Frau Cavallo, Sie sind die erste Frau an der Spitze des VW-Konzernbetriebsrats. Wenn man in den Vorstand schaut, ist es um den Frauenanteil aber nicht gerade gut gestellt. Hauke Stars ist derzeit die einzige im Konzernvorstand, im Markenvorstand ist Imelda Labbé Einzelkämpferin. Ist das 2023 noch zeitgemäß?
Aus meiner Sicht müssen wir daran auf jeden Fall weiter arbeiten. Wir müssen uns diverser aufstellen über alle Ebenen bis hoch in den Vorstand. Ich glaube schon, dass sich hier mittlerweile in den Köpfen insgesamt etwas verändert hat. Aber wirklich nachhaltig ändert sich das bisher nur da, wo es harte Vorgaben zum Thema Geschlechterquote gibt.
Zum Beispiel bei den Aufsichtsräten, wo es eine klare Quote gibt?
Genau. Bei den Aufsichtsräten ist durch die Quote wirklich Bewegung reingekommen. Da, wo es eher auf einer freiwilligen Basis läuft, geht es aber viel langsamer voran. Das Thema haben inzwischen zwar alle auf dem Schirm. Wirklich in die Umsetzung kommen wir aber erst, wenn wir wirklich harte Ziele oder Quoten haben. Nicht, weil es einer besonderen Förderung für Frauen bedarf. Sondern, damit gute Frauen, die wir schon haben, sichtbarer werden und eine Chance bekommen.
Und wann wird es die erste Vorstandsvorsitzende bei Volkswagen geben?
(lacht) Das wird schwierig. Ich glaube, das wird noch einige Jahre dauern. Ich weiß auch nicht, ob ich das selbst erleben werde. Denn wenn man annimmt, dass ein potenzieller Vorstandsvorsitz aus den Reihen der Vorstandsmitglieder gewonnen wird, dann tendiert die mathematische Wahrscheinlichkeit zur Wahl einer Frau aktuell gegen Null.
Wobei Oliver Blume auch wenig Ambition zeigt, den Posten zu räumen…
Das würde ich auch überhaupt nicht befürworten. Die Zusammenarbeit läuft sehr gut, wirklich auf Augenhöhe. Und wir arbeiten jetzt daran, die Themen, die da sind, anzugehen.
Mit Herbert Diess lief es ja nicht immer ganz so gut, da haben Sie sich heftige Kontroversen geliefert. Sind Sie froh, dass die Dauerquerelen vorbei sind? Oder vermissen Sie die Möglichkeit auch irgendwie, öffentlich Aufmerksamkeit zu erringen?
Ganz ehrlich, auf solche öffentlichen Dispute kann ich wirklich gut verzichten.
Ich glaube, die Belegschaft erwartet vom Vorstand und auch vom Betriebsrat, dass wir unserer Verantwortung nachkommen und die Herausforderungen angehen, die es gibt. Und nicht ständig irgendwelche Konflikte in der Öffentlichkeit austragen. Das will im Grunde keiner. Von daher bin ich froh, wenn wir die Themen jetzt intern diskutieren und dann vorankommen.
Ist Oliver Blume denn immer noch der liebe Olli, für den ihn am Anfang viele hielten?
Ich weiß nicht, ob er das je gewesen ist. Ich habe ihn immer so erlebt, dass er schon sehr zielstrebig und geradlinig und sehr strukturiert ist, aber eben auch mit einer guten Führung und einem guten Miteinander. Ich finde, zu einem modernen Unternehmen gehört genau das dazu, dass eine gute Kultur der Transparenz und der Zusammenarbeit gepflegt wird, und zwar nicht nur mit dem Betriebsrat, sondern auch mit dem Management und mit der Belegschaft in Gänze. Das darf man nicht mit Führungsschwäche verwechseln. Im Gegenteil: Es ist eine Stärke.
Das heißt, Diskussionen gibt es schon noch, die werden aber nicht mehr so heftig öffentlich ausgetragen?
Wie sind nicht immer einer Meinung. Das liegt ja in der Natur der Sache, dass wir an manchen Stellen unterschiedliche Sichtweisen haben und uns in der Sache an vielen Stellen reiben. Aber am Ende finden wir gute Kompromisse, die dann auch alle mittragen. Jemand wie Oliver Blume, der schon so viele Jahre im Unternehmen gewesen ist, weiß eben, dass genau das eine besondere Stärke ist, die wir hier haben. Mit dieser Mitbestimmungs- und Zusammenarbeitskultur sind wir jahrzehntelang sehr erfolgreich gewesen.
