Wochen der Wahrheit bei Volkswagen

Am 26. Juni 2020, an einem Freitag, lief im VW-Werk Zwickau der letzte Verbrenner vom Band, ein Golf Variant. Seitdem blieb dort kein Stein auf dem anderen. Für mehr als eine Milliarde Euro wurde die Fabrik für die neue Welt der Elektromobilität umgerüstet. Zwickau galt im Konzern als das Sinnbild für erfolgreiche Transformation zur E-Mobilität. Bis jetzt.

Wegen mangelnder Nachfrage nach Elektroautos wird Volkswagen in Zwickau in den kommenden Monaten 269 befristete Stellen abbauen. Die Zukunft von 2000 weiteren befristeten Jobs ist ungewiss. In Dresden wird die Produktion des ID.3 sogar ganz eingestellt. Grund ist eine Auftragsflaute bei den VW-Stromern ID.3, ID.4 und ID.5, die Zwickau auf zwei gemeinsamen Linien mit dem Audi Q4 e-tron und dem Cupra Born fertigt. Alle Fahrzeuge basieren auf der einheitlichen MEB-Plattform.

Bei einer Betriebsversammlung am vergangenen Donnerstag informierten Marken-Produktionsvorstand Christian Vollmer und Werksleiter Robert Janssen die rund 11.000 Beschäftigten in Zwickau über die momentane Lage.

Es ist der Auftakt zu den Wochen der Wahrheit. Konzernchef Oliver Blume hat dem Unternehmen ein rigoroses „Performance“-Programm verordnet. Die verkrusteten Strukturen, übernommen aus der alten Verbrenner-Welt, sollen endlich gesprengt werden.

In wenigen Monaten schon startet die Umsetzung. „Es geht darum, wie wir die ­Erträge steigern können über Pro­dukte, Produktmix, Ausstattung, Betriebsleistung. Wir gehen alle Kosten durch von Entwicklungskosten, Materialkosten über Fixkosten, Produktionskosten bis zu Vertriebskosten. Und wir schauen nach neuen Ertragsmöglichkeiten wie Mobility Services oder Financial Services“, sagt Blume.

Stellenabbau hat in dieser Strategie keine Priorität, gehört für Blume aber zum Werkzeugkasten auf dem Weg zu mehr Ertrag – wie jetzt in Zwickau und schon im ­Juni im Werk in Emden ­geschehen, wo wegen geringer Nachfrage nach dem ID.4 Mit­arbeiter in Kurzarbeit geschickt wurden. Blume: „Das ist ein normales Business-Instrument. Das macht jeder Mittelständler.“

Insbesondere die Kernmarke Volkswagen steht derzeit unter Druck. Blume erwartet von seinem Markenchef Thomas Schäfer eine Rendite von 6,5 Prozent im Jahr 2026. Aktuell liegt VW Pkw bei 3,6 Prozent. Die Haupt­prob­leme lauten: zu kleine Gewinne in den Büchern, zu hohe Komplexität bei den Modellen, zu viele Überkapazitäten in den Werken.

Speziell die ID-Flotte der Kernmarke ist weniger nachgefragt. VW-Händler berichten von geringem Kundeninteresse an den drei MEB-Stromern der Wolfsburger. Ein weiterer Aspekt ist die nun absinkende Förderung für Elek­trofahrzeuge. Von Januar 2024 an werden für Privatpersonen nur noch 3000 Euro Kaufprämie ­gezahlt, für Dienstwagen ist die Förderung schon seit diesem September verschwunden.

Zudem wirkt die Planung innerhalb des VW-Imperiums bisweilen chaotisch. Noch am Tag der Betriebsversammlung rund um die Stellenstreichungen in Zwickau bestätigte Audi, man werde am Plan festhalten, den Q4 e-tron neben dem sächsischen VW-Standort noch in diesem Jahr auch im eigenen Werk in Brüssel zu fertigen. Eine Mitteilung, die bei den Beschäftigten in Zwickau nicht gut ankam. „Audi geht es dabei vor allem um die Auslastung seines eigenen Standorts“, sagt ein Produktions-Kenner.

Dazu kommt: Das Cupra-SUV Tavascan, das ebenfalls auf dem in Zwickau längst eingerüsteten MEB-Baukasten basiert, soll von 2024 an aus dem Werk im chinesischen Anhui nach Europa exportiert werden. Lange war das ein Tabu im VW-Konzern. Begründet wurde dies im vergangenen Jahr mit ­freien Produktionskapazitäten im dortigen Werk – die hat VW jetzt aber plötzlich auch direkt vor der Haustür in Zwickau und Emden.

Volkswagen läuft die Zeit davon. Das Unternehmen hat sich unter Konzernchef Blume, der vor einem Jahr in dieser Position startete, zwar entschiedener in die strukturelle Transformation gestürzt als unter Herbert Diess. Bis zu den ersten sichtbaren Erfolgen wird es aber dauern.

Aus dem Datencenter:

Wer liefert was für den VW ID.4 (2020)?