Zentralrechner statt Steuergeräte-Wirrwarr

Immer mehr elektronisch gesteuerte Funktionen im Automobil haben im Laufe der Jahre zu einem Verkabelungs- und Softwaredschungel im Automobil geführt. 100 oder mehr Steuergeräte in Sensoren oder Aktoren, speziell entwickelt und mit individueller Software, müssen physisch verkabelt und in die Fahrzeugsteuerung integriert werden. Das führte unter anderem dazu, dass der Kabelbaum heute oft nach dem Verbrennungsmotor das zweitschwerste Bauteil im Fahrzeug ist. Klar wurde den Entwicklern auch, dass sich mit diesem Wirrwarr ein Software-definiertes und updatefähiges Fahrzeug nicht auf die Räder stellen lässt.

Das Ziel für die neuen Elektronikarchitekturen lautet nun, Rechenleistung und Software in wenigen Hochleistungscomputern zu konzentrieren, so wie es Tesla in seinen von Grund auf neu konzipierten Modellen vorgemacht hat. Doch sind auch bei diesem Ansatz sind Kompromisse nötig. Denn von jedem Sensor oder Aktor im Automobil ein eigenes Kabel zum Zentralrechner zu legen, wäre zu aufwendig. Daher wird es zwischengeschaltete Knoten in Form von Domänen- und Zonencontrollern geben. Sie kommunizieren direkt mit Sensoren und Aktoren, versorgen sie mit Energie und steuern den Datenverkehr. Von ihnen braucht es dann nur noch eine Leitung zu einem Zentralrechner. Damit diese Leitung möglichst leicht und kostengünstig ausgelegt werden kann, kann in den Controllern auch schon ein bisschen Rechenarbeit erledigt werden. Denn dann muss diese Leitung nicht mehr die gesamte Masse an Rohdaten etwa von den Sensoren bewältigen sondern gewissermaßen nur Rechenergebnisse weiterleiten.

Die modernsten der aktuellen Architekturen arbeiten noch stark mit sogenannten Domänencontrollern, die Sensoren und Aktoren bestimmter Funktionsgruppen zusammenfassen – eingeteilt beispielsweise in die Domänen Body, Chassis, Powertrain, Infotainment und ADAS, wie ein Continental-Sprecher erklärt.

"Domänenarchitekturen sind ein absolutes Muss, um klare und flexible Strukturen zu erreichen. So lässt sich etwa neue Software für den Bereich Fahrerassistenz aufspielen, ohne dass die übrigen Domänen betroffen sind und nachqualifiziert werden müssen", betont auch NXP-CTO Lars Reger.

Ein Nachteil sind aber auch hier lange Kabelwege, weil beispielsweise ADAS-Sensoren extrem weit voneinander entfernt liegen. Daher erläutert Reger: "Von den Domänen ausgehend kann es aber sinnvoll sein, Funktionen, die am gleichen Ort lokalisiert sind, in einem Zonen-Steuergerät zusammenzufassen. Etwa Kameras oder Radare im Seitenspiegel mit Keyless Entry und dem Fensterheber in einem Türsteuergerät zu bündeln, statt jede dieser Funktionen mit dem eigentlich ‚zuständigen‘, aber vielleicht weit entfernten Domaincontroller zu verkabeln."

Das unterstreicht auch der Continental-Sprecher: "Wir sehen kein Entweder-Oder zwischen Domänenarchitekturen und Server-Zonen Architekturen, sondern eine Entwicklung von der Domänen zu Server/Zone-Systematik."

