Sie haben über alle Marken hinweg 2022 in Europa Anteile verloren. Was sind die Gründe?
Da waren zunächst die Lieferschwierigkeiten. Die Verfügbarkeit von Halbleitern hat mit über die Entwicklung der Marktanteile entschieden. Der ein oder andere Hersteller aus dem asiatischen Raum wurde hier vielleicht besser bedient. Und auch die Logistikprobleme haben die Volumenhersteller stärker getroffen als andere. Es gibt wegen fehlender Lkw-Fahrer nur noch begrenzte Transportkapazitäten. Deswegen haben wir den Händlern angeboten, die Autos in unseren Zwischenlagern selbst zu holen. Das wollen wir professionalisieren.
Wie muss ich mir das vorstellen?
Wir haben damit Ende letzten Jahres angefangen. Die Händler haben selbst Fahrzeuge, um Autos etwa zu ihren Filialen zu transportieren. Die stehen oft ungenutzt herum und können nun für diesen Zweck eingesetzt werden. Über diese können sie jederzeit verfügen und sind nicht auf fremde Firmen angewiesen. Der Händler kann damit selbst die Lieferfähigkeit bestimmen und den Kunden auch entsprechend bedienen.
Klingt nach Paket an der Packstation abholen, oder?
Nein, das ist ja nichts grundsätzlich Neues in der Industrie. In Nordamerika ist das bereits Standard. Die Importeure bei uns holen die Autos auch selbst ab. Wir haben dies ausgeweitet auf einen Kreis, der das bisher nicht gemacht hat. Das ist eine sinnvolle Antwort auf die Logistikkrise, die sich in den nächsten Jahren nicht entspannen wird. Die Lösung ist pragmatisch, professionell und kostenmäßig vertretbar.
Auch Opel hat deutlich Anteile verloren. Ist das nur die Logistik?
Alle Marken haben unter der Transportkrise gelitten. Die Auftragsbücher sind voll. Opel hat bis 2017 fast zwei Jahrzehnte Verlust gemacht, ist aber mittlerweile nachhaltig profitabel. Der Corsa ist der erfolgreichste Kleinwagen in Deutschland. Der nagelneue Astra läuft ganz hervorragend. Auch der Mokka ist sehr gefragt. Selbst in Deutschland haben wir aber damit zu kämpfen, die Autos zu den Kunden zu bringen. Es geht vor allem um die Auslieferung.
Was ist mit den Plänen zur Internationalisierung, etwa in China?
China ist für Opel derzeit kein Thema. In Lateinamerika verkaufen wir durchaus einige Fahrzeuge und werden unsere Exporte – wo immer sinnvoll – noch ausbauen. Auch die Türkei und Nordafrika sind gute Märkte für Opel. Aber der Kern der Marke ist Europa, inklusive Vauxhall in Großbritannien.
Das heißt, Sie sind mit Opel zufrieden?
Ich bin mit der Marke zufrieden, ich bin mit der Produktpalette sehr zufrieden. Ich bin nicht mit den Logistikmöglichkeiten zufrieden. Deshalb haben wir im vierten Quartal nicht erreicht, was möglich gewesen wäre. Wir hatten die Kunden, wir hatten die fertigen Autos, aber sie sind nicht dorthin gekommen.
Die Produktionszahlen bei allen Herstellern gehen in Europa weiter zurück. Werden Sie bei Stellantis Werke streichen müssen?
Klar ist, dass wir einen Strukturwandel erleben. Natürlich werden wir mit der Elektromobilität unsere Werke in Europa anders aufstellen. Wir haben das Ziel, unsere Neuwagenflotte bis 2030 komplett umzustellen. Kaiserslautern ist ein gutes Beispiel. Am Standort eines traditionellen Komponentenwerks werden wir hier künftig mit zwei Partnern Batteriezellen fertigen. In Frankreich werden wir in Trémery Elektromotoren produzieren, früher war es ein Dieselmotoren-Standort.
Aber in Eisenach etwa fertigen Sie für Opel nur ein Modell, den Grandland. Reicht das?
Der Opel Grandland ist ein sehr erfolgreiches Fahrzeug mit einem sehr hohen Auftragsbestand. Wir haben eine gute Auslastung in Eisenach.
Wird es in Rüsselsheim einen Nachfolger für den Insignia geben?
