Herr Speck, die Lieferengpässe in der ganzen Branche sind immens, viele Kunden warten ein Jahr auf ihren Camper. Wird sich das bald ändern?
Das ist schon dramatisch. Im ersten Halbjahr haben wir jedes zweite neue Auto unfertig abstellen müssen, es fehlen Heizungen und Fenster. Es fehlen Holz, Halbleiter, manchmal auch der Klebstoff oder Stecker. Dennoch haben wir im ersten Halbjahr schon 3000 Fahrzeuge mehr gebaut als im gleichen Zeitraum des Vorjahres – auch dank unseres flexiblen Produktionsverbunds. Unsere Händler haben diesmal schon zu Jahresbeginn praktisch unsere gesamte Jahresproduktion gekauft. Wir haben ein gefülltes Auftragsbuch wie nie zuvor. Die meisten Kunden akzeptieren eine Lieferzeit von acht bis neun Monaten, aber nicht von elf bis zwölf. Wir legen einen großen Fokus darauf, so schnell wie möglich liefern zu können. Allein in diesem Jahr investieren wir 50 Millionen Euro in den Ausbau der Kapazitäten, damit können wir den Absatz um 20 bis 22 Prozent steigern. Und nächstes Jahr planen wir eine vergleichbare Kapazitätsausweitung.
Knaus-Tabbert ist im vergangenen September an die Börse gegangen, seither liegen rund 40 Prozent der Anteile bei neuen Investoren. Was hat sich dadurch bei Ihnen geändert?
Wir sind froh, dass die Alt-Gesellschafter immer noch dabei sind. Für uns ist da auch kein Zeichen erkennbar, dass sich da etwas ändert. Beim Börsengang haben wir darauf geachtet, dass wir die Long Only-Investoren mit ins Boot bekommen, und das ist uns auch gelungen. Somit haben wir eine sehr stabile Shareholder-Struktur.
Der Börsengang hat gut 20 Millionen Euro eingebracht. Wo liegen derzeit die Schwerpunkte ihrer Investitionen?
Bei uns bewegen sich die F&E-Ausgaben immer im Millionenbereich, mit steigender Tendenz. Hinzu kommt der Aufbau automatisierter Fertigungsanlagen. So haben wir in die Herstellung der Frame-Bauteile viel investiert. Dabei geht es um Leichtbau und effiziente Fertigungsmethoden gleichzeitig.
Gibt es dabei bereits messbare Fortschritte?
Die Effizienzsteigerung ist schon da, aber sie wächst noch. Das liegt natürlich an den Skalen- sowie Verbundeffekten, an besseren Einkaufsbedingungen, an unserem hochflexiblen Produktionsverbund und an einem einheitlichen Qualitätsmanagement-System. Das hat uns beispielsweise erlaubt, bei Engpässen schnell auf andere Fertigungsstätten auszuweichen, wenn kapazitive Not ist. Derzeit investieren wir in Jandelsbrunn sehr viel in den Aufbau neuer Kapazitäten in Verbindung mit modernster Fertigungstechnologie. Die Komplexität im Caravaning-Geschäft ist enorm. Jeden Tag verarbeiten wir mehr als 20.000 Einzelteile. Da ist ein gutes Fehlteile-Management sehr hilfreich. Wir sind auf gutem Weg, unsere Effizienz noch deutlich zu steigern.
Ist die Vielfalt der Marken und der Modelle nicht abschreckend für viele Kunden und zu komplex in der Fertigung?
Ja, das ist schon vielfältig. Wir haben derzeit rund 220 verschiedene Grundrisse im Unternehmen. Die Kunst besteht darin, beides zu tun: Einerseits die Vielfalt anzubieten, jede Nische zu besetzen, andererseits aber auch zu standardisieren. Als ich 2013 zu Knaus Tabbert kam, gab es Küchenmodule mit 83, 84, 87 und 93 Zentimeter Breite. Da habe ich gesagt, ich möchte einen modularen Möbelbaukasten. Der ist dann in den nächsten Jahren nach und nach auch so entstanden. Dennoch brauchen wir die Vielfalt, um jede unserer fünf Marken klar voneinander abzugrenzen. Wir liefern schließlich kein reines Transportfahrzeug, sondern Wohnwelten. Und da ist der Geschmack der Menschen in den verschiedenen Kulturen sehr unterschiedlich. Ein Fahrzeug, das für Großbritannien konzipiert ist, können sie nicht in Spanien anbieten. Und in Frankreich verkaufen Sie kein einziges Modell mit Einzelbetten.
