Herr Schäfer, stimmt es, dass Sie Ihre neue Heimat Prag vor allem per Fahrrad kennengelernt haben? Nicht in einem Skoda?
Ich kenne gefühlt jeden Pflasterstein in Prag. Ich habe viel mit dem Fahrrad erkundet, aber auch beim Laufen. Jeden Morgen um 5 Uhr.
Hersteller hatten vor nicht langer Zeit verkündet, zum "Mobilitätsdienstleister" mutieren zu wollen. Jetzt hört man nichts mehr davon. Wie steht Skoda dazu?
Sicher werden wir in der Zukunft mehr tun als nur Autos herzustellen. Aber die Frage lautet: Was brauchen wir an neuen Geschäftsmodellen wirklich? Die Aussage, dass in Zukunft niemand mehr ein Auto besitzt und sich jeder nur noch eine Fahrt von A nach B bucht, teile ich nicht. In Metropolregionen ist das sicherlich eine sinnvolle Ergänzung. Wir haben übrigens ein recht erfolgreiches Start-up für dieses Business. Das ist schon jetzt ein Geschäft. Mit HoppyGo, unserer Carsharingtochter, sind wir in Prag 2020 um 50 Prozent gewachsen.
Aber prozentual vom Umsatz – darüber muss man noch nicht sprechen, oder?
Das stimmt, es geht gegenwärtig ums Verstehen, ums Ausprobieren und ums Lernen.
Bei Skoda muss alles "simply clever" sein. Details, die das Leben einfacher machen. Aber der Regenschirm in der Tür – ist das "simply clever" im 21. Jahrhundert?
Das ist ein guter Punkt. Wir schaffen es, Kunden mit einfachen Lösungen wie etwa dem Eiskratzer im Tankdeckel zu begeistern. Gleichzeitig überlegen wir, wie wir diesen Erfindergeist auf die digitale Welt übertragen können, sprich: Was bedeutet für uns „simply clever 2.0“? Das ist dann eben nicht der Eiskratzer, sondern digitale Services, die den mobilen Alltag unserer Kunden einfacher und bequemer, sprich „simply clever“ machen. Wir haben dafür ein interdisziplinäres Team eingerichtet, das herausfindet, was möglich ist und zur Marke passt. Ich bin überzeugt: Da werden überraschende Lösungen herauskommen.
Welche zum Beispiel?
Nehmen Sie zum Beispiel den Powerpass, mit dem Sie Ihr E-Auto an Ladesäulen von verschiedenen Anbietern problemlos laden können, und wir rechnen das zentral ab. Das macht das Leben unserer Kunden wesentlich einfacher.
Es gab zu Ihrem Start Unruhe über die Positionierung der Marke. Worum geht es dabei?
Die Irritationen sind beseitigt. Škoda ist klar positioniert und richtet sich konsequent an den Bedürfnissen der Kunden aus. Unsere Modelle bieten ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Wir haben mit unserem Enyaq iV zuletzt ein tolles Produkt auf den Markt gebracht. Gleichzeitig brauchen wir jedoch auch ein passendes Angebot für die Regionen, in denen einfachere Autos gefragt sind. In Indien kommen wir jetzt mit dem kleinen SUV Kushaq. Wir planen, das Modell von Indien aus in nahe gelegene Regionen zu exportieren. Auf elektrischer Seite arbeiten wir an Fahrzeugen unterhalb des Enyaq iV, um in den kleineren Segmenten Fuß zu fassen. Das wird relativ zeitnah passieren. Bis Mitte der Dekade haben wir mindestens ein Modell unterhalb des Enyaq iV. Später kann ich mir ein zusätzliches E-Auto in der Größe des Octavia vorstellen. Das ist aber eher etwas für die zweite Hälfte der Dekade.
Und die bestehenden Modelle?
Nehmen Sie unseren Kodiaq: In Südeuropa sind die Koreaner und Franzosen sehr stark, denen wollen wir mit einer neuen Einstiegsvariante auf die Pelle rücken. Das sind dann attraktiv eingepreiste Varianten, die mit besonders spitzem Bleistift kalkuliert sind. Wenn das jemand kann im Konzern, dann sind wir das. Skoda ist Sparweltmeister.
Skoda gibt es in über 100 Märkten. Gibt es noch weiß Flecken?
Die gibt es ja immer. Die Frage ist. Wo sind attraktive Möglichkeiten für uns?. Neben Indien tragen wir seit Januar nun auch die Konzernverantwortung für Russland inklusive der GUS-Staaten sowie für Nordafrika. Da sind viele Märkte dabei, wo ich für Skoda und den Konzern viel Potenzial sehe.
Warum Nordafrika?
Schauen Sie nach Ägypten oder Algerien, dort kann man eine Autoindustrie etablieren, die Arbeitsplätze schafft und die Märkte lokal versorgt, also weg vom importierten Gebrauchtmarkt.
Also mit eigener Fertigung?
