den Einstiegmodellen überproportional zu erhöhen. Finanzchef Harald Wilhelm bemüht dabei gerne das Bild von einem Diamanten, der oben dicker ist und nach unten spitz zuläuft. So sollen möglichst viele Fahrzeuge der G-Klasse, S-Klasse, GLS sowie die elektrischen Top-Modelle um EQS, EQS SUV und Maybach EQS SUV verkauft werden, während das Wachstum bei den Kompaktwagen ruhig gemächlicher verlaufen kann. Die Strategie ist in den vergangenen zwei Jahren gut aufgegangen, in diesem Jahr aber kommt Gegenwind. So ging der Verkauf der Top-End-Modelle und elektrischen Luxusautos im dritten Quartal 2023 im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent von 79.000 auf 70.000 zurück. Vor allem bei den sportlichen AMG-Modellen und den elektrischen Fahrzeugen machte sich eine sinkende Nachfrage bemerkbar.
Absatz von Mercedes Benz 2021 und 2022
Gebremst wird die Euphorie derzeit außerdem durch Lieferschwierigkeiten bei 48-Volt-Batterien des Bosch-Konzerns. Ausgerechnet die derzeit so stark nachgefragten Modelle GLC und die E-Klasse sind davon betroffen. Ein Problem ist dabei die Komplexität des Systems, das für einen verzögerten Hochlauf im Eisenacher Werk von Bosch sorgte. Dadurch war der Absatz im dritten Quartal um vier Prozent geschrumpft. In den ersten neun Monaten wurden 1.529.800 Einheiten ausgeliefert, ein Plus von zwei Prozent. Nach Aussagen von Finanzchef Harald Wilhelm könnte durch den Mangel der Absatz in diesem Jahr um fünf Prozent niedriger ausfallen, was einer Stückzahl von etwa 100.000 Einheiten entspricht.
Wer liefert was für die Mercedes E-Klasse
Zwar hat Mercedes beim Absatz damit in diesem Jahr erneut das Nachsehen im Wettbewerb mit dem Dauerkonkurrenten BMW. Doch wenn sich im nächsten Jahr ein Nachholeffekt einstellt, könnten die Stuttgarter durchaus wieder aufschließen. Zumindest droht nach hinten keine Gefahr, da Audi in den vergangenen Jahren den Abstand hat größer werden lassen und sich auf absehbare Zeit mit dem dritten Rang begnügen muss. Spannend wird, ob die angekündigte Modelloffensive von Audi in den nächsten Jahren an der Hackordnung der Premiumhersteller etwas ändern wird.