Auswege aus der China-Falle

Abhängigkeiten sind meist bequem, bevor sie unbequem werden. Wer jahrzehntelang billiges Gas aus Russland erhält, fragt sich nicht, wie er den nächsten Winter ohne Wärme aus Sibirien überstehen soll. Und wer jahrzehntelang beste Geschäfte im autoritären China macht, erwägt keine Diversifikation in andere Märkte.

So rückte in den vergangenen 20 Jahren China zum größten Handelspartner Deutschlands auf. Rohstoffe, Hightech-Komponenten und selbst pharmazeutische Produkte aus der Volksrepublik sind hierzulande unverzichtbar geworden. Im vergangenen Jahr lag der Außenhandelsumsatz bei  245 Milliarden Euro, was zehn Prozent des gesamten Außenhandels Deutschlands ausmacht.

Im ersten Halbjahr 2022 nahmen die deutschen Direktinvestitionen in China sogar noch zu. Auch die Importe und das deutsche Defizit im Handel mit China erreichten jeweils ein Allzeithoch. "Die Antwort vieler Firmen auf die geopolitischen Risiken scheint eher mehr China zu sein und nicht weniger", wundert sich Jürgen Matthes, Volkswirt beim Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Er warnt jedoch vor einer Fortführung dieser Strategie, die im Falle eines Einmarschs von China in Taiwan fatale Folgen haben könnte: "Bei in China besonders exponierten deutschen Unternehmen könnte das dann absehbar kollabierende China-Geschäft durch Einbußen auf der Absatzseite möglicherweise sogar in die Pleite führen."

Besonders viel steht für die deutschen Autohersteller auf dem Spiel. 2021 exportierten sie 37,4 Prozent ihrer weltweit verkauften Fahrzeuge nach China. Wegen der Lockdowns in China und der gesperrten Häfen schrumpfte der Anteil im zweiten Quartal dieses Jahres auf 34,2 Prozent.

Die höchste China-Abhängigkeit weist VW auf. Der Absatzanteil lag im vergangenen Jahr im Konzern bei 37 Prozent und bei der Marke Volkswagen bei 50 Prozent. Im ersten Halbjahr dieses Jahres erhöhte sich die Bedeutung Chinas für den Absatz nochmals: im Konzern auf 38 und bei der Marke Volkswagen auf 52 Prozent.

Somit wird verständlich, warum jüngst der neue Markenchef von Volkswagen Pkw, Thomas Schäfer, erklärte: "Für uns ist China Heimat."

Angesichts der Aggressionen gegen Taiwan und der Nähe zum Putin-Regime stellen sich nun aber westliche Politiker pointierter gegen China. Auch in Deutschland ist sich die Regierungskoalition einig, dass nicht mehr jede chinesische Aggression toleriert werden kann.

So sagte FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner angesichts der Unterdrückungsmethoden Pekings in der Uiguren-Region Xinjiang: "Samtpfötigkeit aufgrund unserer wirtschaftlichen Interessen darf es nicht geben.“"Seine Schlussfolgerung: "Wir müssen die Handelspartnerschaften und Lieferungen für Deutschland globalisieren und differenzieren."

Doch kurzfristig ist das kaum möglich. "Das ist gar nicht vorstellbar", sagt Stefan Wolf, Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall und Chef des Automobilzulieferers ElringKlinger. Die Abhängigkeiten seien "immens".

Die Industrie wäre bei einem Wirtschaftskrieg des Westens mit China an vielen Stellen regelrecht lahmgelegt, befürchtet Wolf. Besonders kritisch könnte es bei einer Zuspitzung der Lage um Taiwan kommen. "Was machen wir dann? Greifen wir zu den gleichen Sanktionen gegen China, die wir gegen Russland nach dem Einmarsch in der Ukraine ergriffen haben?", fragt der Gesamtmetall-Chef.

Gleichwohl habe es die Wirtschaft unterlassen, bei der Politik auf eine stärkere Diversifizierung bei der Energieversorgung zu pochen, räumt er ein. Wolf: "Man hat diese ganzen geopolitischen und geostrategischen Risiken, die sich hier jetzt verwirklicht haben, nicht gesehen."

Vor einer strikt wertegeleiteten Handelspolitik warnt unterdessen Felix Kuhnert, Leiter des Bereichs Automobil beim Beratungsunternehmen PwC: "Wir können nicht auf alle politischen Probleme dieser Welt mit Wirtschaftssanktionen antworten."

Die deutsche Autoindustrie habe Milliarden in China investiert und sei zwingend auf die dort geschaffenen Wertschöpfungsketten angewiesen. "Würde der Westen ähnliche Sanktionen gegen China verhängen wie gegen Russland, wären die Folgen für die Unternehmen, für deren Mitarbeiter und für die Versorgung Europas mit wichtigen Rohstoffen unabsehbar."

Bei einem Handelskrieg würden laut Kuhnert alle Beteiligten verlieren. Er rät Firmen dazu, auch nicht alles auf die Europa-Karte zu setzen. "Ich halte es für gefährlich, so viele Fertigungen wie möglich zu relokalisieren und nur noch in Europa zu produzieren." Dann drohe letztlich der weitgehende Verlust des chinesischen Absatzmarkts.

Eine Strategie aus diesem Dilemma beschreitet der Dichtungsspezialist Freudenberg Sealing Technologies. "China hat heute für uns eine ganz andere Rolle als noch vor drei oder vier Jahren", sagte jüngst Firmenchef Claus Möhlenkamp der Automobilwoche.
"Innerhalb von Freudenberg wollen wir China eigenständig aufstellen, sodass es keine Lieferketten-Abhängigkeiten mehr gibt."

Schon heute komme Freudenberg ohne Expats aus. "Das Prinzip lautet China für China, und damit schränken wir auch das Risiko auf diesem Markt ein." Noch ist jedoch fraglich, ob dieses Beispiel Schule macht.