VW-Markenchef Thomas Schäfer hat gerade angekündigt, noch einmal Milliarden zusätzlich einsparen zu wollen. Macht Ihnen das Sorgen?
Sorgen würde es mir bereiten, wenn der Vorstand seinen Job nicht macht. Alle unsere Marken haben Effizienzprogramme, selbst Porsche. Themen, bei denen sich unsere Kernmarke weiter verbessern kann, haben wir als Arbeitnehmervertretung schon immer unterstützt und mit vorangetrieben. Also werden wir uns auch jetzt genau anhören, was mit dem Performance-Programm geplant ist und die Gespräche dazu führen.
Das heißt?
Fest steht, dass dabei auf unsere Linie weiter Verlass ist: Tarifliche Einschnitte oder Abstriche bei unserer Beschäftigungssicherung sind mit uns nicht zu machen. In diese Richtung gibt es aber auch keinerlei Pläne. Bei VW bleiben Wirtschaftlichkeit und Beschäftigungssicherung gleichrangige und gemeinsame Ziele. Unsere stärksten Hebel für mehr Effizienz sind seit Jahren die bekannten: Synergien heben, Doppelarbeit vermeiden und auf die Kompetenz und Ideen der Beschäftigten vertrauen.
Unterm Strich wird die Mitarbeiterzahl aber schon sinken?
Der Trend zeigt zumindest in Deutschland in diese Richtung. Es wird aber auch eine Verschiebung geben. Etwa in Richtung Cariad, wo wir das Thema Software vorantreiben. Dass am Ende unter dem Strich weniger Beschäftigung steht, ist kein Naturgesetz. Das wird sich zeigen. Entscheidend ist, dass wir die nötigen Hebel dafür in der Hand halten: Altersteilzeit für die geburtenstarken Jahrgänge und passgenaue Qualifizierung für diejenigen, die mit dem Wandel andere Aufgaben übernehmen.
Richtig rund lief es bei Cariad bisher aber ja nicht. Glauben Sie, mit Peter Bosch als neuem CEO wird es jetzt endlich besser?
Peter Bosch hat schon an anderer Stelle bewiesen, dass eine Restrukturierung zusammen mit den Beschäftigten und einem großen Team-Gedanken gelingen kann. Es geht hier aber nicht nur um einen neuen Kopf an der Spitze. Oliver Blume und sein Team haben Strukturen und Prozesse analysiert und Hemmnisse identifiziert. Jetzt folgt die Neujustierung. Das hat unsere Unterstützung.
Sie haben 2021 für ein E-Modell für Wolfsburg gekämpft. Bekommen haben Sie den ID.3 und die Aussicht auf Trinity 2026. Jetzt kommt der Trinity wohl erst 2028 und die neue Fabrik in Warmenau wahrscheinlich gar nicht. Sind Sie enttäuscht?
Nein. Natürlich ist es immer enttäuschend, wenn man feststellt, dass Zeitpläne nicht gehalten werden können. Aber für Wolfsburg haben wir jetzt erst einmal eine gute Lösung gefunden. Wir bekommen hier jetzt 2026 ein Elektromodell dazu, das bisher gar nicht geplant war. Aber natürlich bleibt es unser Ziel, dass dann, wenn die SSP-Plattform kommt, sie mit einem Fahrzeug in Wolfsburg startet. Daran halten wir fest und dafür setzen wir uns weiter ein. Und wir arbeiten natürlich weiter daran, dass es auch Lösungen für andere Standorte gibt.
Und dass die Fabrik in Warmenau womöglich gar nicht gebaut wird?
Final entschieden ist das ja noch nicht. Darüber werden wir die kommenden Monate sicher noch intensiv reden. Und es war ja von Anfang an nicht unsere Idee, extern neue Hallen zu bauen. Das war dem damaligen Zeitplan geschuldet, dass sich das im bestehenden Werk nicht hätte umsetzen lassen. Wichtig war uns, dass es hier in Wolfsburg geschieht. In welcher Form es dann umgesetzt wird, ist erstmal unerheblich. Wichtig ist, dass wir neue Modelle nach Wolfsburg bekommen, weil wir die für die Auslastung einfach brauchen.