Eine Produktion vor Ort könnte sich irgendwann lohnen. Ohne groß in den Export zu gehen – „local for local“ sozusagen. Ägypten hat 100 Millionen Einwohner, der Markt ist gut für 700.000, 800.000 Fahrzeuge pro Jahr. Da wollen wir mitmachen.
Also ein neues Skoda-Werk – Sie haben ja permanent Kapazitätsprobleme. Ändert sich die Werksstruktur bald noch einmal?
Wir haben in Tschechien, Russland und Indien die richtigen Standorte. Mir geht es darum, dass wir ihr Potenzial noch besser ausschöpfen. Das gehört zum Pflichtprogramm. Was die Kapazitäten angeht: Durch die Verlegung der Produktion der Superb-Nachfolgegeneration nach Bratislava schaffen wir im Werk Kvasiny ab 2023 Kapazitäten für mehr als 150.000 Fahrzeuge.
Könnten Sie sich vorstellen, in einen Markt, etwa in Afrika, rein elektrisch einzusteigen, ohne Verbrenner?
Afrika ist ein Sonderfall, da kann so etwas tatsächlich passieren. Moderne Verbrenner können teils die schlechte Kraftstoffqualität in Afrika gar nicht mehr verarbeiten. Die Abgasnorm Euro7 wird dazu führen, dass Fahrzeuge aus Westeuropa nicht mehr in Entwicklungsländer geschickt werden. Da kann E-Mobilität schon eine Alternative sein. Die Zeiten, dass Sie ein einziges Modell für die ganze Welt produzieren, sind definitiv vorbei. Die Komplexität durch die Ländervorschriften und Spezifika ist zu groß geworden.
Wird in zehn Jahren jedes Skoda-Modell in irgendeiner Form auch elektrisch zu haben sein?
Wir elektrifizieren Schritt für Schritt unser gesamtes Modellportfolio. Wir tun das auf vernünftige Weise, sprich: Wir nutzen die gesamte Bandbreite der Elektrifizierung – vom Mildhybrid bis hin zum vollelektrischen Auto. Ich gehe davon aus, dass Skoda 2030 einen E-Anteil von bis zu 60 Prozent haben wird
Was ist mit den Alternativen zur Alternative? Brennstoffzelle?
Die Brennstoffzelle wird alleine schon wegen der Kosten für das Volumensegment in dieser Dekade keine Alternative sein.
Erdgas?
Das ist kein populäres Thema in Europa und hat in der Politik keine Unterstützung gefunden. Ich denke aber schon, dass Erdgas zum Beispiel in Afrika, wo es vor Ort zur Verfügung steht, eine Chance hat. Die Kosten für den Kunden sind geringer und Erdgas ist sauberer als der Verbrenner. Wir überlegen, ob es nicht Sinn macht, Erdgas als Überbrückungstechnologie in den Emerging Markets zu etablieren.
Aber die Skoda-Mutter VW schafft doch alles ab, was nicht batterieelektrisch ist.
Für Westeuropa ist das sicher richtig, und das ist ja zu einem Gutteil unsere Einkommensquelle. Aber für andere Regionen in der Welt, die auch viel Erdgas besitzen, ziehen wir das in Betracht.
Kommen wir zu den Zahlen: Wie ist 2020 gelaufen?
Nach dem fünfwöchigen Produktionsstopp im Frühjahr haben wir das Jahr gut gemanagt und konnten zum siebten Mal in Folge über eine Million Autos ausliefern. Die gesamte Skoda-Mannschaft hat für jedes einzelne Auto gekämpft. Unseren Marktanteil in Europa konnten wir sogar auf 5,4 Prozent weiter ausbauen. Und wir haben mit 756 Millionen Euro ein deutlich positives Operatives Ergebnis erzielt. Auch die Umsatzrendite liegt mit 4,4 Prozent nach wie vor auf einem sehr respektablen Niveau.
Wie ist die Stimmung aktuell? Corona hat in Tschechien wieder voll zugeschlagen.
Wir sind natürlich alle über den aktuellen Infektionsstand beunruhigt. Dank unserer umfangreichen Schutzmaßnahmen bei Skoda passiert nicht einmal jede zehnte Ansteckung am Arbeitsplatz. Das zeigt uns, dass es zurzeit innerhalb der Firma sicherer ist als außerhalb. Deshalb gibt es unserer Ansicht nach aktuell keinen Grund, die Fabriken anzuhalten.
Was können Sie noch tun?
Wir haben bereits über 38 Millionen Euro in den Gesundheitsschutz investiert. Wir testen die Mitarbeiter, die ins Werk oder Büro zur Arbeit kommen, einmal in der Woche mit Schnelltests und wir haben feste und mobile Impfzentren aufgebaut, die sofort loslegen, sobald wir den Impfstoff bekommen. Wir können über 1.000 Menschen pro Tag impfen – natürlich auf freiwilliger Basis und kostenlos. Je mehr Skodianer mitmachen, desto besser. Wir tun alles für den bestmöglichen Schutz unserer Mitarbeiter.