Auch bei ZF erwartet man für die 2024 bis 2026 anlaufenden Modelle je nach Hersteller unterschiedlichste Konstellationen, teils Domänen-, teils Zonen- und teils hybride Architekturen, aber noch keine reinen Zentralarchitekturen. Das zeigen auch Pläne von Automobilbauern. BMW etwa hat 2016 mit der Zentralisierung der Architekturen begonnen. Ein Ergebnis war die Fähigkeit zu Over-the-Air-Updates ab 2018. In der Generation von Fahrzeugen, die mit dem iX gestartet ist, "sind die rechenintensiven und komplexen Softwarefunktionen in einer Handvoll zentraler Hochleistungsrechner gebündelt", erläutert ein Sprecher der Automobilwoche. Verbaut wird etwa ein Cockpit-Domänencontroller von Continental. Heute nutze BMW "eine Domänenarchitektur mit ersten Zonalisierungsansätzen, etwa mit Tür- und Motorkabelbäumen". Auch das ist ein Zwischenschritt. Denn infolge immer neuer Funktionen, noch mehr Komplexität und noch höheren Datenmengen baut BMW für die "Neue Klasse" die die E/E-Architektur grundlegend neu auf. "Im Fokus steht dabei die weitere Hochintegration der Steuergeräte in High Performance Computern, die Zonalisierung des Kabelbaums und die Vereinheitlichung sowie Beherrschung der Softwareplattformen über alle Baukästen hinweg“, so der BMW-Sprecher. Auch dort werden sich noch Domänen-Ansätze finden. So liefert Valeo ADAS-Domänen-Controller für diese Fahrzeuge.

Volkswagen hat erstmals mit dem Start der ID-Modelle eine grundlegend modernisierte Architektur eingeführt. Für die Zentralisierung der Rechenleistung verbaut VW in ID.3 und ID.4 Hochleistungscomputer von Continental. Aktuell arbeitet die VW-Software-Tochter Cariad an "der Einheitsarchitektur der Zukunft, bei der das Unternehmen auf eine Zonenarchitektur setzt", so eine Cariad-Sprecherin. Die Architektur setze auf eine konsequente Zentralisierung der Steuerung von Funktionen über Zonen-Controller und Hochleistungsrechner.

Bei Continental sieht man die Zukunft in einer Automotive-Edge-Plattform mit einem domänenübergreifenden Ansatz. Die Rechner und die Software sollen Funktionen aus verschiedensten Fahrzeugbereichen integrieren. Die Herausforderung ist, mit einer Hardware- und Softwarelösung die unterschiedlichen Anforderungen zu erfüllen, betont man bei Continental: "Während beim Infotainment im Fahrzeugcockpit Nutzererlebnis, Vernetzung und Applikationen aus der Unterhaltungselektronik im Vordergrund stehen, geht es bei Datenmanagement und Fahrzeugvernetzung um die Beherrschung von Komplexität und Echtzeitanforderungen. Bei Fahrsicherheit und -dynamik sowie Automatisiertem Fahren stehen dagegen strenge Anforderungen der funktionalen Sicherheit und latenzkritischer Fahrzeugregelungen im Vordergrund.“

Ob es sich nun um Domänen- oder Zonenarchitekturen in Reinform oder um Mischformen handelt – in jeder Konstellation tun sich für Zulieferer wie ZF oder Continental, die Hochleistungsrechner liefern, gute Perspektiven auf, weil der Hardwarebedarf steigt. Bei Continental geht man davon aus, zunächst pro Fahrzeug drei bis vier Hochleistungsrechner verbaut werden, bevor langfristig fast die gesamte Rechenleistung in einem Zentralcomputer zusammengefasst wird. Dazu kämen noch zwei bis acht Zonencontroller pro Fahrzeug.

Dementsprechend stellen sich die Zulieferer flexibel auf. Bei ZF etwa betont man, durch flexible und modulare Lösungen die verschiedensten Anforderungen abdecken zu können. Beispielsweise bietet der Zulieferer seinen Supercomputer ProAI auch in abgespeckten Varianten an, die für weniger anspruchsvolle Aufgaben unterhalb des autonomen Fahrens geeignet seien.

Der Markt für die Steuergeräte- und Rechnerhardware im Automobil dürfte jedenfalls deutlich wachsen. McKinsey prognostiziert in einer noch unveröffentlichten Studie für den Zeitraum von 2019 bis 2030 ein durchschnittliches jährliches Wachstum von vier Prozent. Das Volumen soll von 83 auf 129 Milliarden US-Dollar steigen.

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