Tesla und das Autonome Fahren: Mehr Schein als Sein

Wie sehr sich durch clevere Inszenierung die Sicht auf die Kompetenz eines Herstellers verändern kann, zeigt Tesla deutlich im Bereich des autonomen Fahrens. Seit vielen Jahren arbeitet Unternehmenschef Elon Musk mit dem Begriff "Autopilot" für die automatisierten Fahrfunktionen seiner vier Tesla-Modelle. Später etablierte er noch die Abkürzung FSD (für Full Self-Driving) für die dazu genutzte Software. Allein: Bis heute fährt kein einziger Tesla per "Autopilot" oder vollständig von selbst.

Dennoch verbinden viele Kunden durch das verbale Trommelfeuer des Tesla-Chefs mit dem E‑Auto-Pionier weiterhin eine hohe Kompetenz beim autonomen Fahren. So versprach Musk bereits für 2017 den Serieneinsatz von Level- 4-Technologie in Tesla-Fahrzeugen. Bis heute allerdings sind sämtliche Tesla-Systeme lediglich im Bereich Level 2 beziehungsweise 2+ angesiedelt. Einzig Mercedes bietet im Markt ein Level-3-System an. BMW will bis Jahresende nachziehen. Level 4 ist aktuell noch von keinem Hersteller serienreif entwickelt.

Jan Becker, Experte für autonomes Fahren und Gründer des Softwareunternehmens Apex. AI, sagte der Automobilwoche: "Elon Musk spricht gerne und viel von Level 4 und 5, aber ist selbst nach wie vor mit seinem 'Autopiloten' nur bei Level 2+." Und selbst hier sind Teslas Systeme, die bei Neubestellungen 3800 Euro ("erweiterter Autopilot") beziehungsweise 7500 Euro ("Volles Potenzial für autonomes Fahren") kosten, im Vergleich mit der Konkurrenz nicht Branchenspitze.

Eine Untersuchung der US-Verbraucherschutzorganisation Consumer Reports stellte Anfang dieses Jahres zwölf Angebote von OEMs im Bereich teilautomatisierter Fahrfunktionen gegenüber. Tesla belegte nur Platz sieben (Sieger: BlueCruise von Ford).

Bereits seit 2014 stattet Tesla seine Fahrzeuge mit automatisierten Fahrfunktionen aus. Partner war zunächst das israelische Unternehmen Mobileye. Inzwischen gibt es fünf Generationen der "Autopilot"-Hardware, die Tesla intern von HW1 (ab 2014) bis HW4 (soll ab August in allen neuen Fahrzeugen verbaut werden) durchnummeriert. HW2.5 zählt als eigene Generation.

Der Funktionsumfang stieg dabei konstant an. Ab 2016 setzte Tesla auf eine Zusammenarbeit mit dem US-Unternehmen Nvidia, um den "Autopiloten" zu verbessern. Die vorherige Kooperation mit Mobileye endete im Streit. Seit 2017 (HW2.5) gibt es die zubuchbare Option "Potenzial für autonomes Fahren", die Tesla international unter der von Musk so gerne genutzten Abkürzung FSD vermarktet.

Partner für diese Entwicklung war erneut der US-Konzern Nvidia. Im Jahr 2019 wurde dann die HW3 eingeführt, deren Rechenleistung erstmals autonomes Fahren ermöglichen soll. Besonderheit hier: Erstmals entwickelte Tesla alle Kernbestandteile selbst und verzichtete auf externe Hilfe. Die aktuelle HW4 wird seit Beginn dieses Jahres ausgerollt und bietet mehr Rechenleistung und mehr Anschlüsse für Kameras sowie ein Radarsystem. In älteren Modellen nachgerüstet wird diese Hardware-Generation allerdings nicht.

Musk sagte dazu: "Es wäre wirtschaftlich für uns nicht machbar, das zu tun." Tesla wechselte in seinen Konzepten nicht nur immer wieder den Entwicklungsdienstleister, sondern auch die genutzte Hardware. Erst 2021 verkündete Musk die vollständige Abkehr von Radarsystemen für automatisierte Fahrfunktionen ("vision only"). Stattdessen sollten einzig redundante Hochleistungskameras in Verbindung mit KI-Technologie die Teslas sicher im Alleingang über die Straßen steuern.

Ein Ansatz, den die Branchenführer Mercedes und BMW ablehnen. Sie arbeiten weiter mit Lidar-Radarsystemen und halten diesen Weg für sicherer. Das sah nur knapp zwei Jahre später zerknirscht auch Tesla-Chef Musk ein, nachdem er Radarsysteme zuvor als "Krücke" bei der Entwicklung autonomer Fahrfunktionen bezeichnet hatte.

Die HW4-Generation, deren Einbau aktuell läuft, bietet wieder die Möglichkeit zur Nutzung von Radarsystemen. Ende vergangenen Jahres wurde bekannt, dass der Elektro-Marktführer entsprechende Unterlagen zur Genehmigung bei der US-Aufsicht Federal Communications Commission (FCC) eingereicht hat. Zudem soll die Rechenleistung von 12 auf 20 CPU-Kerne gesteigert worden sein. Gleichzeitig lassen sich bis zu zwölf Kameras mit der zentralen Steuereinheit der HW4 verbinden. Offiziell bestätigt sind diese Zahlen von Tesla allerdings nicht.

Bei der Entwicklung automatisierter Fahrfunktionen einen ganz eigenen Weg zu gehen, hat sich für Tesla bisher nicht ausgezahlt. Im Gegenteil: Ein Datenleck enthüllte Ende Mai, dass Fehlfunktionen von Teslas "Autopiloten" für mehr als 1000 Unfälle verantwortlich sein sollen. Eine Auswertung der Daten bezifferte die an Tesla gemeldeten Sicherheitsbedenken von Kunden zwischen 2015 und 2022 auf mehr als 3000. Davon 2400 Beschwerden über Selbstbeschleunigungen, mehr als 1500 Probleme mit Bremsfunktionen, 139 Fälle von Notbremsungen und 383 gemeldete Phantombremsungen durch falsche Kollisionswarnungen.

Tesla selbst kommentierte die Zahlen nicht. Auch die zahlreichen Videos in sozialen Netzwerken, bei denen automatisiert fahrende Teslas Crash-Dummys überrollen oder durch Fehlfunktionen Unfälle im Straßenverkehr verursachen, ignoriert der Branchenprimus schon seit Langem. Es passt eben nicht in die Inszenierung.

Aus dem Datencenter:

E-Auto-Absatz von Tesla von 2010 bis 2022

Dieser Artikel erschien zuerst in der Automobilwoche Edition 20 Jahre Tesla. Hier geht es zur Bestellung.