Es wird einen Nachfolger des Insignia mit ähnlichen Attributen geben. Den Produktionsort haben wir noch nicht angekündigt. Der alte Insignia war ein Fahrzeug aus einer anderen Zeit, der noch auf einer Plattform nur für Verbrenner basierte. Nun hat Rüsselsheim den Bestseller Astra bekommen, den es als Hybrid und zukünftig auch rein elektrisch gibt. Das Werk wurde also gestärkt und ist mit den Varianten gut ausgelastet, zumal auch der DS 4 hier vom Band läuft. Rüsselsheim ist in diesem Set-Up nachhaltig aufgestellt.
Also Rüsselsheim und Eisenach sind sicher für die nächsten Jahre?
Es gibt nur zwei Kriterien zum erfolgreichen Betrieb eines Werks. Das eine ist Qualität, das andere Wettbewerbsfähigkeit. Alles Übrige ist Politik. Aber nehmen sie als Beispiel den Lancia Ypsilon, den es nun seit zwölf Jahren gibt. Der ist qualitativ so gut wie nie und ist wettbewerbsfähig. Er ist die Nummer eins in seinem Segment in Italien und wird nur dort verkauft. Also wurde hier alles richtig gemacht. Das Gleiche wird beim Astra passieren. Ich werde nicht mehr Volumen machen, wenn sich dann die Qualität verringert. Qualität ist ein Fixstern, weil der Kunde keine Abstriche duldet.
Wie sieht es mit der Entwicklung in Rüsselsheim aus, wird die Rumpfmannschaft bestehen bleiben?
Sagen Sie mir einen Hersteller, der nicht in der Entwicklung Kapazitäten eingespart hat. Wir haben in Rüsselsheim ein internationales Entwicklungszentrum, das für den gesamten Konzern wichtige Aufgaben übernimmt, denken Sie zum Beispiel an die Expertise im Bereich Wasserstoff-Brennstoffzelle. Dass wir die Gesamtzahl der Mitarbeiter im Auge behalten und im Bereich des Verbrenners abbauen mussten, ist klar.
Mir geht es um die Rolle von Opel: Bleibt Opel eine eigenständige Marke?
Opel ist und bleibt – wie alle anderen Stellantis-Marken auch – eine eigenständige Marke. Opel hat so eine lange Tradition, so ein starkes Design. Die Marke hat einen großen Wert. Die Entwicklungskapazitäten sind hoch. Wir sind in der Lage, viele erfolgreiche Modelle wie Corsa, Mokka oder Astra zu entwickeln. Gerade das Designcenter spielt eine wichtige Rolle. Es ist eines unserer modernsten Designcenter überhaupt.
Eine weitere Marke mit großer Tradition ist Fiat. Aber außer dem Erfolgsmodell Fiat 500 kommt nicht mehr viel. Ändert sich das?
Der Fiat 500 Elektro ist eines der meistverkauften Elektroautos in Europa. Der Fiat Ducato ist der meistverkaufte Untersatz für Campingmobile. Der Fiat Panda ist das meistverkaufte Auto in Italien. Wir dürfen nicht immer nur auf Deutschland schauen. Aber wir haben für die Zukunft einen bedeutenden Investitionsplan für Fiat mit vielen neuen Modellen in allen relevanten Segmenten. Das werden für Westeuropa ausschließlich Elektroautos sein.
Wann werden Sie alle Marken umgestellt haben?
Da muss man differenzieren zwischen den Regionen Europa, Nordamerika und Südamerika. Wir werden in Westeuropa vier Plattformen für rein elektrische Modelle haben, die Mitte des Jahrzehnts eingeführt werden. Opel etwa wird ab 2028 nur noch elektrische Fahrzeuge verkaufen. Alle Modelle, die wir derzeit entwickeln, werden auf diesen Plattformen stehen. Dadurch bekommen wir größere Reichweiten und schnellere Ladezeiten. Aber parallel wird es für Nord- und Lateinamerika und andere Regionen sicher noch Modelle auf den älteren Plattformen geben.
Ist der Rückzug von Stellantis aus China, den Carlos Tavares wiederholt angedroht hat, eigentlich schon beschlossen?
Ich bin für Europa zuständig und kann dazu derzeit nichts sagen. Aber man muss sich in Europa schon überlegen, wie man mit China umgeht. Vor allem mit den chinesischen Marken, die jetzt hier auf den Markt drängen.