Wie steht Tesla da?

Elon Musk hatte allen Grund zum Jubeln: Das vergangene Quartal sei eins der stärksten in der Geschichte von Tesla gewesen, sagte er in einer Analystenkonferenz in der Nacht auf Donnerstag. Das Unternehmen habe das Potenzial für eine rekordbrechende zweite Hälfte des Jahres. Tatsächlich steht der Elektro-Pionier im Moment gut da. Aufgrund von Lockdowns und Problemen mit den Lieferketten ist zwar auch der Absatz von Tesla zurückgegangen, insgesamt kommt der Hersteller aber besser durch die Krise als viele Konkurrenten.

Zudem hat sich der Gewinn im Vergleich zum Vorjahresquartal fast verdoppelt. Musk verfügt über Milliarden von Dollar, die er investieren kann. Die neuen Werke in Austin und Grünheide laufen gerade hoch. Wenn sie ihre volle Auslastung erreichen, könnte Tesla erheblich mehr Autos bauen als bislang.

Noch immer verfügt Tesla über eine weltweit Fangemeinde, die ihresgleichen sucht. Es dürfte wenig andere Autobauer geben, deren Kunden in der Nacht vor dem Bestellstart eines neuen Modells auf der Straße campieren, um als einer der Ersten ein Auto bestellen zu können. Das Gleiche gilt für die Investoren, die über Jahre hinweg an die optimistischen Versprechen von Elon Musk geglaubt haben, obwohl Tesla lange nur Verluste zu bieten hatte.

Bei den Themen Computer und Software ist Tesla den anderen Herstellern noch immer weit voraus. Das betrifft nicht nur die großen Bildschirme und die Updates over the air, mit denen die anderen Autobauer erst nach und nach anfangen, sondern vor allem die Konsequenz, mit der Tesla seine Autos um die Elektronik herum konstruiert, und die Integration von Hard- und Software, die an Apple erinnert.

Die Qualität ist bei vielen Autos immer noch erschreckend schlecht. Lackmängel, schief eingepasste Hauben und weitere Probleme sind bekannt. Solange Tesla auf dem Markt für Elektroautos nahezu konkurrenzlos war, konnte sich das Unternehmen so etwas leisten. Die ersten Tesla-Fahrer waren Fans, die aus Überzeugung kauften, meist noch ein zweites Auto in der Garage hatten und über Mängel meist großzügig hinwegsahen. Doch inzwischen ist das Unternehmen im Volumenmarkt aktiv und hat Kunden, die jeden Tag auf ihr Auto angewiesen sind. Zudem gibt es immer mehr Konkurrenz von deutschen und asiatischen Herstellern, die mit jahrzehntelanger Erfahrung einwandfreie Qualität liefern.

Zum Teil gehen die Mängel auch über Schönheitsfehler hinaus: Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass zwei Tesla-Fahrer das Unternehmen verklagt haben, weil am Unterboden ihrer Fahrzeuge, an den Wagenheber-Aufnahmepunkten, Verformungen und Risse zu sehen sind. Tesla deklarierte das Problem als Schönheitsfehler und versuchte, es durch Lackieren zu beseitigen. Gutachter stellten jedoch fest, dass es sich um Sicherheitsmängel handelt, mit denen die Autos die Hauptuntersuchung nicht bestehen würden.

Die Produktpalette besteht im Wesentlichen aus den Kompaktmodellen 3 und Y. Die Oberklasse-Fahrzeuge Model S und Model X spielen beim Absatz kaum eine Rolle. Angesichts der Vielzahl an Konkurrenzmodellen, die nun auf dem Markt sind, fehlen Tesla Angebote in gleich mehreren Segmenten: In den USA wäre ein Pick-up von enormer Bedeutung. Tesla hat den Cybertruck schon Ende 2019 vorgestellt, das Fahrzeug ist aber immer noch nicht auf dem Markt, während Konkurrenzmodelle wie der Rivian R1T und der Ford F-150 Lightning inzwischen verkauft werden. Weitere Lücken im Modellprogramm sind ein günstiger Kleinwagen für die Stadt sowie ein Kombi für Europa. Schon längst angekündigt sind auch der zweite Roadster und der Sattelschlepper Semi.

Direkt damit verbunden sind die langen Entwicklungszeiten von Tesla. Während die etablierten Hersteller das Thema E-Mobilität zwar lange vernachlässigt haben, jetzt aber fast im Monatstakt neue Modelle auf den Markt bringen, ist von Tesla schon lange nichts mehr zu hören.

Tesla-Chef Elon Musk war in den vergangen Jahren der wesentliche Erfolgsgarant bei Tesla. Ohne seinen unerschütterlichen Optimismus, sein Selbstvertrauen und seine Bereitschaft, immer wieder auch mit eigenem Geld in die Bresche zu springen, wenn es wieder mal knapp wurde, wäre Tesla sicher nicht, was es heute ist – und vermutlich längst untergegangen. Doch in den vergangenen Monaten scheint  der Milliardär vom Glück verlassen zu sein: Die missglückte Twitter-Übernahme, sein Einsatz für die Republikaner, die Ablehnung von Arbeitnehmerrechten – die Liste der Probleme ist lang. Auf ihn verzichten kann Tesla zwar vermutlich nicht, zumal er als wichtigster Anteilseigner kaum einfach entlassen werden könnte. Aber seine Eskapaden werden zunehmend zur Belastung für das Unternehmen.

Tesla hat Stärken und Schwächen wie jedes andere Unternehmen. Doch viele seiner Stärken verlieren gerade an Bedeutung, weil die anderen Autobauer mit Höchstgeschwindigkeit aufholen. Der Pionier der Elektromobilität wird sich anstrengen müssen, wenn er seine Spitzenposition halten will.

Aus dem Datencenter:

Tesla-Geschichte 2003 bis 2022