Denken Sie, dass die Endkunden den elektrifizierten Antrieb im Wohnmobil annehmen oder ist es dafür nicht etwas zu früh?
Wir kommen mit der Elektrifizierung exakt zur richtigen Zeit. Aber dennoch werden wir weiterhin eine Vielzahl von Antriebskonzepten haben. Da wird auch ein moderner Dieselmotor eine Rolle spielen, etwa in Kombination mit Biokraftstoffen. Auch verschiedene Hybridantriebe werden eine Rolle spielen, der Range-Extender, der Wasserstoff-Antrieb. Die Camper-Welt wird sehr vielfältig werden. Entscheidend ist doch, wie "grün" die Energieträger für diese Antriebe sind.
Mit welcher Elektrifizierungsrate rechnen Sie mittelfristig?
Das ist derzeit noch schwer zu prognostizieren. Der Ablöseprozess wird sicher noch etwas dauern.
Sie haben ein Range-Extender-Konzept angekündigt. Der voll-elektrische Camper ist also noch in weiter Ferne?
Mit einem Wohnmobil fahren Sie in der Regel 500, 600 Kilometer am Tag. Deshalb haben wir in unserem Lastenheft stehen: Reichweite! Und wir brauchen im Wohnmobil richtig viel Zuladung, und damit müssen Sie auch über die Alpen kommen. Das zusammen ist rein elektrisch derzeit nicht darstellbar. Ein reines E-Wohnmobil würde heutige Fahrzeuge um rund 600 Kilogramm schwerer und um mindestens 15.000 Euro teurer machen – das ist völlig illusorisch. Deshalb ist unser Konzept mit Range Extender zur Zeit die beste Antwort auf die CO2-Herausforderung.
In Ihrem jüngsten Geschäftsbericht sprechen Sie viel über ihr neues Environmental Social Governance-Regelwerk (ESG). Auch die Höhe der Boni für die Vorstandsmitglieder ist an das Erreichen von ESG-Zielen gebunden. Sie meinen es also Ernst mit dem grünen Umbau des Unternehmens?
Wir tragen das aus innerster Überzeugung. Ich bin Vater von vier Kindern, wir müssen unserer nachfolgenden Generation eine lebenswerte Umwelt hinterlassen. Und wir folgen als börsennotiertes Unternehmen den Regeln des Geldes. Die Investoren fordern inzwischen ganz klar eine nachhaltige Unternehmensstrategie. Nicht zuletzt: Unsere Kunden wollen die Natur erleben, naturnahen Tourismus. Deswegen müssen wir noch mehr tun, als das vielleicht die Automobilbranche tut. Wir können nicht warten, bis in Wolfsburg oder Turin die Akkus eingebaut werden.
Sie sind bei der Suche nach einem elektrischen Camper-Basisfahrzeug nicht bei den etablierten Herstellern fündig geworden und entwickeln deshalb nun selber ein E-Chassis – gemeinsam mit Partnern. Die Entwicklung bei den Basisfahrzeug-Herstellern schreitet aber rasch voran, ob im batterie-elektrischen Bereich oder bei der Brennstoffzelle. Ist das für Sie interessant?
Ja, ich bin zuversichtlich, dass in der Industrie künftig Lösungen angeboten werden, die auch für Wohnmobil-Hersteller interessant sein können.
Knaus-Tabbert hat angekündigt, mittelfristig nicht mehr mit Gas im Camper zu kochen oder zu heizen. Ist das machbar?
Absolut. Unser Weg ist klar, der ist gaslos. Und jedes Produkt, das wir neu auf den Markt bringen, wird in diese Richtung hin entwickelt. Heizen, Kühlen, Kochen – alles elektrisch. Nur in wenigen Situationen, in denen sehr lange Autarkie gefordert ist, braucht man noch Gas.
Wie sehen Ihre Pläne für eine weitere Internationalisierung des Geschäfts aus? Ist Amerika eine Option?
Im Prinzip ja, aber wir sehen in Europa noch sehr wachstumsstarke Jahre vor uns. Hier haben wir noch so viel Potenzial, dass wir uns strecken müssen, die Marktchancen in Europa wahr zu nehmen. Und es ist nicht trivial, in Amerika wirklich Fuß zu fassen, wenn Sie an den Produktgeschmack denken, an das Servicenetz. Nicht zuletzt: Amerika ist ein Wohnwagen-Markt. Reisemobile sind dort eher eine Nische.
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