Das Stammwerk, das mal bis zu eine Million Autos bauen sollte, war zuletzt nicht mal zur Hälfte ausgelastet, die Mitarbeiter wurden regelmäßig in Kurzarbeit geschickt.
Ja, letztes Jahr waren wir bei 408.000 Fahrzeugen, im Jahr davor unter 400.000. Damit können wir natürlich nicht zufrieden sein.
Ist denn Besserung in Sicht?
Wir merken schon, dass die Produktion wieder deutlich besser läuft, weil sich die Verfügbarkeit der Teile bessert. In Wolfsburg holen wir deshalb jetzt sogar 500 Beschäftigte zusätzlich an Bord. Uns als Betriebsrat ist es gelungen, dass ehemalige Leiharbeitsbeschäftigte, die damals nicht verlängert wurden, jetzt direkt zu Volkswagen kommen. Befristet auf ein Jahr. Das ist eine große Chance. Wie es dann weitergeht, müssen wir 2024 schauen.
Bisher geht es in Wolfsburg ja vor allem um Golf und Tiguan, erst im Laufe des Jahres kommt der ID.3 dazu, 2026 dann das weitere E-Modell. Wird das reichen?
Erstmal schon. Und mit zwei E-Modellen zusätzlich haben wir dann auch eine bessere Flexibilität als bisher als reiner Verbrennerstandort. Unser Stammwerk wird so flexibel sein wie kein anderes Werk: MQB für Diesel und Benziner, MEB und MEB+ für die aktuellen E-Fahrzeuge und SSP für die nächste Generation. Alles in einer Fabrik.
Wobei die Verbrenner dann ja nach und nach auslaufen werden.
Ja. Aber die Frage ist doch, wie sich die Nachfrage weiter entwickelt. Klar ist, dass es in Europa 2035 keine Verbrenner in der Neuzulassung mehr geben wird. Es gehört aber noch viel Überzeugungsarbeit dazu, damit sich das auch die Kundinnen und Kunden in der Masse vorstellen können. Da brauchen wir noch mehr Unterstützung aus der Politik, dass die Ladeinfrastruktur weiter ausgebaut wird. Das Laden muss so einfach werden wie bisher tanken. Davon sind wir noch weit entfernt.
Wird es denn gelingen, die Beschäftigung auch im Zeitalter der E-Mobilität zu halten?
Im klassischen Fahrzeugbau macht das keinen so großen Unterschied. Da wird es natürlich weiter Sprünge durch Automatisierung und Digitalisierung geben, aber das hat ja nichts mit der Elektrifizierung zu tun. Wo es großen Transformationsbedarf gibt, ist der Bereich der Komponente. Weil eine Batteriezelle, wie wir sie künftig in Salzgitter herstellen, einfach weniger Personal braucht als ein Motor, den wir dort bisher produzieren. Genau deshalb haben wir uns ja schon früh zusammen mit dem Unternehmen auf den Weg gemacht und 2016 den Zukunftspakt geschlossen. Wenn Personalabbau, dann sozialverträglich entlang der demografischen Kurve. Gleichzeitig schauen wir aber auch, dass wir in Bereichen, die neu hinzu kommen, Kompetenzen neu entwickeln und diese Felder womöglich übernehmen.
Im Moment investieren viele, auch VW, aber eher in Nordamerika, wo die US-Regierung massiv mit Subventionen lockt. Ist das eine Gefahr für Europa, dass wir den Anschluss verlieren?
Ja. Europa tut gut daran, jetzt schnell Regelungen zu schaffen, was wir dem entgegensetzen. Die Regelung in den USA, dass man dort bevorzugt behandelt wird, wenn man vor Ort produziert, führt natürlich schon dazu, dass viele Unternehmen jetzt genau überlegen, wie sie damit umgehen. Und auch beim Strompreis für die Industrie brauchen wir unbedingt Bewegung. Bei Investitionsentscheidungen können wir sonst mit Ländern außerhalb Europas einfach nicht konkurrieren. Da muss unbedingt etwas passieren. Sonst laufen wir wirklich Gefahr, dass Industriearbeitsplätze abwandern und dies dann Auswirkungen auf den Wohlstand in Deutschland insgesamt hat.
Aus dem Datencenter:
Elektromodellvorschau für die Marke Volkswagen 2023 bis 2028